"Ich bin froh, dass es vorbei ist"

Von Aufgezeichnet von Thomas Gaber
Kahn, Bayern, München
© Imago

München - 556 Mal stand Oliver Kahn in der Bundesliga im Tor. Am Samstag beim Heimspiel des FC Bayern gegen Hertha BSC Berlin (15.30 Uhr imSPOX-TICKER und bei Premiere) fällt der Vorhang. Eine beeindruckende Sportler-Karriere geht zu Ende.  

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Zwei Tage vor seinem letzten Spiel nahm sich Kahn noch einmal Zeit, über den Abschied und seine einzigartige Laufbahn zu sprechen. SPOX.com war dabei.

Frage: Oliver Kahn, am Samstag beenden Sie Ihre Karriere. Was überwiegt: Freude oder Trauer?  

Kahn: Ich habe im Fußball vieles erlebt, aber das Karriere-Ende ist etwas Außergewöhnliches. Einerseits bin ich traurig, dass es vorbei ist. Ich habe viele positive, aber auch negative Dinge erlebt. Andererseits freue ich mich auf das, was kommt. Ich bin einfach froh, dass es jetzt vorbei ist. Ich bin mehr als dankbar, dass ich meine Karriere mit zwei Titeln beenden kann.

Frage: Wie sieht Ihre Vorbereitung auf Ihr letztes Spiel aus?

Kahn: Ich werde mich entspannen und mit den Jungs und den Fans Spaß haben. Ich werde auch keine besondere Ansprache halten.

Frage: Wie wichtig ist Ihnen der Rekord mit den wenigsten Gegentoren in einer Saison?

Kahn: Den nehme ich natürlich auch gerne noch mit (lacht). Nein, das spielt in meiner Gedankenwelt keine große Rolle.

Frage: Haben Sie Angst davor, am Samstag von Ihren Gefühlen übermannt zu werden?

Kahn: Ich habe in den letzten zwei Jahrzehnten versucht, immer authentisch zu bleiben. Ich lasse meinen Gefühlen eher im stillen Kämmerlein freien Lauf. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich am Samstag hochemotional reagieren werde. Aber vielleicht übermannt es mich ja doch.

Frage: Sollte Bayern gegen Hertha einen Elfmeter zugesprochen bekommen, werden Sie antreten? 

Kahn: Die Zuschauer würden mich wahrscheinlich nach vorne peitschen. Der Druck wäre immens, aber ich weiß schon, in welche Ecke ich schießen würde.

Frage: Wer kriegt Ihr letztes Trikot?

Kahn: Das habe ich unserem Masseur versprochen.  

Frage: Wie konkret sind Ihre Zukunftspläne?

Kahn: Ich werde sicherlich ein, zwei Jahre brauchen, um alles zu verarbeiten. Aber ich möchte dem Fußball verbunden bleiben, weil es nicht funktioniert, den Stecker rauszuziehen und dann irgendwann wieder von 0 auf 100 anzufangen. Deswegen habe ich den Job als Experte beim ZDF übernommen, um den Fußball mal aus einer neutralen Perspektive zu beobachten. Vielleicht werde ich auch den Trainerschein machen, nicht unbedingt, um Trainer zu werden, sondern um den Fußball anders kennenzulernen.

Frage: Können Sie sich ein Comeback vorstellen?

Kahn: Nein, da bin ich sehr konsequent. Wenn ich irgendwo noch mal ein, zwei Jahre spielen würde, würde sich alles nur verzögern. Man muss sich mit dem Ende irgendwann auseinander setzen.

Frage: Mario Basler hat mal gesagt: "Wer einen Vertrag beim FC Bayern unterschreibt, muss wissen, was er getan hat." Mehmet Scholl meinte: "Ich bin froh, dass ich 15 Jahre FC Bayern überlebt habe". Ist es so schlimm bei Bayern?

Kahn: Bei Bayern herrscht stets der größte Anspruch an alle. Es ist schwer, die hohen Ansprüche über einen langen Zeitraum immer wieder zu erfüllen. Man kann es sich beim FC Bayern nicht erlauben, die Dinge schleifen zu lassen. Das kann für die Spieler, die das langfristig aushalten müssen, sehr anstrengend sein.

Frage: Warum haben Sie nie im Ausland gespielt? Angebote gab es ja genug.

Kahn: Es gab eine Phase, in der ich mir den Wechsel ins Ausland ernsthaft überlegt habe. Aber ich hatte immer die Möglichkeit, mit dem FC Bayern Titel zu gewinnen. Deswegen hatte ich nie einen Grund, ins Ausland zu gehen, um in einer vielleicht noch besseren Mannschaft zu spielen. Wir haben mit dem FC Bayern die Champions League von 1999 bis 2002 praktisch dominiert.

Frage: In dieser Zeit sind Sie vielen Topstürmern immer wieder begegnet. Entwickelt man mit dem einen oder anderen eine persönliche Beziehung?

Kahn: Ja. Ein Beispiel ist Raul von Real Madrid. Ein sehr freundlicher Typ, mit dem ich mich auch mal während des Spiels unterhalten habe. Man entwickelt gegenseitigen Respekt, wenn man sich immer wieder begegnet. Es passieren Dinge, die für den Zuschauer nicht sichtbar sind. Gerade zum Ende meiner Karriere sind die Gegner sehr respektvoll mit mir umgegangen.

Frage: Sie haben viele wichtige Spiele bestritten, u.a. das WM-Finale 2002 und zwei Champions-League-Finals. Wie sieht die Vorbereitung am Tag des Spiels aus?

Kahn: Die Vorbereitung ist eigentlich immer gleich, egal ob auf ein Bundesligaspiel oder ein WM-Finale. Alles ist irgendwann Routine. Jeder Spieler hat seine eigenen Mechanismen. Der eine spielt Play-Station, der andere Karten. Ich habe immer versucht, meine Anspannung noch zu steigern. Der Druck konnte mir nie groß genug sein. Das kann aber auch lähmend sein und deswegen kann ich es niemandem empfehlen. Manchmal schießt man über das Ziel hinaus. So wie ich damals in Dortmund (Kung-Fu-Attacke gegen Chapuisat, versuchte Biss-Attacke gegen Herrlich, Anm. d. Red.). Ich habe nach und nach begonnen, von der An- in die Entspannung zu gehen.

Frage: Sie waren drei Mal Welttorhüter des Jahres. Wie kommt man zu solchen Ehren?

Kahn: Das erreicht man nur, wenn man sich aufopfert. Man muss bereit sein, alles dem Job unterzuordnen. Tag und Nacht. Jede Auszeichnung ist gefährlich. Man wird schnell zufrieden. Als ich zum ersten Mal Welttorhüter wurde, habe ich sofort zwei Stunden trainiert.

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