Calmund: "Hyypiä ein Griff in die Goldkiste"

Von Interview: Jochen Tittmar
Reiner Calmund war von 1999 bis 2004 Geschäftsführer bei Bayer 04 Leverkusen
© Getty

Reiner Calmund kritisiert im SPOX-Interview das Krisenmanagement beim DFB im "Fall Amerell" und erklärt, welche Rolle die deutsche Elf in Südafrika spielen wird. Zudem spricht er über seine Aufgabe als Teammanager von Haiti und über die Meisterschaftschancen seines Ex-Vereins Bayer Leverkusen.

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SPOX: Herr Calmund, die deutsche Nationalmannschaft hat gegen Argentinien verloren. Bundestrainer Joachim Löw wollte mit diesem Spiel etwas WM-Stimmung entfachen. Ist davon etwas bei Ihnen angekommen?

Reiner Calmund: Das war ein Satz mit X am Mittwoch. Dazu muss man ja kein Fußballexperte sein. Die Generalprobe ging zwar schief, aber wenn es ernst wird, werden wir da sein. Wir haben gutes Spielermaterial und werden in Südafrika wie Brasilien, Argentinien, Spanien und vielleicht noch ein afrikanisches Teams eine gute Rolle spielen.

SPOX: Lobeshymnen sind nach der Leistung in München aber auch nicht angebracht.

Calmund: Das ist richtig. Argentinien ist jedoch eine der stärksten Nationen. Da geht die Welt bei einer Niederlage nicht unter. Es müssen nun die Sinne in Richtung WM geschärft werden. Das wird Löw hinbekommen, da bin ich mir sicher.

SPOX: Inwiefern ist die gescheiterte Vertragsverlängerung mit Löw und Bierhoff und das ganze Ballyhoo drumherum ein Problem?

Calmund: Es wäre sicherlich besser, wenn man die Situation vor der WM klären würde. Man hat jetzt so viele Jahre gut zusammen gearbeitet, da wäre es schade, wenn man das nicht hinbekommen würde. Fußball ist aber kein Wunschkonzert. Wolfgang Niersbach hat gesagt, dass der DFB gesprächsbereit wäre, wenn das Trainerteam noch vor der WM verlängern will. Damit wären dann auch viele kleine Nebenkriegsschauplätze beendet. Das Ganze ist für die Mannschaft nicht förderlich.

SPOX: Beim DFB gibt es derzeit noch weitere Baustellen. Haben Sie die Entwicklungen um Manfred Amerell überrascht?

Calmund: Mich überrascht, dass die ganze Thematik nun so in der Öffentlichkeit aufgeblasen wird. Ich weiß nicht, ob das für ein gutes Krisenmanagement spricht. Wenn aber von links und rechts die Bomben einschlagen, ist eine solche Geschichte nicht immer leicht zu handhaben.

SPOX: Lassen Sie uns über die Bundesliga sprechen. Ihr Ex-Team aus Leverkusen bleibt weiter ungeschlagen, hat aber den Platz an der Tabellenspitze eingebüßt. Sind die Bayern vom Meisterkurs noch abzubringen?

Calmund: Die Bayern sollen mal schön ruhig bleiben. Nach 650 Tagen sind sie jetzt mal wieder Tabellenführer. Es ist schon ungewöhnlich, dass überhaupt eine solch negative Bilanz für die Bayern entstanden ist.

SPOX: Die Frage ist damit aber nicht beantwortet.

Calmund: Bayern München ist jedes Jahr der große Favorit. Sie sind das Aushängeschild des deutschen Fußballs, haben den stärksten Kader und das meiste Geld. Sie werden nur dann nicht Meister, wenn irgendetwas nicht rund läuft und eine andere Mannschaft konsequent diese Schwäche ausnutzt. So wie im letzten Jahr eben. Ich halte es da mit Rudi Völler: Wenn alles normal läuft, werden die Bayern Meister. Der größte Verfolger bleibt aber Leverkusen.

SPOX: Leverkusen war letztes Jahr noch Neunter. Damals hieß es immer, dass dem Team ein Leitwolf, ein Leader fehlen würde. Diese Rolle übernimmt nun Sami Hyypiä. Hätten Sie gedacht, dass er auf Anhieb so einschlägt?

Calmund: Nein. Es gab ja auch genügend skeptische Stimmen. Mittlerweile tun natürlich alle so, als ob sie es gleich gewusst haben, dass der eine Granate ist. Großes Lob geht an Rudi Völler und Michael Reschke, die die Idee mit Hyypiä hatten, diese umgesetzt haben und nun die Früchte ernten.

SPOX: Wieso ist er eine solche Granate?

Calmund: Ein solcher Leader hat Leverkusen in der Tat noch gefehlt. Der steht hinten wie eine Eins. Er ist aber auch menschlich eine absolute Führungspersönlichkeit und ist von allen  - Vorstand, Mitspieler, Fans - voll akzeptiert. Das war ein absoluter Griff in die Goldkiste.

SPOX: Sie haben sich längst aus dem offiziellen Geschäft zurückgezogen. Welche Vorteile hat Ihr aktuelles Leben im Vergleich zu dem als Bundesliga-Manager?

Calmund: Ich bin zwar genauso rund um die Uhr im Einsatz, aber früher war einfach entscheidend, ob die Spieler das runde Ding zwischen die weißen Balken schießen. Man kann arbeiten wie man will, letztendlich wird man nur an den Ergebnisse gemessen. Und man misst sich selbst an den Ergebnissen. Die sind ein echtes Stimmungsbarometer. Es ist in keinem Fall vergnügungsteuerpflichtig (lacht).

SPOX: Wie groß ist denn nun der Abstand?

Calmund: Ich bin Fan von Leverkusen und gehe auch ins Stadion. Wenn sie aber mal verlieren, ziehe ich mir keinen Sack über den Kopf und lasse den Rollladen runter wie früher. Da ist die aktuelle Situation wesentlich angenehmer.

SPOX: Was müsste denn passieren, damit man Sie wieder in offizieller Funktion in der Bundesliga sieht?

Calmund: Da passiert gar nichts mehr. Wir haben sehr viele junge und erstklassige Manager, jetzt sollen die mal machen. Ich habe einen eigenen Online-Kanal, ich schreibe regelmäßig meine Kolumnen, ich berate Unternehmen - sie sehen, ich bleibe dem Fußball mehr als erhalten.

SPOX: Und Sie sind jetzt der Teammanager der Nationalmannschaft Haitis, die am Sonntag in Augsburg gegen die ran-Allstars antreten wird.

Calmund: Ich fühle mich geehrt, dass ich das machen darf. Das Spiel wird auch in Haiti übertragen. Damit können wir der Welt nach diesem tragischen Erdbeben zeigen, dass der Fußball mehr als nur ein 1:0 ist. Er ist auch eine Plattform für Gesellschaftliches, Soziales und für Nächstenliebe. Das spüren die Menschen in Haiti und das tut ihnen ungemein gut.

SPOX: Wie ist es denn um Haitis Siegchancen bestellt?

Calmund: Haiti stand letztes Jahr im Viertelfinale des Gold Cup. Die sind kein Kanonenfutter. Daher gehe ich davon aus, dass jung und dynamisch gegen die alten Recken wie Matthäus, Elber, Balakow und Co. gewinnt. Das wird keine Kirmesveranstaltung.

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