Weg mit Summertime Sadness

Von Jonas Schützeneder
Volles Haus: Zum Geburtstag kamen viele Fans in die Bezirkssportanlage von Wacker
© Schützeneder/spox

Einst war Wacker München ein Spitzenteam. Heute ist der Kultverein vor allem in Sachen Integration und Engagement ein Vorbild. SPOX hat Wacker fünf Wochen begleitet. Zum Abschluss in Teil 5: Ein Spaziergang durch die Geburtstags-Party.

Anzeige
Cookie-Einstellungen

Fast zwangsweise denkt man an das Parfum. Jenem Roman, in dem Patrick Süskind den jungen Jean-Baptiste Grenouille durch die fantastische Welt der Gerüche schickt. Grenouille schnuppert, riecht, schmeckt. Und wird nicht satt. Die Ansammlung der Düfte, die über die Bezirkssportanlage zieht, ist ähnlich fesselnd.

Da sind stoßweise die Gerüche von frischem Fleisch, das gut gewürzt auf dem Grill liegt. Quer durch zieht sich ein frisches Gedünst von Wiese. Leicht angewärmt durch die pralle Juli-Sonne, aber auch mit der Frische eines gerade vorübergezogenen Regenschauers. Man könnte mit geschlossenen Augen durch die Anlage wandeln, es wäre spannend genug.

Die breite Palette der bunten Eindrücke ist ganz nach seinem Geschmack. Marcus Steer, Vorstand von Wacker München, steht zwischen dem Eingang und dem Rasenplatz. Er muss nichts sagen, seine Miene verrät ihn sofort: Der "Präsi" ist vergnügt. Da strömen etwa 1000 Menschen durch die Tore. Wegen Wacker München. Der Traditionsverein wird 111 Jahre. Und er weiß es an diesem Wochenende zu feiern.

Ein Spielball für die Multi-Kulti-Truppe

Wenn sich seine Kollegen darüber unterhalten, wie man am besten in die Kreisliga aufsteigen könnte, lächelt Bernd Klemm nur müde. Der Wacker-Coach will natürlich gewinnen. Aber: "Wir haben im Verein längst einen anderen Ansatz!"

Und der sieht so aus: Man nehme eine gehörige Portion Engagement, füge mehrere soziale Adern rund um das Bündel und versehe es mit der äußeren Fußball-Lederhülle. Metaphorisch sieht so der Spielball von Wacker München aus. Die Multi-Kulti-Truppe aus dem Münchner Süden jagt diesem Ball nur allzugerne hinterher.

Sie kommen nicht wegen Spitzenfußball: Die Partybesucher zum Wacker-Jubiläum sind größtenteils nicht aus Deutschland. Auf der Tribüne hört man gebrochene Sätze und sieht viel Gestik. Trotzdem klappt die Verständigung. Irgendwie, notfalls mit einem Lächeln. Das ist Wacker.

Ein Vorbild für die Politik

"Wacker ist ein Vorbild für alle Vereine", sagt der groß gewachsene Mann mit dem grauen Kurzhaarschnitt. Dieter Reiter steht am Spielfeld und signiert Autogrammkarten für zwei kleine Kinder. "Wie heißt du", fragt der frisch gewählte Oberbürgermeister der Landeshauptstadt.

Im Wahlkampf hat Reiter als Sympathieträger überzeugt, der Menschen vereinen kann. Er wird diese Eigenschaft gut gebrauchen können. München wird zunehmend international. Integration und multikulturelles Zusammenleben wird die große Herausforderung der nächsten Jahre. Reiter sieht in Wacker einen vielversprechenden Ansatz. Und das nicht erst seit dem Jubiläum. Der SPD-Politiker lief früher selbst für die Blau-Weißen auf.

Im weißen Trainingsshirt wärmen sich derweil die Wacker-Spieler auf. Präsi Steer kommt über die Treppen auf den Rasen und will kurz vor dem Anpfiff gegen den FC Bayern etwas sagen. Es ist schlagartig still. Der frühere Industrieberater ist kein Lautsprecher, das wissen alle im Umfeld. Und er bestätigt es. Fast vorsichtig beginnt Steer seine Grußworte mit einer Zeile aus "Imagine" von John Lennon. Das vielleicht einfühlsamste Stück der Musikgeschichte. "Wacker München hat andere Ziele", sagt Steer dann und macht eine kurze Pause.

Mehr als Fußball

Um dann die Schlagworte mit großer Dichte rauszuschießen: Integration, Zusammenhalt, Respekt, Miteinander, Toleranz! Bevor er weiterreden kann, kommt der Applaus von der Tribüne. Es ist nicht nur der Vorstand. Der Applaus ist an einen Verein gerichtet, der mehr auf die Beine stellt als ein Fußball-Team.

Kurz darauf läuft der Ball. Auf der Tribüne sitzen Familien mit Kindern. Die meisten davon ausländischer Herkunft. Trotzdem ist alles bunt gemischt. Die Polizei Sendling ist vor Ort. Mit einem Stand und kleinen Heftchen für Kinder. Tolerenz wagen, steht auf einem Aufkleber. Hier braucht es keine Kontrolle um ein friedliches Fest zu garantieren.

Im blauen Shirt drehen die Wacker-Jugendspieler ihre Runden. Sie verkaufen die eigens zusammengestellte Vereinschronik. Es sind Einnahmen, die der Verein unbedingt braucht. Und zwar nicht für die Spieler.

Lernen kickt

Es sind die vielen Projekte, die das Budget "belasten". Knapp über 60 000 Euro sind es derzeit jährlich. Die Spieler spielen ohne einen Cent Gehalt. Dafür profitieren die Kleinen.

Im Projekt "Lernen kickt" bekommen Kinder mit Migrationshintergrund beispielsweise ein Gratis-Trainingslager in den Ferien. Darin enthalten: Deutsch-Unterricht, warmes Essen und Fußball-Training. Kein Wunder, dass jedes dieser Camps voll ist. Immer mehr Organisationen und Schulen wollen jetzt plötzlich mit Wacker kooperieren. Einem Verein, der rein sportlich in der Bedeutungslosigkeit kickt und trotzdem mehr für das Gemeinwohl leistet als mancher Profiklub.

Dann ertönt der Schlusspfiff. Das Ergebnis ist nicht relevant. 22 Spieler aus zwölf Nationen sind für Wacker aufgelaufen. Sie haben zusammen Fußball gespielt und bekommen den Applaus der Zuschauer. Für Vitali Matvienko, Marjan Delchev und Khadim Thiam ist das relevant.

Deutlich, aber nicht aggressiv

Zusammen sitzen die Wacker-Spieler wenig später geduscht am Rande des Platzes. Die Stimmung ist gut. Auf dem Nebenplatz hat der Verein eine Bühne gemietet. Dazu eine Band aus der Region. Ihr Name: "Die Diplomaten". Sie fangen an zu spielen. Es ist deutscher Gitarren-Pop mit Hip-Hop-Elementen. Sie sprechen Themen an. Deutlich, aber nicht aggressiv und mit positivem Grundtenor. Für Summertime Sadness ist keine Zeit.

Viele der Gäste sind geblieben, machen es sich mit einem Bier auf dem Rasenplatz bequem. Die Julinacht riecht immer noch wunderbar vielfältig. Man spricht miteinander, über alle Kulturgrenzen hinweg. Eine Stunde nach dem Spiel. Fußball hat sie zusammengebracht. Nach dem Schlusspfiff brauchen sie ihn nicht mehr. Ihr eigener Wacker-Spielball reicht.

Das ist Wacker München

Artikel und Videos zum Thema