"Wolfsburg hat seinen Zenit noch nicht erreicht"

Von Interview: Thomas Gaber
Für Ottmar Hitzfeld (r.) sind der VfL Wolfsburg und 1899 Hoffenheim die Überraschungen der Saison
© Imago

Ottmar Hitzfeld ist einer der erfolgreichsten Trainer der Bundesliga-Geschichte und hat als einziger Coach mit zwei verschiedenen Vereinen die Champions League gewonnen.

Anzeige
Cookie-Einstellungen

Im Interview mit SPOX spricht der Premiere-Experte und aktuelle Schweizer Nationaltrainer über Wolfsburgs Meisterstück, die Kräfteverhältnisse in Deutschland und in Europa, sowie über den neuen Bayern-Trainer Louis van Gaal.

SPOX: Herr Hitzfeld, wer oder was war für Sie rückblickend die größte Überraschung der abgelaufenen Saison?

Ottmar Hitzfeld: In der Vorrunde Hoffenheim, in der Rückrunde Wolfsburg. Ganz Europa hat Ende letzten Jahres über Hoffenheim gesprochen. In der Rückserie hat Wolfsburg in imponierender Art und Weise die Tabellenspitze übernommen und die deutsche Meisterschaft geholt. Sie haben spektakulären Fußball gespielt und sich auch in der Defensive stabilisiert. Edin Dzeko und Grafite sind zwei außergewöhnliche Stürmer und Zvjezdan Misimovic dahinter ein außergewöhnlicher Spielmacher. Felix Magath hat Sensationelles geleistet.

SPOX: Können Sie seine Entscheidung nachvollziehen, den VfL Wolfsburg im Moment des größten Triumphs zu verlassen?

Hitzfeld: Diese Entscheidung hat mich schon überrascht. Wolfsburg spielt in der nächsten Saison Champions League. Das ist ein großer Anreiz. Außerdem hat die Mannschaft ihren Zenit noch nicht erreicht, sondern ist eher noch in der Entwicklungsphase. Die Mannschaft kann sich noch steigern. Ich weiß nicht, ob es Unstimmigkeiten zwischen dem Verein und dem Trainer gab. Es ist schwierig, aus der Distanz zu beurteilen, welche Gründe es gab, den Verein zu verlassen.

SPOX: Dzeko macht sich Gedanken darüber, den Verein zu verlassen. Bayern ist ein Kandidat. Besteht die Gefahr, dass die Meister-Mannschaft jetzt auseinander fällt?

Hitzfeld: Das glaube ich nicht. Die Spieler haben langfristige Verträge. Der Verein kann bestimmen, welche Spieler gehen und welche nicht.

SPOX: Ist Wolfsburg die Mannschaft, die dem FC Bayern langfristig gefährlich werden kann?

Hitzfeld: Langfristig kann keine Mannschaft der Bundesliga am Thron des FC Bayern rütteln. Dafür ist der Abstand einfach zu groß. Das sieht man ja jedes Jahr am Etat. Überraschungsmannschaften wird es immer wieder geben, so wie jetzt Wolfsburg oder 2007 den VfB Stuttgart.

SPOX: Stuttgart hat mit Platz drei erneut überrascht. Hätten Sie Markus Babbel diesen Erfolg zugetraut?

Hitzfeld: Ja. Markus Babbel war als Spieler schon ein Vollprofi. Ehrgeizig, hochkonzentriert, bescheiden. Er war kein Blender, sondern dachte logisch und vernünftig. Er hat die Philosophie des FC Bayern verinnerlicht. Er hat das Sieger-Gen. Ich freue mich, dass ein Ex-Spieler von mir solche Erfolge feiert.

SPOX: Babbel ist authentisch. Ist das ein Faustpfand eines Trainers, um auch bei den Spielern gut anzukommen?

Hitzfeld: Glaubwürdigkeit und Authentizität sind sehr wichtige Attribute eines Trainers. Ein Trainer darf keine Rolle spielen, sondern muss sich immer so geben, wie er ist. Eine Mannschaft spürt das sehr schnell, wenn sich ein Trainer verstellt. Das macht ihn angreifbar.

