Ausgelutschte Edel-Frisöre

Von Oliver Kucharski
Kuranyi, Kevin, Schalke
© Getty

Hoffenheimer Verschwörungs-Theorien, Münchner Streicheleinheiten und Cottbuser Schampus-Fans: Die Bundesliga brach auch am 10. Spieltag mit verkrusteten Denkweisen.

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Ein Berliner Frisör macht Rabatz, ein Bremer Souverän versucht es mit Meyer'schem Zynismus und ein Kölner Knochenschrubber hält es mit Fritz von Thurn und Taxis. Diese und andere kapitale Missverständnisse in der Alternativen Liste:

1. Herr F. aus K.: Kapitale Missverständnisse sind das große Lebensdrama des netten Herrn F. aus K. (Name gekürzt), besser bekannt als Liga-Rüpel (Bild), Skandal-Profi (Bild) und Pöbel-Franz (Bild). Um damit ein für allemal aufzuräumen, hier die Wahrheit und nichts als die Wahrheit: Herr F. aus K. wird fürchterlich und tragisch missverstanden. Von allen. Dabei ist der gar nicht so. Echt nicht. Beim ätzenden Brutalo-Check (Bild) gegen Farfan zum Beispiel konnte er ja gar nicht ausweichen. Und bei der schlimmen Motzki-Attacke (Bild) gegen die Schalker Bank wollte er doch nur das dahinter sitzende und aus seiner Sicht viel zu dröge Publikum wachrütteln. Niemals würde Herr F. aus K. die Schalker Bank anpöbeln. Schließlich ist er Schalke-Fan. Echt.

2. Ein Mann für Jogi: Drum wird sich der nette Herr F. aus K. schon wenige Minuten nach Plastikstuhl-Gate schon wieder beruhigt und gefreut haben, ob dieses beeindruckenden neuen Schalker Stürmers, den der holländische Tausendsassa Fred The Voice Rutten da so mir nichts dir nichts aus dem Ärmel geschüttelt hatte.

Beweglich wie ein Schlangenmensch, laufstark wie auf EPO und effizient wie der Henker erzielte er erst die Schalker Führung, bereitete dann zwei weitere Treffer vor und war überhaupt der beste Mann auf dem Platz. Ganz dringend einer für Jogi Löw. Nur an der Optik muss er noch arbeiten. Sah ja aus wie Kevin Kuranyi.

3. Cottbuser Edelfans: Eine Animation a la Franz hatte hingegen das mitgereiste Cottbuser Publikum in Bielefeld gar nicht nötig. Es war ja schlicht keins da.

Lausige 33 (in Worten: drei!und!dreißig!) Cottbuser hatten vom 2.500 Karten umfassenden Auswärts-Kontingent Gebrauch gemacht, um sich dieses Schmankerl nicht entgehen zu lassen. Dabei braucht Cottbus jeden Punkt. Und nirgendwo sind die unkomplizierter zu bekommen, als in Bielefeld. Wenn man Cottbus ist. Drum muss die Frage erlaubt sein: Plötzlich Event-Fans geworden, liebe Energisti? Hm? Dann wundert Euch aber auch bitte nicht, wenn Eure Jungs, schwer enttäuscht und sträflich allein gelassen, noch den Ausgleich kassieren. Selbst Schuld seid Ihr. Das weiß auch die Schalker Bank.

4. Werder in Reinform: Für Rätselraten sorgte Torsten Frings mit seiner Aussage, Werder Bremen würde momentan nicht das spielen, wofür Werder Bremen normalerweise steht. Was ja entweder als lupenreiner Meyer'scher Zynismus zu werten ist - oder eben als dramatisches Franzesques Missverständnis. Denn jedem noch so lausigen Cottbuser Event-Fan genügt doch ein Blick auf die Tabelle, um zu erkennen, dass Werder Bremen derzeit so sehr Werder Bremen ist, wie Werder Bremen nur werderbremig sein kann. Ein Torverhältnis von 23:22 steht da Schwarz auf Grau in die Pixel gemeißelt. Nach zehn Spieltagen. Das grenzt ans Satirische und ist: Werder Bremen in Reinform und wirklich allerletzter Konsequenz.

5. Streicheleinheiten: Torsten Frings eine Menge voraus hat derzeit Miroslav Klose. Einen Stammplatz in der Nationalmannschaft zum Beispiel. Oder ganz plötzlich wieder eine bestechende Form. Und neuerdings also auch die rhetorische Gewandtheit und den Blick für die Dinge. Auf die Frage, ob er denn jetzt die Nummer 1 im Münchener Sturm sei, antwortete Klose kürzlich mit der Gelassenheit aller Welten: "Das ist mir Latte." Und auf die spitzenmäßige Frage eines ARD-Reporters in der Mixed Zone, ob denn Lukas Podolski noch mehr Streicheleinheiten benötige, um wieder zu treffen, sprach Klose also: "Streicheleinheiten? Dann müssen wir uns eine Katze kaufen!"

6. Die richtigen Worte: Überhaupt nicht das gespielt, wofür sie stehen, haben indes die Gladbacher Spieler, zumindest in den Augen ihres Trainers Hans Meyer, der richtig ergriffen war ob der Leistung seiner Mannschaft. So gut sei die gewesen. Das hätte er ja nicht für möglich gehalten.

