"Dieser Hype ist einzigartig"

Von Interview: Jochen Tittmar/Daniel Paczulla
kuranyi, dede
© Getty

München - Das erste Mal - lang ist es her. Genauer gesagt, vor knapp 83 Jahren. Am 3. Mai 1925 in Herne hatten sie sich zum ersten Mal duelliert - Borussia Dortmund gegen FC Schalke 04. Oder wie die Fans es nennen: Lüdenscheid-West gegen Herne-Ost.

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Das Revier-Derby war geboren. Das erste Derby-Tor ging auf das Konto des Dortmunders Willi Fischer, der später noch ein zweites erzielte. Den Sieg sicherten sich aber die Knappen mit 4:2. Die Torschützen hießen Ernst Kuzorra (2), Gustav Kirstein und Otto Wendt.

Seitdem folgten 129 Partien, in denen es fast immer hoch her ging. Wie beim 4:0-Auswärtssieg der Blau-Weißen im September 2000 oder beim 2:0-Heimerfolg der Schwarz-Gelben im vergangenen Jahr. Die Bilanz spricht knapp für die Gelsenkirchener, die 52 Mal den Platz als Sieger verließen - Dortmund gewann 45 Partien.

Dortmunds aktueller Stadionsprecher Norbert Dickel (vier Derbys) und Mike Büskens (15 Derbys), Schalkes Trainer der zweiten Mannschaft, waren bei vielen  Duellen hautnah dabei.

Beide tragen ihre Vereinsfarben im Herzen und sprechen bei SPOX.com über ihre Erfahrungen und Emotionen dieses Duelles vor dem 131. Revier-Derby am Sonntag.

SPOX.com: Am Sonntag ist wieder Derby-Time. Kribbelt es noch bei Ihnen?

Norbert Dickel: Selbstverständlich! Wenn Dortmund gegen Schalke spielt, ist das immer was ganz Besonderes. Da freut sich eine ganze Stadt drauf und ich natürlich auch.

Mike Büskens: Es ist immer noch was Besonderes. Aber es ist nicht mehr Eins-zu-Eins zu vergleichen wie als Spieler. Damals konnte ich noch die Geschehnisse mit beeinflussen. Jetzt nicht mehr. Aber ganz klar, die Rivalität lebt ewig.

SPOX: Welche Derbys haben Sie noch in bester Erinnerungen?

Büskens: Mein erstes Derby war am 22. August 1992. Da haben wir das erste Mal seit 20 Jahren im Westfalenstadion gewonnen. Günter Schlipper und Bent Christensen haben beim 2:0 getroffen. Das war für mich schon ein Highlight. Aber auch, dass Spiel im Januar 2004 hat mir Freude gemacht. Damals hielt Frank Rost zwei Elfmeter. Jan Koller und Torsten Frings haben verballert und Ebbe Sand machte das Siegtor in der 89. Minute. Ich saß auf der Tribüne. Es war angenehm zu sehen, wie betrübt die eine Seite war und wie erfreut wir als Schalker waren. Aber ähnlich verhielt es sich wohl auch im vergangenen Mai.

Dickel: Natürlich vergangenes Jahr, als Schalke noch Meister werden konnte. Das werde ich nicht vergessen. Das war sicherlich emotional das Schönste, das wir in den letzten Jahren erlebt haben. Für mich war es als noch Toni Schumacher auf Schalke gespielt hat. Wir haben ja früher auch miteinander gespielt (in Köln, Anm. d. Red.), da habe ich ihm in Dortmund einen rein gemacht.

SPOX: Was macht diese Derbys aus?

Dickel: Wir sind ja nur 30 Kilometer auseinander. Es ist einfach eine gelebte Rivalität. Ein Dortmunder kann kein Schalke-Fan sein und umgekehrt. Das ist seit Generationen überliefert und ich denke, diese Kultur sollten wir auch beibehalten.

