Common-Goal-Gründer Jürgen Griesbeck im Interview über Juan Mata und die Anfangszeit

Juan Mata ist Mitbegründer von Common Goal
© Common Goal

Im Sommer hat Jürgen Griesbeck gemeinsam mit Juan Mata Common Goal ins Leben gerufen. Dabei verfolgt er das langfristige Ziel, dass ein Prozent aller Umsätze der Fußballindustrie in soziale Projekte fließen. Im Interview spricht Griesbeck über Widerstände, gefährliche Projekte und aufkommende Kritik.

Anzeige
Cookie-Einstellungen

SPOX: Herr Griesbeck, seit August erfährt das Projekt Common Goal immer mehr öffentliche Wahrnehmung. Die Wurzeln Ihres sozialen Engagements liegen aber schon einige Jahre zurück: 2002 haben Sie die Initiative Streetfootballworld gegründet. Wie kam es dazu?

Jürgen Griesbeck: Der Auslöser war der Mord an Andres Escobar nach seinem Eigentor bei der WM 1994. Ich habe zu dieser Zeit in Kolumbien gelebt und wollte meine Feldarbeit für meine Promotion machen, aber stattdessen habe ich mich dann mit der Gewalt in Kolumbien auseinandergesetzt und nach Lösungen gesucht. Diese Suche brachte mich zum Fußball. Es war für mich unglaublich zu sehen, dass bewaffnete und befeindete Jugendbanden bereit waren, ihre Gewehre zur Seite zu legen, um Fußball zu spielen. Sie einigen sich auf Regeln, danach erschießen sie sich jedoch wieder, wenn sie sich auf der Straße begegnen. Die Frage war dann, wie kann man die Magie des Fußballs nutzen, um auch außerhalb des Platzes Konflikte gewaltfrei zu lösen.

SPOX: Und was haben Sie dann konkret unternommen?

Griesbeck: Ich habe in Kolumbien das Projekt Fußball für den Frieden gegründet. Als ich merkte, dass es ähnliche Projekte in vielen unterschiedlichen Ländern gab, diese aber nicht voneinander wussten und deshalb häufig das Rad neu erfunden haben, habe ich streetfootballworld ins Leben gerufen. Streetfootballworld vernetzt die mittlerweile 125 selbstständigen Organisationen miteinander und so erreichen wir tagtäglich etwa 2,5 Millionen benachteiligte Jugendliche.

SPOX: Sie haben sich mit der Gewalt in Kolumbien auseinandergesetzt - kein ungefährliches Unterfangen.

Griesbeck: Rückblickend betrachtet war es auf jeden Fall gefährlich, aber in dem Moment ist ein gewisses Maß an Naivität und Gutglaube ganz gesund und vielleicht sogar die Lebensversicherung. Mir wurde eine gewisse Portion Anerkennung entgegengebracht, weil ich mich als Ausländer für den lokalen Frieden einsetzte. Aber in der Stadt, in der ich gelebt habe, gab es jährlich 5.000 Jugendliche, die durch Gewalt starben. Egal ob eine Favela in Brasilien oder die ländlichen Gegenden in Indien - die Arbeit findet an der Front der sozialen Problematik statt.

SPOX: Wie schwierig war es, streetfootballworld zu etablieren?

Griesbeck: Streetfootballworld etabliert sich ja nirgendwo konkret. Es sind lokal gewachsene Organisationen, die ein lokales Problem lösen wollen und den Fußball als Hilfsmittel heranziehen, weil sie davon überzeugt sind, so ihre Ziele, nämlich die Problemlösung, besser und schneller zu erreichen. Strukturell gesehen war und ist das nicht immer einfach. Seitens der Regierungen gibt es Unterstützung, seitens der Verbände gibt es aber Skepsis, weil sie das Gefühl haben, wir greifen in das Hoheitsgebiet der Verbände ein. Für die Jugendlichen selbst geht es darum, Fußball zu spielen. Sie bauen Vertrauen auf und Fußball ist unsere gemeinsame Sprache.

SPOX: Wie ist Common Goal in diesen Kontext eingebettet?

