"Schweinebraten muss auch mal sein"

Von Interview: Florian Bogner
Die U 17 der Hertha kämpft in der Bundesliga Nord um die deutsche B-Jugend-Meisterschaft
© Getty
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SPOX: Woher kommt dieses Verantwortungsbewusstsein von Seiten des Vereins? Vor 15 Jahren hätte man Sie vermutlich ausgelacht, wenn Sie gesagt hätten, jeder Verein braucht auch Pädagogen.

Krücken: Was früher die Eltern vermittelt haben, übernehmen heute mehr und mehr die Schulen und die Vereine. Sie erziehen mit. 47 Prozent der Eltern in Berlin sind heute alleinerziehend und stoßen bei den Jugendlichen in der Pubertät oft an ihre Grenzen. Wir bieten professionelle Hilfe an. Und hier im Verein hat man im Rahmen von Motivation - sie wollen schließlich alle Profis werden - perfekte Möglichkeiten, die Spieler in die richtige Spur zu bringen.

SPOX: Man lernt bei der Hertha also aus den Fehlern der Vergangenheit.

Krücken: In einer Weltstadt wie Berlin, in der die Probleme der Jugendlichen sehr groß sind, ist es einfach zeitgemäß, die Jugendlichen dort abzuholen, wo sie herkommen. Es geht darum, die Zeit mit den Jugendlichen effektiv zu nutzen.

SPOX: Wie oft schaut Lucien Favre bei der U 17 vorbei?

Krücken: Es gibt pro Jahr ungefähr vier sogenannte Mixed-Spiele, wo Spieler aus der U 17, U 19 und U 23 elf gegen elf gegeneinander spielen. Diese Spiele schauen sich Dieter Hoeneß und Lucien Favre ganz genau an. Daneben ist Favre sehr am Nachwuchs interessiert, will oft DVDs von den Spielen von mir und erkundigt sich permanent, wie sich die Spieler X und Y entwickeln.

SPOX: Die Möglichkeit, den Durchbruch zu schaffen, ist also da.

Krücken: Es macht wirklich großen Spaß zu sehen, dass die Durchlässigkeit nach oben gegeben ist und der Verein ein authentisches Interesse an den Jugendlichen hat. Mit Carsten Heine als Nachwuchs-Cheftrainer haben wir eine perfekte Schnittstelle für die nächste Stufe. Die U 23 ist ein echtes Bindeglied zwischen Jugend und Profiteam.

SPOX: Werden alle Ihre Wünsche erfüllt?

Krücken: Im Rahmen der Möglichkeiten steht der Verein allen Optimierungsvorschlägen offen gegenüber. Wir haben unsere Ressourcen bei weitem noch nicht ausgeschöpft.

SPOX: Die Hertha gibt für das Nachwuchsförderungskonzept 4 Millionen Euro im Jahr aus.

Krücken: Ich denke, dass das gut angelegtes Geld ist.

SPOX: Jugendförderung findet nicht nur in Berlin statt. Wird Ihr Konzept auch bei anderen Vereinen ähnlich umgesetzt?

Krücken: In gewissen Punkten schon. Aber wir haben hier in einer Metropole natürlich eine ganz andere Klientel als in Stuttgart oder Freiburg. Wenn wir zeitgemäß - und damit eben auch im persönlichen Bereich - ausbilden wollen, müssen wir unsere eigene Philosophie finden, wie man mit den Jugendlichen am besten arbeiten kann.

SPOX: Wie stehen wir in Deutschland mit der Jugendförderung im internationalen Vergleich da?

Krücken: Ziemlich gut, weil wir im Gegensatz zu den englischen Academys deutlich mehr wert auf die duale Ausbildung legen. Das wurde gerade durch das Lizenzierungsverfahren des DFB für Nachwuchsleistungszentren noch mal unterstrichen. Es geht ja auch darum, den Spielern einen Plan B an die Hand zu geben, falls das mit dem Profi-Fußballer nicht klappt.

SPOX: Und wie sieht es im rein fußballerischen Bereich aus?

Krücken: Was die technische, koordinative und taktische Ausbildung angeht, sind wir ebenso gut aufgestellt. Auffällig ist zum Beispiel in Spanien, dass man dort im bewussten Passspiel und beim Spiel ohne Ball etwas besser ist. In Frankreich vertritt man im Kleinfeldbereich eine andere Philosophie. Dort ist die Ausbildungspyramide unten viel breiter angelegt. Wo wir eine F-Jugend haben, hat Paris St. Germain beispielsweise acht. Man hat dadurch ein breiteres Angebot an Bewegungstalenten, die nach oben hin ausgesiebt werden. Wir gleichen das aus, indem wir in Berlin ein großes Ausbildungsbecken mit mehreren Vereinen haben, die vorbildlich arbeiten.

SPOX: Wie schützt man sich davor, dass ein Spieler mit 19 nicht sagt: 'Danke, ihr habt mir alles vermittelt, jetzt sammle ich meine Erfahrungen woanders?'

Krücken: Schützen kann man sich davor nicht. Das einzige, was davor schützt, ist vielleicht die Identifikation mit dem Verein und die persönliche Bindung. Ob der Spieler dann aus Dankbarkeit sagt: 'Ich unterschreibe lieber noch mal drei Jahre bei der Hertha, bevor ich zu Real Madrid gehe', wird die Praxis zeigen. Wenn man dann letztendlich ein Talent für viel Geld verkauft, hat man zumindest einen materiellen Gegenwert für das, was man dem Spieler vermittelt hat.

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