Büskens: Du kannst als Außenstehender viel über dieses Spiel hören. Aber du musst es gespielt haben, um es zu fühlen, was es für die Leute bedeutet. Im Pott wird der Fußball gelebt und ist nicht nur ein Hobby, sondern stellt auch einen großen Lebensinhalt dar. Dieser Hype, das Mitfiebern der Menschen ist einzigartig. Das ist eine gewachsene Rivalität. Wenn du als Spieler der Königsblauen in diesen Signal-Iduna-Park einläufst, dann ist es einfach etwas Besonderes. Diese verbalen Anfeindung, die aber im Rahmen bleiben müssen, motivieren und stimulieren zusätzlich. Ich habe es immer genossen, wenn ich aus diesem Tunnel rausgekommen bin. Dann guckst du nach links und siehst diese andersfarbige Wand, wo die Leute dir nicht alle wohlgesonnen sind. Das motiviert und ist wunderbar.

SPOX: Würden Sie sich freuen, wenn der Erzrivale absteigen würde?

Dickel: Nein! Da würde der Bundesliga etwas fehlen. Es ist ja auch nicht so, dass ich die Schalker hasse. Bei dem Golfklub, den wir gegründet haben, die GOFUS, der sich für soziale Zwecke engagiert, sind auch viele Schalker dabei. Aber trotz allem vergisst man jede Freundschaft, wenn Dortmund gegen Schalke spielt. Da wird ein bisschen gefrotzelt und das muss auch so sein.

Büskens: Eigentlich möchtest du nicht, dass sie absteigen. Denn dann gibt es diese Derbys nicht mehr. Die sollen nur immer unter dir bleiben.

SPOX: Bewegen sich die Derbys noch im Bereich des Erlaubten, wenn man gerade die Vorkommnisse rund um das letzte Derby betrachtet?

Dickel: Ich muss sagen, Schlägereien finde ich grundsätzlich scheiße. Wir können uns verbal auseinander setzen, aber es muss nicht alles abgrundtief beleidigend sein. Eine gesunde Rivalität ist gut, man muss ein paar Sprüche machen dürfen und dann ist es gut.

Büskens: Das letztjährige Derby in Lüdenscheid konnte ich nicht hautnah miterleben. Deswegen ist es für mich schwer ein Urteil abzuliefern. Was ich beschämend fand, war die Tatsache, dass gestandene Profis (Roman Weidenfeller, Sebastian Kehl, Christoph Metzelder, Anm. d. Red.) in der Öffentlichkeit T-Shirts (Meister der Herzensbrecher - zweizunull, Anm. d. Red.) verkauft haben, die den Gegner verhöhnt haben. Man kann sich als Spieler darüber freuen, kann dem Gegner nicht viel gönnen. Aber ich finde es nicht sportlich, durch solche Aktionen die Brisanz eines Derbys weiter anzuheizen. So eine T-Shirt-Verkauf weckt so viele Emotionen. Da haben wir als Profis eine gewisse Verantwortung gegenüber den Leuten, die mit ihren Familien in Stadion gehen möchten.

SPOX: Letzte Saison entschied sich die Meisterschaft im Derby...

Büskens: Es war niederschmetternd! Es war eine Riesen-Chance, die man sich durch die Lappen hat gehen lassen. Es ist traurig und schmerzvoll, aber der BVB hat die Partie verdient gewonnen.

Dickel: Man darf nicht vergessen, dass wir durch den Sieg auch endgültig den Klassenerhalt gesichert haben. Es war ja nicht nur so, dass Schalke nicht mehr, oder nur sehr schwer deutscher Meister werden konnte, sondern wir auch nicht abgestiegen sind. Das war natürlich eine Kombination, die jedem Dortmund-Fan super gefallen hat.

SPOX: Wie wird das Derby am Sonntag ausgehen?

Dickel: Ich bin davon überzeugt, dass wir gewinnen werden. 2:1 oder 3:1. Damit die Verhältnisse im Ruhrgebiet wieder einigermaßen gerade gerückt sind.  

Büskens: Ich tippe auf einen Auswärtssieg. Vielleicht so wie 2004. Nur diesmal verschießen Sebastian Kehl und Christian Wörns die Elfer, und Asa tickt den Ball irgendwie über die Linie.

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