Von Verschwörung zu göttlichem Vertrauen

Von Dominik Geißler
Lewis Hamilton schied beim Malaysia-GP in Führung liegend mit einem Motorschaden aus
© getty

Formel-1-Weltmeister Lewis Hamilton sah beim Großen Preis von Malaysia bereits wie der sichere Sieger aus, bevor er 15 Runden vor Schluss mit einem Motorschaden ausschied. Da es für den Mercedes-Piloten nicht der erste Defekt in diesem Jahr war, haderte er mit dem Schicksal - und unterstellte seinem Arbeitgeber eine Verschwörung, die das Team sofort bestritt.

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Lewis Hamilton kauerte wie ein Häufchen Elend neben seinem Boliden. Mehrmals mussten ihm die Sportwarte den Weg aus der Auslaufzone zeigen. Der Schock, die Enttäuschung saß zu tief. Kraftlos. Ausgebrannt. Verloren. Der Weltmeister wollte sich keinen Meter mehr bewegen.

Gerade war er noch dem sicheren Sieg entgegen gefahren. Mit über 20 Sekunden hatte er vor Daniel Ricciardo und Max Verstappen geführt. Weil sich die beiden Red-Bull-Piloten um den zweiten Platz zankten, vergrößerte sich der Vorsprung Runde für Runde. Selbst nach einem zusätzlichen Boxenstopp wäre Hamilton in Führung geblieben. Er hätte seinen siebten Saisonsieg geholt. Viel wichtiger: Er hätte mit 290 Punkten die WM-Führung von Nico Rosberg zurückerobert, der nach dem Start von Sebastian Vettel umgedreht worden war.

Das ganze Rennen auf den Kopf gestellt

Doch dann kam die 41. Runde. Und plötzlich wurde das gesamte Rennen auf den Kopf gestellt. Hamilton wurde auf der Start-Ziel-Geraden langsamer, aus dem Heck seines Mercedes schossen Flammen. Motorschaden!

"Oh no! Oh no!", rief der fassungslose Engländer noch am Funk. Dann stellte er seinen Boliden ab und kauerte sich in die Auslaufzone.

"Wir konnten Hamilton extrem unter Druck setzen. Er musste schnelle Runden fahren, vielleicht haben wir also dazu beigetragen, dass sein Motor hoch ging", mutmaßte Red Bulls Motorsportchef Helmut Marko nach dem Erfolg. Hinter Daniel Ricciardo und Max Verstappen überquerte Nico Rosberg als Dritter die Ziellinie - und baute seine WM-Führung aus.

Hamilton wittert Verschwörung

Nachdem Hamilton bereits zu Saisonbeginn immer wieder durch Motorenprobleme zurückgeworfen wurde, schlug der Defektteufel auf dem Sepang International Circuit erneut zu.

Zufall? Oder Absicht? Hamilton selbst nährte die Verschwörungstheorien direkt nach dem Rennen: "Ich kann nicht glauben, dass hier acht Mercedes-Auto herumfahren und nur mein Motor versagt. Es gibt 43 Motoren für Mercedes-Autos, aber Probleme habe immer nur ich. Irgendetwas kann da nicht stimmen."

Die Antriebseinheit, die sich am Sonntag in Rauch auflöste, war erst ein Rennen alt. Wie Auto, Motor und Sport berichtete, stellten die Mechaniker ein Loch im Motorblock fest. Hamilton hatte eine Explosion gehört.

"Ich habe dafür keine Erklärung", klagte der Unglücksrabe, ehe er Forderungen an seinen Arbeitgeber stellte: "Mercedes muss mir Antworten geben. Das ist nicht akzeptabel. Irgendetwas oder irgendjemand will nicht, dass ich dieses Jahr gewinne."

"Wie sechs Mal rot im Kasino"

Es sind Worte, die nachhallen. Worte, die den Verantwortlichen überhaupt nicht gefielen. Niki Lauda unterstellte den Journalisten gar Lügen, als er bei RTL auf die Aussagen angesprochen wurde. Hamilton würde so etwas nie sagen, er sei ein Teamplayer.

"Uns unterläuft kein Fehler mit Absicht, kein Motorschaden ist geplant", verteidigte Technikdirektor Paddy Lowe umgehend das Team. Der Defekt habe sich nicht angekündigt, Mercedes arbeite hart an der Zuverlässigkeit: "Es gibt kein Muster dafür. Aus irgendeinem Grund sind Lewis dieses Jahr eine Reihe von Dingen passiert."

