"Ich wollte nicht zurückkommen"

Von Interview: Philipp Böhl
Martin Bengtsson spielte unter anderem für Schwedens Junioren und für Inter Mailand
© Privat
Cookie-Einstellungen

SPOX: War diese Zeit der Auslöser für die Depressionen?

Bengtsson: Ja. Damals habe ich mir eine Gitarre gekauft und angefangen, Songs zu schreiben. Dadurch hatte ich endlich wieder etwas abseits des Fußballplatzes zu tun. Nach ein paar Monaten, ich war zwischenzeitlich wieder fit, kam ich nach einem Nationalmannschaftsaufenthalt zurück ins Inter-Haus und bemerkte, dass alle meine selbst geschriebenen Songs und Gedichte weggeworfen worden waren. Es hieß, so etwas habe nichts im Leben eines Fußballspielers zu suchen. Das war sehr schmerzhaft für mich, schließlich war das Schreiben ein Weg, um meine Gefühle und mich selbst auszudrücken.

SPOX: Wie denken Sie heute über diese Phase?

Bengtsson: Ich hätte einen Weg einschlagen müssen, auf dem ich zugleich Fußballspielen konnte und die Chance hatte, mich selbst ausdrücken und zu verwirklichen. Dass mir dies verboten wurde, ließ mich in ein echtes Loch fallen. Mir wurde meine neue Leidenschaft verweigert, obwohl ich auf dem Feld Leistung brachte. Das verstand ich nicht.

SPOX: Letztlich war das der Anfang vom Ende Ihrer Karriere, oder?

Bengtsson: Das kann man so sagen. Ich hatte mir jahrelang die Identität aufgebaut, Fußballspieler zu sein. Ich lebte meinen Traum, doch der endete dort, das war der Bruch in meinem Leben. Das führte dazu, dass ich einen Suizidversuch unternahm und versuchte, mir die Pulsadern aufzuschneiden. Heute weiß ich: Ich hätte aufstehen und sagen sollen: 'Ich möchte das alles nicht mehr tun, ich möchte mit dem Fußball aufhören.' Aber ich wusste nicht, wie ich das hätte machen sollen.

SPOX: Wie ging es dann mit Ihnen weiter?

Bengtsson: Ich landete erst im Krankenhaus und ging dann zurück nach Schweden. Inter versuchte zwar, mich zurückzuholen, aber ich wusste ja selbst nicht mehr, was ich im Leben wollte.

SPOX: Hatten oder haben Sie versucht, anderen die Schuld an Ihrer damaligen Ausweglosigkeit zu geben?

Bengtsson: Nein. Ich kann niemandem die Schuld geben. Mein manisches Verhalten und meine verletzliche Seite in Verbindung mit der Zeit, die sich anfühlte, als wäre ich eingesperrt - das gab den Ausschlag für meine Depressionen. Insgesamt war ich etwa vier Monate depressiv, ehe ich den Suizidversuch unternahm.

SPOX: Als Sie zurück nach Schweden gingen, haben Sie nach einem sehr guten Spiel für die zweite Mannschaft von Örebro Ihre Karriere endgültig beendet. Wieso?

Bengtsson: Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich zwei Tore geschossen habe und am Tag darauf in der Zeitung stand: "Martin Bengtsson ist zurück". Dann begriff ich, dass ich das gar nicht wollte. Ich wollte nicht zurückkommen. Ich fühlte mich noch jung, war ja nur 18 Jahre alt und konnte immer noch einen anderen Weg einschlagen. Aber ich wollte nicht mehr Fußball spielen.

SPOX: Mittlerweile sind zehn Jahre vergangen. Spielen Sie noch zum Spaß?

Bengtsson: Ich vermisse den Fußball definitiv nicht. Es gab eine sehr lange Zeit, in der ich gar keinen Fußball gespielt habe. Ich habe viel Musik gemacht und Gedichte geschrieben, nebenbei war ich auch im Journalismus unterwegs und habe für das Fernsehen gearbeitet. Ich hatte sieben Jahre lang keine Verbindung zum Fußball, wollte diesen Sport nicht sehen, keinen Ball berühren. Mittlerweile spiele ich aber wieder ab und zu mit Freunden im Park oder schaue Spiele im Fernsehen.

SPOX: Was denken Sie, wenn Sie sich solche Highlightspiele wie bei einer WM ansehen?

Bengtsson: Ich gucke gerne zu und genieße den schönen Fußball, der gespielt wird. Aber ich denke zu keiner Sekunde: 'Wow, Schweinsteiger oder Özil! Jetzt wäre ich gerne an deren Stelle.' Sie können großartige Dinge am Ball, aber ich würde niemals mein Leben mit deren Leben tauschen wollen. Für mich gibt es jetzt mehr im Leben, als Fußballer zu sein. Den Reichtum, den ich anstrebe, ist der Friede des freien Ausdrucks, die Freiheit zu reisen und kreative Dinge zu tun.

SPOX: Wie läuft Ihr aktuelles Leben als Musiker?

Bengtsson: Ich habe schlicht das Ziel zu überleben. Ich möchte meine Miete bezahlen und mir frisches Obst auf den Tisch legen können. Meine Kunst soll leben, das ist mein Antrieb. Ich habe ein Publikum für meine Kunst. Es gibt viele Leute, die meine Musik hören. Ich habe drei Jahre lang eine Theaterschule besucht und Stücke geschrieben. Ich verdiene meine Brötchen mit Hilfe der Musik. Das ist eine große Sache und mein größter Traum, seit ich den Fußball verlassen habe.

SPOX: Was ist Ihr momentanes musikalisches Projekt?

Bengtsson: Ich lebe in Malmö und war zuletzt lange in einer Band. Ich spielte übrigens viel in Deutschland. Ich war häufig im Underground unterwegs und spielte in alternativen Clubs. Aktuell nehme ich eine CD auf, die nächstes Jahr im Sommer erscheinen soll. Ich trat auch zwischenzeitlich unter dem Künstlernamen "Waldemaar" auf, den habe ich aber schon wieder abgelegt.

SPOX: Mittlerweile tragen Sie einen Look, den Sie als Fußballer nicht präsentiert haben. Hätten Sie sich das damals getraut?

Bengtsson: Ich kann jetzt längere Haare und mehr Tattoos tragen. Das ist das, was der Fußball in meinen Augen lernen muss. Er will ein Sport für jedermann sein, also muss er auch jeden akzeptieren. Ganz egal, ob Menschen ein anderes Aussehen, eine andere Herkunft oder eine andere Sexualität haben. Da muss der Fußball an seiner etwas konservativen und altmodischen Ansicht arbeiten. Aber ich finde, er ist auf einem guten Weg.

SPOX: Bereuen Sie es eigentlich, Fußballspieler geworden zu sein?

Bengtsson: Nein, niemals. Im Gegenteil: Es war eine sehr gute Entscheidung, durch die ich sehr viel gelernt habe.

Seite 1: Bengtsson über einen Tunnel für Materazzi und einen Anschiss von Le Saux

Seite 2: Bengtsson über seinen Suizidversuch und die Abkehr vom Fußball