Gerührt, geschüttelt, ab nach China!

Von Oliver Kucharski
Kuranyi, Westermann, Bordon, Schalke, Stuttgart
© Getty

München - Kuranyi macht rotzfrech den Gomez und Kehl trifft spektakulär mit dem Hintern. In die Alternative Liste hat es aber nur einer von beiden geschafft.

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Wenn sich Friedhelm Funkel emotional mal so richtig gehen lässt, Thomas Schaaf die normative Kraft des Faktischen auf ein neues Level hievt, Mirko Slomka die Linie 944 nehmen muss und ein Torschütze erst richtig schön jubelt und dann noch schöner heult - dann ist die AL des 18. Spieltages auch fast schon wieder voll.

Parodie, unverschämte: Da macht Kevin Kuranyi also zwei Tore gegen seinen Ex-Klub (ausgerechnet!) und feiert das zweite auch noch mit einer dreisten Parodie des Gomez'schen Jubels (unverschämt!!). Wir sind bestürzt und sagen: So nicht! Unkollegial! Jogi Löw hat's hoffentlich gesehen! Doch Gerechtigkeit siegt, denn ...

Fashion Crimes: ... in all dem Jubel entledigte sich Kuranyi seines Trikots - und das gibt ja immer Gelb und manchmal eine Sperre. So auch für Kuranyi, das Derby gegen Dortmund findet nun ohne ihn statt. Vielleicht macht Kuranyi dann wieder den TV-Experten. Wie einst gegen Chelsea, als er mit dieser unverschämt schicken, rot-schwarz karierten Tweed-Komposition modisch bahnbrechende Akzente setzte. Würde ein bisschen versöhnen.

Jubel, gerührt: Temporär emotional verwirrt war dagegen der Neu-Cottbuser Michal Papadopulos. Nachdem er gegen Ex-Klub Leverkusen zum 1:0 genetzt hatte (ausgerechnet!), erging er sich zunächst in überbordender Freude - um sich dann des ehrvollen englischen Usus' zu erinnern, Tore gegen den Ex-Klub nicht zu bejubeln. Papadopulos blieb auf der Stelle stehen - und brach in einer Art emotionaler Selbstkorrektur urplötzlich in Tränen aus. Rührend! So rührend!

Jubel, geschüttelt: Weitaus unemotionaler ging Duisburgs Iulian Filipescu das Problemfeld Torjubel an. Die 1:0-Führung gegen Dortmund ließ den Gefühlshaushalt des Rumänen völlig kalt. Kein Schrei, kein Jubel, keine Faust, kein gar nichts. Lethargie pur. Anders die Teamkollegen, die umgehend ein amtliches Moshpit um Filipescu veranstalteten. Was Sportkamerad Filipescu natürlich völlig unbeeindruckt ließ.

Liebe auf den ersten Blick: Verzückt, entrückt, betört, so stand dagegen Friedhelm Funkel, sonst die spröde Prosa in Person, nach dem Sieg in Berlin am Spielfeldrand. Und warum? Weil Martin Fenin in seinem ersten Pflichtspiel für Frankfurt geschmeidige drei Tore erzielt hatte. Und da geriet der Eintracht-Coach hemmungslos ins Schwärmen. Von wegen "wir werden noch viel Spaß an dem Jungen haben", und so fort. Weil in Deutschland ein gewisses Maß an Pessimismus aber zum guten Ton gehört, sei Herrn Funkel kurz noch schnell ein Zitat von George Bernhard Shaw als Euphorie-Bremse zwischen die Beine geworfen:  "Liebe auf dem ersten Blick ist ungefähr so zuverlässig wie Diagnose auf den ersten Händedruck."

Bus und Bahn: Dankbar den öffentlichen Nahverkehr wird wohl Mirko Slomka gepriesen haben, nachdem er Duisburg vs. Dortmund live im Stadion verfolgt hatte und auf dem Parkplatz feststellen musste, dass ein paar rotzlöffelige (mutmaßliche!) BVB-Fans seine Reifen aufgeschlitzt hatten. So bestieg Slomka also den Bus 944 Richtung Hauptbahnhof, nahm dort die Regionalbahn RE2 gen Gelsenkirchen und war nach gerade mal 44 Minuten ganz ohne Stau im Schalker Vereinsheim angekommen. Ein schöner Gedanke eigentlich. Aber wahrscheinlich hat Slomka doch nur ein Taxi genommen.

Spröde Prosa, I: Gesprächspartner, glitschig wie ein Aal und spröde wie ein Reisbrett sind die natürlichen Feinde eines jeden Field-Reporters. Dessen Aufgabe: Emotionen vom Spielfeldrand ins heimische Wohnzimmer transportieren. Mit einem ausgebufften Fuchs wie Dieter Hecking nicht zu machen. Hohnlächelnd weicht er jeder noch so kumpelnden Frage aus. "Einen Punkt in Hamburg geholt: Wie hat Ihnen Ihre Mannschaft heute gefallen?" - "Gut." "Und, wie fühlen Sie sich jetzt?" - "Wir freuen uns." Zurück ins Funkhaus.

Spröde Prosa, II: Ähnliches Spiel bei Thomas Schaaf nach der Heim-Pleite gegen Bochum. Frage: "1:2 gegen Bochum, was bedeutet das jetzt?" Antwort: "Das bedeutet, dass wir drei Punkte nicht geholt haben." Eine Aussage, bei der die normative Kraft des Faktischen auf ein neues Level gehievt wird. Immerhin: Das mit den Emotionen, dem Transportieren und dem Wohnzimmer hat hier vorbildlich funktioniert, wenn auch nonverbal - Schaafs war sichtlich angefressen.

Überzeugung, feste: Eine Überzeugung ist das feste Vertrauen in die grundlegende Richtigkeit der eigenen Anschauungen. Sagt die Theorie. In der Praxis hatte sich bei Hamburgs Dietmar Beiersdorfer so ungefähr in der 39. Minute nun diese sehr, sehr feste Überzeugung gebildet, beim Strafstoß für Hannovers Szabolcs Huszti handele es sich um eine krasse Fehlentscheidung. Einer Zeitlupe ansichtig geworden, die die Rechtmäßigkeit des Elfers zweifelsfrei bewies, blieb Beiersdorfer jedoch stur und uneinsichtig: Fehlentscheidung, Basta! Der Weg von Überzeugung zu Starrsinn ist halt manchmal doch ein kurzer.

Der Marsch der Ignorierten: Jämmerliche 13.000 Zuschauer hat es am Samstag ins Cottbuser Stadion der Freundschaft verschlagen. Dass Cottbus hierzulande so geschmäht wird - es muss ein Ende haben! In China hat Cottbus Fantastilliarden von Fans, deren Herz nur für die Rumpler aus der Lausitz schlägt. Vorschlag: Energie wandert aus, tritt geschlossen den langen Marsch an und spielt im Reich der Mitte um die Meisterschaft. Und nimmt vielleicht auch gleich die Hertha mit - die wollte ja auch wieder kaum einer sehen. 

Und überhaupt Cottbus: Gegen Leverkusen debütierte am Samstag der Neu-Cottbuser Dusan Vasiljevic, der im Winter spektakulär vom Weltklub Kaposvan RFC losgeeist worden war. Zuvor war der serbische Edelkicker für so illustre Teams wie Elöre FC Bekescsaba, Radnicki Obrenovac und FK Mogren Budva aufgelaufen. Und auch so etwas muss halt einfach mal erwähnt werden.

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