"Nur der HSV!"

Von Interview: Stefan Moser
Kleiner Flashback: In seiner kurzen Zeit beim FC Bayern mit Gerd Müller auf der Bank
© Imago

München/Hamburg - Seitdem Martin Jol als neuer Trainer in Hamburg ist, muss der 52-Jährige vor allem eine Frage immer wieder beantworten: Was wird aus seinem Landsmann Rafael van der Vaart?

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Der aktuelle Stand: Real Madrid bot vor knapp zwei Wochen rund sieben Millionen Euro Ablöse für den HSV-Spielmacher, die Hamburger Verantwortlichen fanden das Angebot "inakzeptabel", daraufhin stellten die Spanier weitere Abwerbungsversuche ein.

Dem HSV liegt aktuell kein Angebot für van der Vaart vor. Stand heute bleibt der 25-Jährige in Hamburg. Abgesehen davon "ist zu diesem Thema schon alles gesagt." Findet jedenfalls Martin Jol.

Also spricht der Niederländer bei SPOX über pralle Portemonnaies, die geballte Faust eines Fans, seine Erfahrungen in England und seine Zeit als Spieler bei den Bayern.

SPOX: Herr Jol, der HSV hat ungewöhnlich lange und akribisch nach dem richtigen Trainer gesucht. Warum sind Sie der richtige Mann für Hamburg?

Martin Jol: Sie können doch nicht von mir erwarten, dass ich das Interview gleich mit Werbung in eigener Sache beginne. Noch dazu habe ich bislang nicht ein Pflichtspiel mit meiner neuen Mannschaft absolviert.

Ich hoffe aber, dass ich in ein paar Jahren erneut die Gelegenheit bekomme, ihnen die Frage zu beantworten. Heute kann ich ihnen nur sagen, dass Bernd Hoffmann und Dietmar Beiersdorfer mich ganz offensichtlich für den richtigen Trainer hielten. Das haben sie mir in mehreren Gesprächen deutlich gemacht.

SPOX: Dann eben anders herum: Warum ist der HSV der richtige Verein für Sie?

Jol: Der HSV hat mich gereizt wie kein zweiter Verein. In Hamburg spürt man die Begeisterung an jeder Ecke. Neulich saß ich mit Dietmar Beiersdorfer im Auto. Als wir an einer Ampel hielten, erkannte uns der Mann aus dem Nachbarauto. Er kurbelte seine Scheibe runter, ballte die Faust und brüllte: 'Nur der HSV!' Genauso begeistert bin ich von den Bedingungen, die ich hier vorgefunden habe.Das Trainingszentrum ist fantastisch, so etwas habe ich bei noch keinem Verein gesehen. Das Stadion ist fast immer ausverkauft, die Fans stehen auch in schlechten Zeiten hinter der Mannschaft. Und in der – das ist für einen Trainer natürlich das Wichtigste - steckt unheimlich viel Potenzial. Wir haben ja mit die jüngste Truppe der Liga.

SPOX: Abgesehen von Pitroipa und Aogo (von denen Sie selbst sagen, sie bräuchten noch Zeit) gehen Sie - Stand heute - mit dem alten Kader in die neue Saison. Wo liegt trotzdem noch Potential für Entwicklung?

Jol: Natürlich geben wir Pitroipa und Aogo Zeit. Aber ich traue beiden den schnellen Durchbruch zu. Pitroipa ist ein Super-Talent, unglaublich, wie der mit dem Ball am Fuß sprinten kann. Aogo ist sehr vielseitig, hat ein hervorragendes Auge und ist mit seinen Standards brandgefährlich. Entwickeln wird sich die Mannschaft selbstverständlich nur durch harte Arbeit und Erfahrung. Deswegen ist es auch so wichtig, dass wir wieder im internationalen Wettbewerb dabei sind und uns mit Top-Mannschaften messen können.

SPOX: Sie sind sowohl charakterlich als auch von der Spielphilosophie her ein anderer Typ als Ihr Vorgänger. Auf welche Veränderungen müssen sich Ihre Spieler einstellen?

Jol: Ich kenne Huub Stevens kaum, ich kann seinen Charakter nicht beurteilen. Ich weiß nur, dass er in Hamburg sehr gute Arbeit geleistet hat. Sicher würde ich gern ein wenig offensiver spielen lassen - aber das darf dann nicht zu Lasten der Gesamtorganisation gehen. Im Vergleich zur Vorsaison ist der Kader ja fast identisch. Man kann mit denselben Spielern nicht auf Knopfdruck einen völlig anderen Fußball spielen.

SPOX: Trotzdem wollen Sie auch "für die Fans" spielen...

Jol: Wir wollen probieren, den Fans möglichst häufig das zu bieten, was sie von uns sehen wollen. Schöne Angriffe mit einem tollen Tor am Ende. Allerdings habe ich auf meinen bisherigen Trainerstationen durchaus schon feststellen können, dass ich mich über einen 1:0-Sieg auch ziemlich freue.

SPOX: Ihre beiden Vorgänger hatten phasenweise mit Disziplinproblemen zu tun. Wie haben Sie sich mit dem Thema auseinandergesetzt?

Jol: Hat man wirklich ein Disziplinproblem, wenn man in allen Wettbewerben zusammen vielleicht 50 Spiele absolviert und drei, vier Rote Karten kassiert? Hat man wirklich ein Disziplinproblem, wenn jemand mal zu spät zum Training kommt oder im Eifer des Gefechts mit einem Mitspieler aneinander gerät?Das war früher so und es ist heute noch so - und zwar bei jeder Mannschaft. Sie dürfen nicht vergessen, dass die Spieler heutzutage auf Schritt und Tritt beobachtet werden und man geradezu darauf lauert, dass sie sich Fehltritte erlauben.

Darauf werde ich sie natürlich auch hinweisen, auch auf ihre Vorbildfunktion, auch darauf, dass man der eigenen Mannschaft durch unbedachtes Verhalten schadet - dennoch wird irgendwann auch unter dem Trainer Martin Jol mal wieder ein HSV-Spieler eine Rote Karte kassieren. Wichtig ist, dass er dann aus seinem Fehler lernt. 

SPOX: In diesem Zusammenhang: Hat sich in der Mannschaft bereits eine Hierarchie etabliert, und wer sind Ihre wichtigsten Ansprechpartner?

Jol: Die Hierarchie hat sich nicht erst etabliert, seit ich meine Arbeit beim HSV begonnen habe. Deswegen habe ich Kapitän und Mannschaftsrat auch belassen. Rafael van der Vaart hat die Entwicklung des HSV in den vergangenen drei Jahren entscheidend mitgeprägt. Er ist kein Lautsprecher, aber seine Worte haben Gewicht. Dazu kommen erfahrende Spieler, Säulen der Mannschaft. Ich denke an Frank Rost, an Bastian Reinhardt, an David Jarolim, Collin Benjamin. Auch an Joris Mathijsen und Nigel de Jong.

Im zweiten Teil des Interviews spricht Martin Jol über seine Ziele mit dem HSV, mögliche Neuzugänge, seine Erfahrungen in England und seine Zeit als Spieler bei den Bayern. Hier geht's weiter!

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