Griesbeck: Mit Hilfe von streetfootballworld hat sich ein Handlungsfeld etabliert, das Fußball systematisch nutzt, um soziale Veränderungen zu erzielen. Und es funktioniert. Parallel dazu hat sich der Fußball zu einer Industrie entwickelt, die wirtschaftlich einen hohen Umsatz erzielt. Nun galt es, eine Brücke zu schlagen. Derzeit haben Spieler, Vereine, Verbände und Konföderationen jeweils eigene Zielsetzungen, aber es fehlt eine gemeinsame Vision. Bei Common Goal betrachten wir die Fußball-Industrie als Gesamtes und wollen konsistent und systematisch die Kraft des Fußballs nutzen. Das große Ziel ist es, von allen Gehältern, Transfers und Sponsoreneinnahmen, einfach von allen durch Fußball generierten Einnahmen, ein Prozent in wohltätige Zwecke fließen zu lassen.

SPOX: Mittlerweile machen 35 Akteure mit, darunter auch Julian Nagelsmann und Mats Hummels. Wie vermarktet man so eine Idee?

Griesbeck: Fußball ist kein Kühlschrank und kein Auto, sondern ein soziales Phänomen - niemand kann Fußball für sich patentieren. Der Ansatz vermarktet sich also eigentlich von selbst, wenn man sich wirklich damit auseinandersetzt. Vorab mussten wir unsere Hausaufgaben erledigen und eine Umsetzungsstruktur entwickeln, das haben wir mit streetfootballworld geschafft. Als die Voraussetzungen geschaffen waren, habe ich ein Interview von Juan Mata im spanischen Fernsehen gesehen, in dem er gesagt hat, dass er sofort bereit wäre, weniger Geld zu verdienen. Wir hatten auf Anhieb gute Gespräche und sind gemeinsam mit ihm als erstem Spender an die Öffentlichkeit gegangen. Juan Mata ist Mitbegründer von Common Goal.

SPOX: Erst nach und nach sind weitere Spieler Matas Beispiel gefolgt. Woran machen Sie den schleichenden Prozess fest?

Griesbeck: Bevor wir an die Öffentlichkeit gegangen sind, war es extrem schwierig. Wir sind häufig gar nicht an den Gatekeepern, also meistens den Spielerberatern, vorbeigekommen. Als wir es publik gemacht haben, gab es keine Ausreden mehr, alle hatten Zugang zur Information und die Dynamik hat sich geändert. Plötzlich sind Spieler auf uns zugekommen, Giorgio Chiellini zum Beispiel hat uns eine herzerwärmende E-Mail geschrieben. Wir konnten erst gar nicht glauben, dass er es wirklich ist, bis wir ihn bei Skype gesehen haben. Der Schneeball ist langsam ins Rollen gekommen, zuletzt hat sich sogar UEFA-Präsident Aleksander Ceferin angeschlossen.

SPOX: Wie läuft die Akquirierung von neuen Mitgliedern ab?

Griesbeck: Common Goal wird wie ein Sozialunternehmen geführt und es gibt dementsprechend eine klare Zielvorgabe und natürlich auch eine Liste mit Namen, mit denen wir in Kontakt sind oder die wir zeitnah kontaktieren wollen. Gleichzeitig freuen wir uns darüber, dass bereits ein organischer Prozess stattfindet. Mitglieder gehen auf ihre Kollegen zu und diese kontaktieren uns. In zehn Jahren wollen wir 100 Prozent der Fußball-Industrie konvertiert haben. Das eine Prozent soll Standard werden und wir sind sehr zuversichtlich, dass wir damit die soziale Wirkung vervielfachen können. Das ist ja der Grund, warum wir unsere Arbeit tun.

SPOX: Klingt nach einem ambitionierten Ziel.

Griesbeck: Auch wenn da eine Portion Idealismus mitschwingt, halten wir das für realistisch. Bis uns die Realität etwas anderes zeigt, werden wir nicht davon abweichen.

SPOX: Wird jeder Spieler mit offenen Armen empfangen oder würden Sie bei Spielern, bei denen etwa Steuervergehen nachgewiesen wurden, einen Image-Schaden fürchten?

Griesbeck: Gerade zum Start ist die Reputation enorm wichtig, bisher mussten wir aber ohnehin bei keinem Spieler einen Image-Schaden befürchten. Da wir letztlich eine Standardisierung anstreben, wollen wir am Ende alle im Boot haben. Und zwar wirklich alle. Wir sind nicht verantwortlich dafür, wie sich eine Person im Leben verhält.

Inhalt:
Artikel und Videos zum Thema