"Nebenan schlug eine Panzerfaust ein"

Michael Krüger betreut seit 2015 die U23 von Hannover 96
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SPOX: Der Fußball, der dort gespielt wurde, hatte sicher wenig mit dem zu tun, wie man ihn in Deutschland kannte.

Krüger: Das würde ich so gar nicht sagen. Es war nicht so, dass ich meinen Spielern erst einmal beibringen musste, einen Fuß vor den nächsten zu setzen - im Gegenteil. Gerade von den Nordafrikanern wurde damals schon sehr guter Fußball gespielt. Arab Contractors war ein sehr strukturierter Klub, alle Verantwortlichen waren gebildete Leute, die gut Englisch sprachen. Was ihnen noch fehlte, waren vor allem die deutschen Tugenden wie Disziplin und Pünktlichkeit. Auch waren sie es nicht gewohnt, dass knallharte Entscheidungen gefällt wurden. Deshalb holten sie mich.

SPOX: Sahen Sie durch diesen Wechsel aber nicht trotzdem auch die Gefahr eines persönlichen sportlichen Abstiegs?

Krüger: Nein, absolut nicht. Ich habe mich dort sehr schnell sehr wohl gefühlt. Ein Jahr nachdem ich übernommen hatte, gewannen wir sogar schon den Afrikacup der Pokalsieger. Plötzlich war ich ein Nationalheld. Dabei war der Weg ins Finale schon verrückt genug. Was ich dort an Korruption erlebte, hätte ich mir vorher nie erträumen lassen.

SPOX: Erzählen Sie eine Anekdote.

Krüger: In der ersten Runde mussten wir nach Ruanda, nachdem wir das Hinspiel in Kairo nur mit 2:1 gewonnen hatten. Nach 90 Minuten stand es 0:0, sodass der Schiri eine Viertelstunde länger spielen ließ. Als ich aufstehen wollte, um meine Meinung dazu kundzutun, legte mir ein Soldat seine Kalaschnikow auf die Schulter und sagte nur: "Sit down." Abends beim Bankett fragte ich den Schiedsrichter, wie viel er bekommen hatte. Da zeigte er mir stolz seine Rolex.

SPOX: Waren Sie schockiert oder mussten Sie schmunzeln?

Krüger: In dem Moment hat es mich nicht schockiert, da wir eine Runde weiter waren. Alle Korruption hatte nichts genutzt. Trotzdem sind das Momente, die haften bleiben.

SPOX: Die Erfahrung in Ägypten war offenbar nicht extrem genug. Gleich dreimal zog es Sie in den vergangenen sieben Jahren in den Sudan zum SC Al-Merreikh. Fanden Sie dort ähnliche Bedingungen vor?

Krüger: Insgesamt hatte ich auch dort eine wundervolle Zeit mit einer tollen Truppe. Es hat mir Spaß gemacht. Der afrikanische Kontinent ist unglaublich schön, weshalb ich über die aktuelle Entwicklung in einigen Ländern wirklich sehr traurig bin. Risikofrei war der Job bei Al-Merreikh aber auch nicht.

SPOX: Sie kamen einmal sogar nur knapp mit dem Leben davon.

Krüger: Das war 2008 vor unserem letzten Spiel vor der Sommerpause. In einem kleinen Hostel, nicht weit vom Stadion, hatten wir einen Besprechungsraum, in dem wir uns immer vor unseren Spielen trafen. An diesem Nachmittag hörten wir aber plötzlich Schüsse und auf den Straßen stiegen Rauchschwaden auf, die immer näher kamen. Erst nach einiger Zeit stellte sich heraus, dass eine Gruppe von schwerbewaffneten Rebellen versuchte, in Khartum einzufallen. Die Situation war komplett dramatisch. Nicht weit von uns entfernt schlug eine Panzerfaust ein, durch die auch bei uns die Fensterscheiben zu Bruch gingen. Über das Handy hatten wir Kontakt zu unserem Präsidenten, der uns nur empfahl, uns einzuschließen, zu verstecken und irgendwie zu überleben.