Und richtig, richtig doll zufrieden sei er da gewesen. Allerdings nur in den ersten vierzig Minuten. Denn danach spielte Gladbach ja astrein und haargenau das, was Gladbach normalerweise spielt - und vergeigte also standesgemäß mit 0:3 in Wolfsburg. Und wir gehen ruhig mal davon aus, dass Hans Meyer für die folgenden fünfzig Minuten hinterher in der Kabine ebenfalls die richtigen Worte gefunden hat.

7. Herthas Chef-Frisör: Die eher falschen Worte hatte vor dem Straßenfeger gegen Hannover dagegen Herthas Chef-Frisör Marko Pantelic, der seine Situation in Berlin in etwa so umrissen hatte: Schnauze voll! Mehr Respekt! Alles Mist! "So nicht!", mögen da die 33 Berliner Fans gedacht haben, doch Hertha-Coach Lucien Favre blieb Schweizer durch und durch, übte sich in Gelassenheit und brachte den sympathischen Serben von Anfang an. Und der tat Dienst wie üblich, erzielte erst das 1:0 und ließ beim 2:0 gar selbstlos (!) für Frisur-Zwilling Woronin durch. Und weil Hertha diesmal keinen Elfer zugesprochen bekam, gab es auch sonst keinerlei Knatsch mehr auf dem Feld.

8. Der Rathausdebattenfluch: Quälende 63 Minuten lang musste man sich gestern die kruden Theorien völlig durchgeknallter Unheil-Beschwörer anhören, die nach der Bochumer Führung gegen Hoffenheim in der 2. Minute sofort zur Stelle waren: Von wegen Rathausdebatte. Dass das Unglück bringen würde. Da jetzt schon drüber zu diskutieren. Ob und wie man da Meisterfeier machen könnte. Weil da ja kein Balkon wäre. Den Fehler hätte auch Wolfsburg schon gemacht. Und dann wären die ganz gewaltig abgestürzt. Und so wäre das jetzt auch mit Hoffenheim. Der Rathausdebattenfluch eben. Usw. usf. Was natürlich kompletter Unsinn war. Den man aber bis zur 65. Minute aushalten musste - bis Ba, Ibisevic und Eduardo das leidige Gebrabbel innerhalb von sechs Minuten endlich verstummen ließen.

9. Schicke Fußballer-Hobbys: Bislang weder als Maik-Franz-Opfer noch als Maik-Franz-Kopie war indes Dortmunds flinker Flitzer Kuba aufgefallen. Trotzdem trug er gegen Köln eine dieser formschönen Gesichtsschutzmasken (Nasenbeinbruch!). Was eigentlich nicht weiter störte. Wenn die Fußballer dieser Welt nicht allesamt dieses wunderbare Hobby hätten, überall und ständig so beherzt auf den Rasen zu rotzen. Was sich im Falle Kubas als schwierig erwies. Der Popelfinger kam nicht durch. Doch was so ein echter Profi-Rotzer ist, der gibt so schnell nicht auf. Ein bisschen friemeln, ein bisschen fummeln, und schon war er drin, der Finger, und ein Schwall aus Rotz ergoss sich über den Kölner Rasen.

10. Ausgelutschte Denkschemata: "Das muss man sicht mal vorstellen", sprach gefühlte 340 Mal der große Fritz von Thurn und Taxis. Und in der Tat: Man stellt sich ja viel zu wenig vor heutzutage. Eingeengt in abgelatschten und ausgelutschten Denkschemata sind wir. Und damit muss Schluss sein. Dachte sich auch Kölns Petit und sprach, was er sich so alles vorstellen kann.Zum Beispiel dieses: Köln kann Meister werden. Und da hat er Recht, der Petit. Das kann ja wirklich passieren. Wir stimmen also ein und stellen uns ebenfalls etwas vor. Zum Beispiel: Werder Bremen kann die Abwehr dicht bekommen. Oder: Herthas Pantelic kann ein umgänglicher junger Mann werden.

Oder: Maik Franz kann der Liebling der Bild-Zeitung werden. Oder: ein fairer Sportsmann. Kann alles passieren. Muss man sich halt nur mal vorstellen.

11. Grüße an Power-Ernst: Als Rausschmeißer noch die allerherzlichsten Grüße an Ernst M. (Name gekürzt), besser bekannt als Power-Ernst, ehemals wohnhaft in Bielefeld, nun jedoch rübergemacht in die chinesische Einöde. Denn Power-Ernst feierte kürzlich seinen Fünfzigsten. Und war sich plötzlich schrecklich unsicher. Wegen der Uhrzeit. Wie das jetzt ist. Wegen dem Zeitunterschied. Wann und wie genau er da jetzt reinfeiern soll. Doch Power-Ernst wäre nicht Power-Ernst, wenn er die Dinge nicht höchst pragmatisch auf dem kurzen Dienstweg lösen würde: Er ging auf Nummer sicher und feierte kurzerhand einfach durch. 31 (in Worten: ein!und!dreißig!) Stunden lang. Wir finden: stark! Und rufen: Rock on, Ernst, Rock on!

Hoffenheim wird Meister! Kann man sich ja ausrechnen!

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