Reformer im Retro-Chic

Von Stefan Rommel
Szene aus dem Hinspiel: Werder-Keeper Wiese setzt sich rustikal gegen Bayerns Lucio durch
© Imago

Werder Bremen und der FC Bayern München sind sich in einer kuriosen Saison nah wie lange nicht. Doch während Werder stur an seinem Konzept festhält, sind die Bayern immer noch auf der Suche nach Balance.

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Die Diskussion ist nicht neu in Bremen, sie schwelt eigentlich schon seit Jahren. Nur so recht ausbrechen will sie nie. Da haben die Bayern ihrem Gegner vom Sonntag (So. 16.45 Uhr im LIVE-TICKER) einiges voraus.

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Schon vor dem Auftritt in der Champions League bei Sporting Lissabon entbrannte eine hitzige Diskussion über Spielsystem und -ausrichtung des Rekordmeisters, provoziert durch die peinliche 1:2-Niederlage zu Hause gegen den 1.FC Köln.

Ruhe? Aufregung!

Einige Spieler ließen zwischen den Zeilen leise Kritik am bedingungslosen Offensivstil der Münchener durchklingen und stellten damit zumindest indirekt auch die Auffassung des Trainers in Frage.

Das 5:0 von Lissabon, errungen mit leicht veränderter taktischer Ausrichtung, sollte eigentlich wieder etwas Ruhe bringen. Es brachte den nächsten Aufreger. Einige Medien hatten berichtet, dass Klinsmann auf Drängen der Mannschaft - die sich zu einer Aussprache ohne den Trainer getroffen habe - hin die Taktik geändert habe.

Die Klarstellung von der Säbener Straße ließ nicht lange auf sich warten und flatterte den Redaktionen am Freitagnachmittag per E-Mail ins Haus. Kapitän Mark van Bommel stellte im Namen der Mannschaft klar, dass es so ein Treffen nie gegeben habe und dass Mannschaft und Trainer zusammen an der Marschroute für das Lissabon-Spiel gebastelt hätten.

Werder bleibt sich treu

Bei Werder ist das Prinzip bestens bekannt, nur dass die Wellen an der Weser nie so hoch schlagen wie in München. Eine Systemdiskussion gibt es hier schon seit Jahren, immer mal wieder und immer wieder ohne Resultat. Eigentlich ist es eher ein Systemdiskussiönchen.

So probiert Trainer Thomas Schaaf in jedem Sommer-Trainingslager ein paar andere Spielsysteme. Mal mit der Doppel-Sechs im Mittelfeld, mal im 4-3-3. Die Ergebnisse sind meistens verheerend, selbst gegen zweitklassige Gegner setzt es dann Niederlagen.

Also kommt Schaaf in schöner Regelmäßigkeit pünktlich zum ersten Pflichtspiel wieder auf sein gewohntes 4-4-2 mit Raute im Mittelfeld zurück und war damit in den letzten fünf Jahren stets gut genug für einen Startplatz in der Champions League.

Reformen mit Retro-Einflüssen

In dieser Saison, der schlechtesten seit Jahren, ist Bremen unberechenbarer denn je. Von 5:2, 5:1 oder 5:4 über Spitzenteams bis zu peinlichen Niederlagen gegen Abstiegskandidaten ist alles möglich. Wie bei den Bayern.

Das Grundproblem, nämlich dass das Offensivspiel dem Gegner viel zu viele Freiräume und damit auch Chancen gewährt, gehört in Bremen fast schon zum guten Stil. Und trotzdem bleibt Werder stur seiner Linie und seiner Philosophie treu - und ist den Bayern in Sachen Konstanz damit mindestens einen Schritt voraus.

Denn die von Klinsmann veränderte Politik drehen die Bayern gerade scheibchenweise wieder in den guten, alten und vor allen Dingen äußerst erfolgreichen Zustand der letzten Jahre zurück. In die Reformen mischen sich immer mehr Retro-Einflüsse. Die Bayern sind mitten in der Suche nach der richtigen Balance. Ganz im Sinne der Mannschaft. Das neue Lieblingswort der Bayern lautet "kompakt".

Der Weg für die Zukunft?

"Es ist wichtig, dass wir kompakt stehen und in der Defensive zusammen gut arbeiten. Wir haben gute Offensivspieler mit Drang zum Tor, die jederzeit ein Tor machen können. Aber die Kompaktheit ist enorm wichtig und in Lissabon haben wir das sehr gut gemacht. Wir hoffen, dass es der Weg für die Zukunft ist", sagte Franck Ribery auf der Pressekonferenz am Freitag.

Miroslav Klose pflichtete dem bei: "Wir haben gemeinsam beschlossen, so zu spielen. Aber wichtig ist immer, was der Trainer denkt. Er wollte so agieren, wir als Mannschaft wollten so agieren. Wir haben beide erkannt, dass es die sicherere Variante und der bessere Weg ist. Wir fühlen uns in dieser Ausrichtung wohler. Das könnte auch bis Saisonende unser System sein."

Bloß keine Euphorie

Das Spiel bei Werder hat seinen ganz besonderen Reiz in der Tatsache, dass beide Mannschaften als die großen Gewinner der Europapokal-Woche auflaufen und auf die endgültige Trendwende hoffen werden. Obwohl die Bayern keine fünf Tore besser waren als Lissabon und Werder sein "Wunder" gegen eine beachtlich unmotivierte Milan-Elf vollbrachte. Am Ende wird aber mindestens einem wieder ein Hauch von Krise angedichtet werden.

Für die Verantwortlichen heißt es deshalb, die Dinge schon im Vorfeld richtig einzuordnen. "Ich möchte die Mannschaft nur bitten, nicht zu euphorisch zu werden vor dem Spiel in Bremen", forderte Bayerns Vorstandvorsitzender Karl-Heinz Rummenigge.

Klinsmann ging sogar noch einen Schritt weiter: "Wir haben einige Dinge verbockt in den letzten Wochen, haben in der Bundesliga Nachholbedarf. Jetzt ist Bescheidenheit angesagt." Zu oft haben sich die Bayern in dieser Saison schon selbst betrogen, ein gesundes Maß an Misstrauen ist durchaus angebracht.

Verblüffende Parallelen

Wie bei Werder. "Das Spiel in Mailand war ein guter Anfang. Er heißt aber noch lange nichts", sagte etwa Per Mertesacker. Oder Ersatzkeeper Christian Vander: "Das bedeutet jetzt nicht, dass wir über den Berg sind."

Die Parallelen sind verblüffend und so eindeutig wie selten zwischen den beiden an sich grundverschiedenen Klubs. Zumindest gibt es noch eine Sache, da liegen Welten zwischen Bremen und den Bayern.

"Das größte Problem in dieser Saison ist unsere schwache Chancenverwertung", hatte Ribery gemutmaßt. Doch das ist elementar falsch. Werder benötigte in Mailand 20 Torschüsse für zwei Treffer. Den Münchenern reichten in Lissabon acht Versuche - für fünf Tore.

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