"Ich habe Veh noch nie wütend erlebt"

Von Interview: Alexis Menuge
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© Imago

München - Sieben Niederlagen in acht Spielen, fünf Pleiten in Folge: der deutsche Meister VfB Stuttgart ist in kurzer Zeit sehr tief gefallen.

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Ein Problem der Schwaben ist die Verletzenmisere. Matthieu Delpierre, in der vergangenen Saison eine Bank in der Abwehr, machte wegen einer Patellasehnen-Verletzung seit drei Monaten kein Spiel mehr.

Im Interview mit SPOX.com verrät der 26-Jährige vor dem Heimspiel gegen Bayer Leverkusen (Sa., 15.30 Uhr im SPOX-LIVE-TICKER und bei Premiere) woran es beim VfB hapert, wie der Verein aus der Krise kommen soll und ob Armin Veh auch mal laut werden kann.

SPOX: Matthieu Delpierre, im vergangenen Sommer haben Sie Ihren Vertrag beim VfB Stuttgart um vier Jahre verlängert. Haben Sie die Entscheidung schon bereut?

Matthieu Delpierre: Nein, keine Sekunde. Ich bin hier richtig glücklich, fühle mich in der Stadt wohl. Der VfB hat großes Potenzial, auch wenn es zur Zeit nicht rund läuft. Ich hatte Angebote, aber ich habe nie daran gedacht, den Verein zu verlassen.

SPOX: Vom Meister zum Krisen-Klub in wenigen Monaten - was hat sich seit der vergangenen Saison beim VfB verändert?

Delpierre: Als deutscher Meister erwartet jeder, dass wir in Rostock oder in Karlsruhe gewinnen. Aber wir haben dort verloren. Dadurch wurde der Druck immer größer. Wir haben immer weniger Selbstvertrauen, weil wir immer mehr Spiele verlieren. Wir trauen uns auf dem Platz fast nichts mehr zu.

SPOX: Viele Spieler scheinen wie verwandelt. Was ist zum Beispiel mit Serdar Tasci los?

Delpierre: Für junge Spieler wie Serdar ist es schwierig, mit so einer Situation umzugehen. Er ist damit zum ersten Mal in seiner Karriere konfrontiert. Aber ich bin fest davon überzeugt, dass ihn diese Krise weiterbringen wird. Man braucht solche Momente um zu lernen und um sich weiterzuentwickeln.

SPOX: Die Defensive wirkt völlig verunsichert.

Delpierre: Das ganze Kollektiv funktioniert nicht mehr so wie noch vergangene Saison. Für unsere Krise gibt es im Endeffekt viele Gründe: Viele Verletzte, dann Spieler, die zwar spielen, die aber noch nicht bei 100 Prozent sind. Das hat man zuletzt gegen Olympique Lyon gesehen: Nach einer guten ersten Halbzeit hatten wir nach der Pause nicht mehr genug Kraft, um das Spiel zu gewinnen. In der letzten Saison hätten wir das geschafft. Von der ersten bis zur letzten Minuten konnten wir Gas geben. Unser Problem ist derzeit vor allem körperlich.

SPOX: Haben einige Spieler vergangene Saison über ihre Verhältnisse gespielt?

Delpierre: Es ist extrem schwer, nach einer Meisterschaft wieder alles zu geben, vor allem körperlich. In der vergangenen Saison haben wir alles gegeben, sowohl physisch als auch psychisch. Der HSV hatte übrigens genau dieselben Probleme und fand in der Rückrunde doch wieder zu alter Stärke zurück.

SPOX: Der HSV als Vorbild?

Delpierre: Auf jeden Fall. Wir werden in der Rückrunde viel besser abschneiden.

SPOX: Wie soll das gehen?