SPOX: Wie ist der Absturz von Hoffenheim zu erklären?

Hitzfeld: Der eklatanteste Grund liegt auf der Hand: die Verletzung von Vedad Ibisevic. Man kann keinen Spieler gleichwertig ersetzen, der in einer Halbserie 18 Tore schießt. Boubacar Sanogo zu holen, war ein guter Schachzug. Aber es braucht Zeit, bis Automatismen greifen. Der zweite Grund war die überzogene Erwartungshaltung. Die Spieler wurden zuerst extrem hochgelobt und dann zerrissen. Man muss erstmal lernen, damit umzugehen. Diese Saison war ein Lernprozess.

SPOX: Zu den negativen Überraschungen in der Bundesliga gehört Werder Bremen. Trotzdem hat die Mannschaft zwei Finals erreicht. Ist Thomas Schaaf einer der besten Trainer der jüngeren Bundesliga-Geschichte?

Hitzfeld: Schaaf gehört zu den erfahrenen Trainern und hat mit Werder Überragendes geleistet. Es ist nicht einfach, mit Bremen deutscher Meister zu werden. In der Bundesliga hat man die Ziele in dieser Saison total verfehlt. Umso größer ist die Leistung, die Nerven zu bewahren und in den Pokalwettbewerben derart aufzutrumpfen. Leider haben sie das UEFA-Cup-Finale verloren.

SPOX: Aufgetrumpft hat in dieser Saison auch Ihr Ex-Klub Borussia Dortmund. Welchen Anteil hat Jürgen Klopp am Höhenflug des BVB?

Hitzfeld: Jürgen Klopp ist ein exzellenter Trainer und passt hervorragend nach Dortmund. Er kann die Massen begeistern und hat es geschafft, dass die Mannschaft und der ganze Verein wieder an sich glauben. Schade, dass es nicht zu Platz fünf gereicht hat. Ich hätte mich gefreut, wenn der BVB in der nächsten Saison im Europacup gespielt hätte. Ich habe ja schwarz-gelbes Blut in meinen Adern. (lacht)

SPOX: Klopp war auch beim FC Bayern als Trainer im Gespräch. Man hat sich dann doch für Jürgen Klinsmann entschieden. Warum hat Klinsmann in München nicht funktioniert?

Hitzfeld: Es steht mir nicht zu, die Arbeit meines Nachfolgers zu beurteilen. Dazu möchte ich mich nicht äußern.

SPOX: War der Philosophie-Wechsel der Bayern-Führung von erfahrenen Trainern wie Ihnen oder Felix Magath hin zu einem Bundesliga-Neuling wie Klinsmann zu mutig?

Hitzfeld: Ich glaube schon, dass die Verantwortlichen die richtige Entscheidung getroffen haben, Jürgen Klinsmann dieses Projekt anzuvertrauen. Der FC Bayern wird immer an Tabellenplatz eins gemessen. Wenn man den nicht erreicht, kommt sehr schnell Unruhe auf. Der FC Bayern kann einem Trainer nicht die nötige Zeit geben. Wenn man beim FC Bayern arbeitet, muss man Erfolg haben.

SPOX: Kapitän Mark van Bommel räumte im Gespräch mit SPOX ein, dass die Spieler einen entscheidenden Anteil an Klinsmanns Entlassung hatten. Warum funktioniert das Verhältnis Spieler/Trainer oftmals nicht?

Hitzfeld: Das ist nicht immer zu erklären. Der Trainer hat bei der Mannschaft immer eine hohe Akzeptanz, wenn er Erfolg hat. Wenn der Erfolg ausbleibt, muss er mehr Kritik üben, Experimente wagen, um die Dinge wieder in die richtige Richtung zu lenken. Er muss dann auch mal Spieler aus der Mannschaft nehmen. Das hinterlässt natürlich Spuren.

