Das Momentum bockt

Von Haruka Gruber
Veh, Higl, Heldt
© Getty

München - Es war ein Tor. Ein Ball lag im Netz. Eine Mannschaft ging in Führung. Es klingt banal.

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Aber was damals geschah, war mehr als das. Mehr als ein Ball im Tor, mehr als jede Statistik. Es war ein Augenblick, bei dem jeder begriff, dass das Pendel des Schicksals ausgeschlagen hat.

Stuttgart war platt. Im Heimspiel gegen Hannover stand es nur 1:1. Stuttgart war durch. 96 schnürte den VfB ein und drängte auf den Siegtreffer. Stuttgart war ausgepumpt. Im Titelkampf gegen Schalke und Bremen wäre schon ein Remis eine vermeintlich zu große Hypothek gewesen.

Aber dann passierte das, was der phrasenliebende Sport-Kommentator mit den Worten "Das Momentum hat sich gedreht" beschreibt. Aus dem Nichts, als ob eine höhere Macht es so wollte, stolperten Hannovers Hanno Balitsch und Dariusz Zuraw den Ball ins eigene Tor. Stuttgarts Siegtreffer.

Platt, durch, ausgepumpt

Rund sechs Monaten ist es her und das Ende ist bekannt. Der VfB galoppierte mit dem Momentum im Gepäck zu weiteren fünf Siegen und der Meisterfeier auf dem Schlossplatz.

Das Blöde mit dem Momentum ist aber, dass es gerne mal bockt. Am Samstag traf Stuttgart erneut auf Hannover. Nur mit dem Unterschied, dass das Momentum diesmal keine 180-Grad-Wende vollführen wollte.

Stuttgart war platt, durch, ausgepumpt - und verlor verdient mit 0:2. Kein Pendel des Schicksals, keine höhere Macht: Der Meister kassierte die fünfte Pflichtspiel-Niederlage in den letzten 18 Tagen.

"Ob wir eine handfeste Krise haben? Kann man durchaus so sehen. Wir waren physisch und psychisch richtig down", sagte Trainer Armin Veh. "Wir stecken in einer ganz schwierigen Situation. Auch durch die englischen Wochen haben wir momentan die Physis einfach nicht. Wir müssen schauen, dass wir jetzt ganz schnell regenerieren."

"Rookie-Wand"

Vehs Offenheit in Ehren, Zweifel sind aber angebracht, ob es mit einem Bad im Whirlpool oder einer Massage durch den Physiotherapeuten getan ist. Die Niederlage gegen 96 dient als Blaupause für die Stuttgarter Krise.

Sami Khedira, Serdar Tasci, Roberto Hilbert oder Mario Gomez knallen derzeit mit voller Wucht gegen die aus dem US-Sport bekannte "Rookie-Wand". Als Regionalliga- oder Ersatzspieler furios bis in die Nationalmannschaft durchgestartet, erfahren sie erst mit Verzögerung, wie schwer es ist, konstant auf hohem Niveau zu spielen. Mit allem, was dazugehört: Die körperliche Dauerbelastung, die höhere Erwartungshaltung und analog dazu die kritischere Berichterstattung.

"Es sind immer wieder individuelle Fehler. Von Woche zu Woche", sagte Khedira. Stimmt, unter anderem der von Tasci vor dem 0:1. Oder die zahlreichen Stockfehler Hilberts.

Die Suche nach den Ursachen

Aber nicht nur bei den Youngsters ist dies evident. Kapitän Fernando Meira stolpert sich von verschuldeten Elfmetern bis hin zu Platzverweisen, Ludovic Magnin denkt offenbar mehr an einen neuen Vertrag und bei den seit fünf Jahren ohne Sommerurlaub spielenden Mexikanern Pavel Pardo und Ricardo Osorio sind erste Burnout-Syndrome zu erkennen. Resultat: Die designierten Führungsspieler bräuchten selbst Führung.

Veh sind trotz des Formtiefs jedoch die Hände gebunden. Mathieu Delpierre und Thomas Hitzlsperger sind verletzt, Neuzugänge wie Yildiray Bastürk, Ciprian Marica oder Ewerthon sind aus verschiedensten Gründen bislang keine Hilfe.

Aber lässt sich der schwäbische Niedergang auf die Formel "Unerfahrene Shootingstars, verletzte Leistungsträger, schlechte Transferpolitik" reduzieren? Vermutlich nicht. Die Chemie in der Mannschaft scheint - zumindest von außen betrachtet - noch intakt zu sein. Und auch schnippische Kommentare vom Vereinsvorstand sind nicht zu vernehmen.

"Ich bleibe meiner Linie treu"

Nichtsdestotrotz muss Veh überlegen, ob sein Führungsstil in Anbetracht des Absturzes noch zeitgemäß ist. Seit Wochen läuft bei ihm die Platte "Ich verteidige die Spieler und greife keinen an" auf Dauer-Rotation.

So auch nach dem 96-Spiel: "Ich bleibe meiner Linie treu. Deswegen werde ich nicht auf Spieler draufhauen, weil das keinen Sinn macht und ich auch keinen sehe, bei dem ich das tun müsste."

Veh will demnach nichts ändern. Seine Konsequenz in Ehren, aber ob es das richtige Rezept für die nächsten Gegner ist? Die heißen nämlich Hamburg, Leverkusen, Lyon, Nürnberg und Bayern. Spätestens nach dem Hannover-Spiel müsste Veh wissen, dass das Momentum nicht immer zur Hilfe eilt, wenn man es braucht - so banal das auch klingt.

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