SPOX: Wie entkamen Sie der brenzligen Lage?

Krüger: Wir mussten alle Lichter und den Strom ausstellen, um keine Aufmerksamkeit zu erregen. Somit war auch die Klimaanlage aus. Erst um Mitternacht hat uns ein Militärkonvoi dort rausgeholt. Wir sind an brennenden Autos und enthaupteten Körpern vorbeigefahren. Diese Bilder werde ich nie vergessen.

SPOX: Waren Sie sich der Qual bewusst, die Ihre Familie hier in Deutschland nach diesen Erzählungen durchlebte?

Krüger: Während sich diese Szenen abspielten, wusste niemand etwas davon, da wir nicht telefonieren konnten. Als ich sie später in der Nacht informierte, waren sie natürlich geschockt, jedoch flog ich ja nach dem Spiel, das dennoch am nächsten Tag stattfand, wieder nach Hause und konnte alles in Ruhe erzählen.

SPOX: Trotz dieses Erlebnisses flogen Sie noch zweimal zurück in den Sudan, um als Trainer zu arbeiten.

Krüger: Meine Familie und Freunde hielten mich für bekloppt. Natürlich kann man so etwas nur machen, wenn alle dahinter stehen, sonst ist es vielmehr eine ehefeindliche Geschichte. (lacht) Bis auf diesen Zwischenfall habe ich mich dort aber nie bedroht oder unsicher gefühlt. Der Verein ist mir beim ersten Mal ans Herz gewachsen. Das war der Grund, weshalb ich wieder zurückgegangen bin, als man mich gerufen hat. Jedoch weiß ich auch, dass ich in einigen Situationen einen Schutzengel hatte. Man soll sein Glück auch nicht überstrapazieren, weshalb ich das Kapitel Ausland für mich nun abgeschlossen habe.

SPOX: Wenn Sie sich heute mit Ihren Trainerkollegen, die ausschließlich in Deutschland arbeiteten, vergleichen, fehlt Ihnen da ein wenig die Anerkennung für Ihre Arbeit?

Krüger: Unter den Kollegen habe ich nicht das Gefühl, dass es belächelt wird. Von der breiten Öffentlichkeit wird man schon eher in eine Schublade gesteckt. Ich habe im Ausland sieben Titel gewonnen, was hier nicht wirklich registriert worden ist. Das ging aber nicht nur mir so. Es gibt einige Trainer, die ihre Sache im Ausland durchgezogen haben: Rainer Zobel oder Reiner Hollmann, zum Beispiel. Tatsache ist aber, dass die Arbeit in Afrika viel schwieriger ist als hier in Deutschland.

SPOX: Dass Sie hierzulande immer noch geschätzt werden, zeigt Ihr Engagement bei Hannover 96. Mit dem Profi-Bereich haben Sie aber abgeschlossen?

Krüger: Ich beschäftige mich damit nicht, denn die Arbeit in der U23 macht mir großen Spaß und ist auch das, was ich machen wollte. Ich spekuliere auch gar nicht auf irgendeine Interimsstelle bei den Profis. Im Gegenteil, ich würde mich sehr freuen, wenn Michael Frontzeck noch viele Jahre für die erste Mannschaft arbeiten würde, denn er leistet großartige Arbeit und ist ein richtig guter Typ.

SPOX: Auch Ihr Kreis muss sich aber irgendwann wieder schließen. Gibt es keine Überlegungen, sich noch einmal mit Neururer zusammenzutun?

Krüger: Nein, gibt es nicht. Dadurch, dass ich mit 17 Jahren in Hannover Jugendspieler war, hat sich mein persönlicher Kreis auch eigentlich schon geschlossen. Das Schöne ist aber: Man weiß nie, was die Zukunft bringt. Wenn morgen einer käme und mir drei Millionen netto bietet, müsste ich vielleicht auch noch einmal überlegen.

Seite 1: Krüger über ein Abkommen mit Neururer und den irrwitzigen Start in Ägypten

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Michael Krüger im Steckbrief

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