"Auf meinem Spind stand Kaiser"

Von Interview: Stefan Moser
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© Getty

München/Hamburg - Im zweiten Teil des Interviews spricht Martin Jol über seine Ziele mit dem HSV, mögliche Neuzugänge, seine Erfahrungen in England und seine Zeit als Spieler bei den Bayern. Hier geht's weiter!

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SPOX: Sie haben nun insgesamt einen ersten Eindruck von der Qualität des Kaders. Was ist mit dieser Mannschaft möglich?

Jol: Wir wollen uns wieder für den internationalen Wettbewerb qualifizieren. Der HSV muss immer international dabei sein. Das erwarten auch die Fans von uns. In den vergangenen Jahren ist der Klub in der internationalen Rangliste ja schon ein gewaltiges Stück nach oben geklettert. Wer in der Bundesliga zu den ersten vier Teams gehört, gehört automatisch auch zu den Top 30 in Europa, hat Bernd Hoffmann gesagt.

SPOX: Die Leistungsdichte in der Liga wird sich auch in diesem Sommer weiter erhöhen. Wie wollen Sie sich den entscheidenden Vorteil verschaffen? Was kann der HSV, was andere Vereine nicht können? Was kann Martin Jol, was andere Trainer nicht können?

Jol: Da wären wir ja wieder am Ausgangspunkt unseres Gespräches angelangt. Sie machen das ganz geschickt. Ein paar Zwischenfragen und schon soll ich wieder mit der Eigenwerbung anfangen. So bekommen Sie mich nicht. Wir werden lieber probieren, Taten sprechen zu lassen.

Die Voraussetzungen sind gegeben. Aber Sie haben Recht. Es wird nicht einfacher. Da sind einige Mannschaften, die mit aller Macht und einem prall gefüllten Portemonnaie nach vorne wollen.

SPOX: Apropos Portemonnaie: Sie wünschen sich noch einen zusätzlichen echten Stürmer. Nach Lage der Dinge wird ein profilierter Neuzugang für den HSV wirtschaftlich nicht machbar sein…

Jol: Wir machen nur dann noch einen Transfer, wenn wir wirklich davon überzeugt sind und auch eine echte Verstärkung parat steht. Wir kaufen nicht um des Kaufens Willen. Und wenn wir so eine Verstärkung haben - vielleicht lässt sie sich dann sogar finanzieren. Im Fußball ist doch nichts so, wie es scheint. Sie müssen also noch ein bisschen auf der Hut sein.

SPOX: Wie in England üblich, vertrauen Sie auf Experten im Trainer- und Betreuerstab. Wie viel Wissenschaft steckt im modernen Fußball?

Jol: Im Fußball wurde schon alles erfunden. Es geht nur darum, die Dinge auch zu nutzen und nichts zu vergessen. Ich wurde hier von Journalisten oft auf die vermeintliche Größe meines Trainerteams angesprochen. Mich hat das sehr überrascht. In England ist der Trainerstab bei den meisten Vereinen viel, viel größer.Für mich ist es normal, dass ich auch Spezialisten dazu hole, um den Spielern ein gutes Angebot zu machen. Es ist aber nicht so, dass ich nur als eine Art Supervisor auf dem Platz stehe und alles überwache. Die Aufgaben eines Cheftrainers sind weitaus vielfältiger.

Ich plane das komplette Training, arbeite mit der Mannschaft im taktischen Bereich, lege Maßnahmen zum Teambuilding fest, führe Einzelgespräche mit den Spielern und muss jeden Tag wichtige Entscheidungen treffen. Dazu gibt es ja repräsentative und mediale Verpflichtungen. Gerade wenn man neu irgendwo anfängt. Sie geben sich ja auch nicht mit drei, vier Fragen zufrieden...

SPOX: Bestimmt nicht! Also noch mal Stichwort England, wo Sie zuletzt bei Tottenham unter Vertrag standen: Was kann die Bundesliga noch von der Premier League lernen?

Jol: In Deutschland wird immer vom schnellen, englischen Fußball geschwärmt. In England ist es übrigens genau umgekehrt, da schwärmen die Menschen ständig von der Bundesliga. Mannschaften wie Chelsea, Arsenal oder ManU spielen natürlich auf einem Top-Niveau, das können in Deutschland vielleicht nur die Bayern. Aber vor den Mannschaften, die danach kommen, müssen sich viele Bundesligisten nicht verstecken. Dietmar Beiersdorfer etwa wollte mich neulich aufziehen und hat behauptet, dass sie mit dem HSV immer gegen Tottenham gewonnen hätten.

SPOX: Bereits in den Niederlanden und vor allem in England haben Sie und Ihr Stab sich einen Namen als "Talentschmiede" gemacht. Wer sind die Neuen Keanes, Carricks oder Lennons von Hamburg?

Jol: Das kann ich nicht voraussagen. In erster Linie liegt das an der Eigenmotivation und dem Willen der Spieler. Sonst können wir schmieden, so viel wir wollen. Aber ich habe schon vielversprechende Dinge gesehen. Boateng, Aogo und Choupo-Moting haben noch alles vor sich. Bei Ben-Hatira, Sam oder Torun bin ich auch gespannt. Es kann aber auch sein, dass wir einen Spieler mal für ein Jahr ausleihen, damit er Spielpraxis sammeln kann.

SPOX: Am ersten Spieltag geht es gleich gegen die Bayern. Sind Sie froh, dass es sofort in die Vollen geht, oder wären Ihnen die Münchner später lieber gewesen?

Jol: Fußballer leben für große Spiele. Je früher desto besser.

SPOX: Stichwort München: Sie haben selbst sechs Bundesligaspiele für die Bayern gemacht. Welche Eindrücke sind von damals geblieben? Gibt es noch Kontakt, wem würden Sie am 15. August gerne die Hand schütteln?

Jol: Über meinem Spind hing damals ein Schild, auf dem 'Kaiser' stand. Mittlerweile haben die Bayern ja aber auch ein neues Trainingsgelände, in dem wahrscheinlich nicht mehr allzu viel an Beckenbauers Zeiten erinnert. Kontakte gibt es heute kaum noch, ich war ja nicht lange bei den Bayern. Deswegen wäre es mir auch am liebsten, nach einem guten Spiel die Hände meiner Spieler zu schütteln.

Hier geht's zurück zum ersten Teil!

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