Aufsichtsratschef Lauda pflichtete bei: "Ich kann versichern, dass wir unter keinen Umständen gegen ihn arbeiten. Wir arbeiten für ihn und sind stolz auf ihn."

Trotz Hamiltons verbaler Entgleisung war Mercedes bemüht, den Haussegen umgehend geradezurücken. "Es ist klar, dass er frustriert ist und nach Erklärungen sucht. Da man für so etwas aber keine rationale Erklärung hat, kommt einem alles Mögliche in den Sinn", nahm Motorsportchef Toto Wolff seinen Fahrer in Schutz: "Das fühlt sich für mich an wie sechs Mal hintereinander rot im Kasino."

Überhaupt zeigte sich der Österreicher erstaunlich gelassen: "In so einer Situation darf er alles sagen, was er möchte. Ich kann seinen Frust verstehen."

Hamilton rudert zurück

Trotzdem bestellten die Verantwortlichen noch vor Ort Hamilton und Rosberg zu einem Meeting ein. "Die Worte, die er dort dem Team gesagt hat, waren Wahnsinn. Er versteht, dass da niemand seine Finger im Spiel hat", stellte Wolff anschließend klar.

Wenige Stunden nach den Rennen war Hamilton auch darauf bedacht, die Wogen wieder zu glätten. "Man muss meinen Standpunkt verstehen. Auf der einen Seite bin ich sehr dankbar für den Erfolg, den wir in den letzten Jahren hatten. Aber wenn man aus dem Auto aussteigt, nachdem man in Führung liegend ausgefallen ist, dann ist es schwierig etwas Positives zu sagen", erklärte der 31-Jährige.

"Ich hatte all die Defekte, das ist hart. Aber ich habe hundertprozentiges Vertrauen in die Jungs, die Tränen in den Augen hatten. Ich arbeite schon im vierten Jahr mit ihnen zusammen und liebe es hier. Ich muss dankbar sein. Ohne sie hätte ich nicht die zwei weiteren Titel gewonnen", stellte der dreifache Weltmeister klar.

Ein Motor muss reichen

Ob Ende 2016 der insgesamt vierte Titel folgt? In einer Saison, die für Hamilton und Rosberg so viele Auf und Abs parat hat, nicht abzusehen. Immer wieder kippt die Hackordnung. Der Brite hatte zur Sommerpause 19 Punkte Vorsprung auf seinen Stallrivalen, nun liegt er 23 Zähler zurück.

Besonders bitter für Hamilton: Der Motoren-Vorteil, den er sich durch seine Strafversetzung beim Belgien-GP verschafft hatte, ist verpufft. Für die restlichen fünf Rennen hat er kein frisches Aggregat mehr. Wechselt er den Antrieb, hagelt es erneut Startplatzstrafen. Entsprechend pessimistisch zeigte sich Hamilton vor dem Saisonendspurt: "Momentan weiß ich nicht mal, ob mein Auto durchhält. Wer weiß, was für einen nächsten Motor ich drin habe?"

Rosberg, von Fortuna geküsst

Zu allem Überfluss hat die Glücksfee Rosberg in der Sommerpause wohl mit besonders viel Fortune ausgestattet. In den ersten drei Rennen nach den Ferien fuhr der Deutsche bärenstark zu drei Siegen. Selbst wenn es für ihn nicht nach Plan läuft, er sich wie nach der Vettel-Kollision durch das gesamte Feld kämpfen muss, nimmt er Hamilton Punkte ab.

Eine Entwicklung, die bei Rosberg Mitgefühl weckt: "Ich verstehe sehr gut, wie sich Lewis jetzt fühlt. Ich hatte Ende 2014 auch zwei große Defekte. Das ist schrecklich, besonders wenn du eigentlich der verdiente Sieger bist und nur von der Technik im Stich gelassen wirst."

Mitleid vom größten Rivalen? Das hat niemand gerne. Dennoch wird sich Hamilton schon bald auf den Großen Preis von Japan (ab Freitag alle Sessions im LIVETICKER) konzentrieren. Ob es am Ende für den Titel reicht? Hamilton sieht die Entscheidung nicht mehr in seinen Händen.

Vor der Abreise aus Malaysia wählte er Spiritualität statt weiterer Vorwürfe ans Team. "Der Mann da oben oder eine höhere Gewalt spielen hier mit rein. Wenn die höhere Macht nicht will, dass ich Weltmeister werde, muss ich es akzeptieren", philosophierte er.

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