Delpierre: Wir brauchen einfach ein Erfolgserlebnis. Leider verlieren wir eine Partie nach der anderen und können kein Selbstvertrauen tanken. Im Gegenteil. In unserer Situation würde uns sogar ein Unentschieden gut tun, um Schritt für Schritt wieder eine positive Dynamik zu bekommen.

SPOX: Armin Veh wirkte nach dem Spiel gegen Lyon niedergeschlagen...

Delpierre: Diese Phase ist für alle schwer, weil niemand mit einem solchen Start gerechnet hatte. Am Mittwochmorgen war der Trainer wieder gut drauf. Wir werden nicht aufgeben. Wir halten weiterhin zusammen. Wir werden kämpfen.

SPOX: Hat Veh vor der Mannschaft schon mal richtig auf den Tisch gehauen?

Delpierre: Ich kann das schwer beantworten, weil ich oft bei der Reha war. Aber ich habe ihn noch nie wütend erlebt.

SPOX: Fehlt beim VfB nicht jemand, der mal dazwischenhaut?

Delpierre: Man kann tausend Mal auf dem Tisch hauen, aber entscheidend bleibt das, was auf dem Platz passiert. Jeder ist sich der schwierigen Situation bewusst. Wir müssen auf dem Platz ein anderes Gesicht zeigen.

SPOX: Die Fans haben langsam keine Geduld mehr. Können Sie die Pfiffe verstehen?

Delpierre: Absolut. Unsere Fans waren sehr geduldig mit uns. Ich habe sie schon anders erlebt vor ein paar Jahren...

SPOX: Hat der Meistertitel der Mannschaft im Endeffekt geschadet?

Delpierre: Wir haben hart gearbeitet und den Titel verdient gewonnen. Was wir derzeit durchmachen ist zwar schwer, aber vielleicht wird uns diese Erfahrung weiterbringen. Unser Ziel ist es, dauerhaft oben mitzuspielen. So wie es der FC Bayern und Werder Bremen konstant schaffen.

SPOX: War es ein Fehler, Timo Hildebrand gehen zu lassen?

Delpierre: Wir vermissen ihn nicht. Spieler kommen und gehen. Timo war ein wichtiger Bestandteil des Klubs, aber mit Raphael Schäfer haben wir einen sehr guten Torwart verpflichtet. Außerdem hat er viel Verantwortung übernommen. Er hat eine große Rolle beim Pokalsieg der Nürnberger in der vergangenen Saison gespielt. Er wird es hier packen. Gegen Lyon war er bester VfB-Mann auf dem Platz.

SPOX: Die weiteren Zugänge haben dem VfB nicht weitergeholfen.

Delpierre: Sie hatten aber auch viel Pech. Einen Bastürk in Top-Form brauchen wir unbedingt, Ewerthon hatte Probleme, aber auch er wird seinen Weg machen. Dass ein Marica Anpassungsprobleme hat, ist ganz normal. Jeder braucht seine Zeit.

SPOX: Sie spielen jetzt gegen Leverkusen, Nürnberg, Lyon und Bayern. Ist da der weitere Fall schon programmiert?

Delpierre: Für uns ist es die große Chance, gegen solche Gegner aus der Krise raus zu kommen.

SPOX: Was macht Sie so optimistisch?

Delpierre: Wir besitzen einfach zuviel Potenzial und Qualität, um lange da unten zu bleiben. Bald ist diese schwarze Serie zu Ende. Ich glaube keine Sekunde daran, dass die Krise ewig weitergeht.

SPOX: Wann werden Sie wieder spielen können?

Delpierre: Ich will dem VfB schnell helfen. Leverkusen kommt noch zu früh, aber vielleicht bin ich im DFB-Pokal gegen Paderborn dabei. Ich muss vorsichtig sein, da ich auch nicht so oft mit der Mannschaft trainiert habe. Ich werde Zeit brauchen, um meinen Rhythmus zu finden. Aber ich will auch kein Risiko eingehen, da mein Knie noch nicht ganz in Ordnung ist.

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