Ballack über Nachwuchs und Trainer: "Wie Spieler beurteilt werden, ist Wahnsinn"

Von SPOX
Michael Ballack pflichtet Mehmet Scholls Meinung über Laptop-Trainer bei.
© getty

Der frühere Nationalmannschaftskapitän Michael Ballack hat in einem Interview über das Training und die Ausbildung der Spieler in Deutschland gesprochen und dabei erhebliche Defizite identifiziert. Die Kritik Mehmet Scholls an Laptop-Trainern kann er nachvollziehen. Man müsse den besten Spielern gewisse Freiheiten zugestehen. Auch eine Hierarchie im Team sei wichtig.

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Ballacks früherer Nationalmannschaftskollege Mehmet Scholl hatte mit seiner Kritik an der neuen Trainer-Generation und der Fokussierung auf Systeme in der Ausbildung der Spieler für Schlagzeilen gesorgt. Ballack schlug im Interview mit dem kicker in eine ähnliche Kerbe: Bei der Beurteilung der Spieler werde zu wenig Wert auf das Individuelle gelegt.

"Reaktionszeiten werden gemessen, Stresssituationen werden simuliert, Schlafverhalten wird analysiert, Essverhalten, wie reagiert der Körper? Alles abrufbar. Die Kontrolle der Spieler hat überhandgenommen. An diesen Daten werden die Spieler, wenn auch subjektiv, beurteilt. Das ist eigentlich Wahnsinn", so der 41-Jährige.

All das dürfe "nicht zulasten der individuellen Qualität gehen". Spieler, die am Ende den Unterschied machen, seien oft schwierige Charaktäre, "sie wissen selber, dass sie das gewisse Etwas haben, nehmen sich manchmal Sachen raus, die schwierig zu vermitteln sind in der Gruppe." Hier sei Menschenführung elementar wichtig. "Aber ist die Qualität von Jugendtrainern wirklich hoch genug, um das zu beurteilen?"

Ballack: Fokussierung auf Athletik und System hat überhand genommen

Dabei wünscht sich Ballack vor allem das Einbinden ehemaliger Spieler: "Wir sollten die Qualität von Ex-Spielern auf allerhöchstem Niveau mehr in den Fußball einbinden, vor allen Dingen in den Jugendbereich."

Die Fokussierung auf Athletik und System habe bereits im Jugendbereich überhand genommen: "Mit einer schwächeren Mannschaft, die sehr gut organisiert ist, kann man gegen stärkere Mannschaften bestehen. Somit liegt der Schwerpunkt ganz klar auf diesem mannschaftsorientierten Bereich." Die Nachwuchstrainer würden sich in dieser Frage dann an den Profis orientieren.

Die jüngere Trainergeneration habe "sicherlich eine gute Trainerausbildung, aber oft relativ wenig Erfahrung im absoluten Spitzenbereich." Es gebe schließlich einen Grund, warum diese Trainer als Spieler nicht auf höchstem Niveau gespielt hätten: "Danach sind sie vielleicht den Weg des Trainers gegangen, was legitim ist. Wenn wir ehrlich sind, hinterfragen wir: Sind das die Leute, die vorgeben, was richtig ist, was falsch ist, wo die Entwicklung hingeht?" Theorie und Praxis seien auf diesem Level unterschiedliche Dinge.

Ballack: "Hierarchie für eine Mannschaft ganz wichtig"

Ballack betonte, dass man Spieler je nach Veranlagung und Charakter unterschiedlich behandeln müsse: Er sei ohne die oft bemühten flachen Hierarchien groß geworden: "Die Hierarchie ist für eine funktionierende Mannschaft ganz wichtig. Der schlimmste Satz von einem Trainer ist, wenn er sagt: "Ich behandle alle gleich". Das geht gar nicht. Ich kann nicht alle Spieler gleich behandeln, denn es sind nicht alle Spieler gleich." Schwächere Spieler müssten ihre Funktion in der Mannschaft akzeptieren.

In den entscheidenden Spielen, etwa in der Champions League, käme es am Ende auf die Individualisten an: "Es gibt Spieler, die geben den Ton an. Wenn sie das in der richtigen Art und Weise machen, dann akzeptieren das alle anderen Spieler auch. Diese Systematisierung des Fußballs, des Teams, die Gleichmacherei von Spielern ist endlich."

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