SPOX: Unter Jupp Heynckes hat der FC Bayern den Spaß am Fußball zurückgewonnen und mit Platz zwei das Minimalziel erreicht. Hat Sie die Verpflichtung von Heynckes überrascht?

Hitzfeld: Nein. Uli Hoeneß greift in solchen Situationen gerne auf Bewährtes zurück. Es war eine logische Konsequenz, dass der FC Bayern einen Ex-Trainer geholt hat.

SPOX: Der Bayern-Trainer für die Zukunft heißt Louis van Gaal. Eine gute Wahl?

Hitzfeld: Ich kenne Louis van Gaal seit 17 Jahren. Ich habe mit Borussia Dortmund Anfang der 90er Jahre gegen Ajax Amsterdam gespielt. Er ist ein sehr autoritärer und erfahrener Trainer, der schon viel gewonnen hat. Er bringt eine neue Philosophie nach München. Ich bin gespannt auf die Entwicklung bei Bayern.

SPOX: Van Gaal gilt nicht gerade als Liebling der Medien. Befürchten Sie ein Akzeptanz-Problem von van Gaal bei der Münchner Presse?

Hitzfeld: Wenn man erfolgreich ist, hat man immer eine gute Presse. Wenn nicht, muss man auch mit Kritik leben können.

SPOX: Sie wurden in Ihrer Bayern-Zeit von den Medien stets respektiert und waren sehr anerkannt. Und bei den Fans waren in letzter Zeit 'Ottmar Hitzfeld'-Rufe an der Tagesordnung. Macht Sie das stolz?

Hitzfeld: Das ehrt mich natürlich. Es ist schön, wenn man nicht in Vergessenheit gerät. Ich hatte immer ein besonderes Verhältnis zu den Bayern-Fans.

SPOX: Bayern sucht aber nicht nur einen Co-Trainer, sondern auch einen neuen Manager. Christian Nerlinger wird ab 1. Juli einen Teil der Arbeit von Uli Hoeneß übernehmen. Trauen Sie ihm diese Aufgabe zu?

Hitzfeld: Ich kenne die neue Rollenverteilung bei Bayern nicht im Detail. Aber eins ist sicher: Solange Uli Hoeneß beim FC Bayern ist, wird er der Mann bleiben, der die wichtigen Entscheidungen trifft.

SPOX: Oliver Kahn kann sich die Aufgabe beim FC Bayern noch nicht vorstellen und hat auch ein Angebot des FC Schalke 04 abgelehnt.

Hitzfeld: Ich würde mir wünschen, dass Oliver Kahn demnächst eine Position im bezahlten Fußball übernimmt. Mit seiner Erfahrung, seinem Know-how, seinem Willen und seiner Vorbildfunktion kann er wichtige Arbeit für die Bundesliga und den deutschen Fußball leisten.

SPOX: Vielleicht auch, um den Rückstand der Bundesliga im internationalen Vergleich aufzuholen. Wo steht die Bundesliga?

Hitzfeld: Deutschland liegt an dritter Stelle. An erster Stelle steht die Premier League. Dort wird der schnellste Fußball gespielt, dort spielen die besten Spieler, dort wird am meisten Geld bezahlt. Der spanische Fußball hat sich enorm entwickelt. Danach kommt Deutschland. Die Serie A hinkt der Bundesliga hinterher.

SPOX: Hat das 0:4 des FC Bayern in Barcelona gezeigt, wie weit der deutsche Fußball noch hinterherhinkt? Was muss der FC Bayern tun, um Spiele wie in Barcelona nicht mehr zu erleben und vielleicht mal wieder ein CL-Halbfinale zu erreichen?

Hitzfeld: Bayern hätte auch in dieser Saison schon ein Halbfinale erreichen können. Der Unterschied zu Mannschaften wie Barcelona oder Manchester United ist nicht so groß wie es beim 0:4 ausgesehen hat. Die Bayern haben in Barcelona ohne etatmäßige Abwehr gespielt. Das war nicht der endgültige Maßstab.

Ottmar Hitzfeld im Steckbrief