Turbolente Sorgen in Rot

Von Dominik Geißler
Vettel hat bereits 35 Punkte Rückstand auf WM-Spitzenreiter Rosberg
© getty

Zwei Rennen, zwei Ausfälle: Die Formel-1-Saison läuft für Ferrari bislang nicht nach Plan. Im Mittelpunkt der Probleme steht der neue Turbo. Eine baldige Besserung scheint unwahrscheinlich - und doch gibt es für Sebastian Vettel und Kimi Räikkönen vor dem GP von China (alle Sessions im LIVETICKER) Grund zur Hoffnung.

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Das Rennen in Sakhir hatte nicht einmal begonnen, da war es auch schon wieder vorbei. Zumindest für Sebastian Vettel. "Ich hatte plötzlich keinen Vortrieb mehr und sah den Rauch im Rückspiegel. Das war's dann", beschrieb der Ferrari-Pilot seinen Ausfall in der Einführungsrunde zum Großen Preis von Bahrain.

Die Ursache: Ein Softwarefehler, der aus einer "sehr unwahrscheinlichen Kombination von Umständen" resultierte und zu Problemen im unteren Drehzahlbereich führte, so die Erklärung der Scuderia.

Es war für die Roten bereits der zweite Ausfall im zweiten Rennen. Zum Auftakt in Melbourne musste Kimi Räikkönen seinen flammenden Boliden abstellen. Auch hier versagte ein Teil der Antriebseinheit. "Es war ein Turbo-Problem. Ich habe Power verloren und bin langsam in die Box zurückgefahren", verriet der Iceman später.

Zufall? Vermutlich nicht.

Ein Motor am Limit

Um die Mercedes-Dominanz in diesem Jahr endlich zu brechen, hat das Team aus Maranello eine Power-Unit gebaut, die sich am Anschlag bewegt. Limit statt Langsamkeit.

Der theoretische Zeitgewinn des neuen Ferrari-V6-Turbos soll im Vergleich zur Vorsaison irgendwo zwischen fünf und acht Zehnteln liegen. Der entscheidende Kniff: Der Motor verträgt theoretisch deutlich mehr Ladedruck - diesen aber auch voll auszufahren, gelingt in der Praxis noch selten.

Zum einen steigt durch die schnellere Drehung des Turboladers, der die Abgasluft verdichtet und so die Motorleistung erhöht, die Hitze und damit die Defektgefahr. Räikkönen kann seit Australien ein Lied davon singen.

Mit Power keine elektrische Ladung

Zum anderen scheint das Zusammenspiel zwischen Turbo und Energierückgewinnung nicht zu funktionieren. Damit würden sich Gerüchte bestätigen, die bereits bei den Testfahrten im Februar aufkamen und von Teamchef Maurizio Arrivabene umgehend dementiert wurden: "Ich kann versichern, dass unser Motor in Ordnung ist."

Wie Auto, Motor und Sport jedoch berichtet, kann Ferrari aktuell kaum mit maximaler Power fahren und dabei gleichzeitig elektrische Ladung speichern. Der Nutzen der Elektromaschine MGU-H, die eigentlich die Wärmeenergie der Abgase in elektrische Energie umwandeln soll, fällt damit zum Großteil weg.

Die Folge: Ferrari fährt im sogenannten De-Rating-Modus, der für den Zuschauer durch ein Aufblinken des roten Rücklichts sichtbar wird. Das zeigte sich in Sakhir im Qualifying: Zu Beginn des dritten Sektors blinkten beim Anfahren der Kurve die Rücklichter auf. Um elektrische Energie zu generieren, wird beim De-Rating-Modus bewusst auf Antriebsleistung verzichtet. Ab Hälfte der Geraden können Vettel und Räikkönen somit kaum Geschwindigkeit mehr zulegen.

Turbo gut, alles gut?

Der Zeitverlust gegenüber den Mercedes ist dadurch immens, von einer halben Sekunde pro Runde wird gesprochen. Das deckt sich in etwa mit dem Rückstand, den die Roten aktuell auf das Weltmeisterteam haben.

Die Hoffnung ist damit klar: Lösen die Italiener die Turbo-Problematik, könnten Vettel und Räikkönen zu den Silbernen aufschließen - und für die von vielen erhoffte Spannung an der Spitze sorgen.

"Es geht in die richtige Richtung. Mit nur einem Auto im Ziel ist es nicht ideal für das Team, aber weil du in diesem Sport immer die Grenzen auslotest, kann manchmal etwas schief gehen", stellt Räikkönen fest: "Wir wissen aber, dass das Auto ziemlich gut ist. Wir müssen nur gewisse Dinge verbessern."

Besserung lässt auf sich warten

Doch genau das gestaltet sich als äußerst schwierig. In Bahrain hat Ferrari neue Elektronikboxen eingebaut und versucht, das Problem mit entsprechenden Softwareänderungen zu beheben.

Im dritten Freien Training und im Qualifying zeigte die Maßnahme Wirkung, der Abstand zu Mercedes wurde zwischenzeitlich verkürzt. "Wir wollten mal sehen, wie weit wir Mercedes damit in die Enge treiben können", sagte Arrivabene später. Für das Rennen wurde die Leistung dann aber wieder zurückgeschraubt.

Um langfristig das gewünschte Programm fahren zu können, hilft wohl nur ein neu konzipierter Turbolader. Dessen Vorlaufzeit beträgt laut Experten allerdings rund drei Monate und wäre damit frühestens ab dem fünften Saisonrennen in Spanien verfügbar, wahrscheinlich sogar noch später. Eine Gewissheit, dass der erste Entwicklungsschuss dann gleich sitzt, hat man zudem nicht.

Darüber hinaus trägt Ferrari eine weitere Sorge mit sich herum. An Räikkönens SF16-H wurden bereits MGU-H, MGU-K, der Turbo sowie ein neues Steuergerät getauscht; Vettel hat beim dritten Rennen sogar einen komplett neuen Motor im Heck. Das ist für den 28-Jährigen zwar "kein Grund zur Panik", weil aber von jeder Komponente der Power-Unit nur fünf pro Saison verwendet werden dürfen, könnte es am Ende des Jahres Strafen hageln.

WM-Kampf schon verloren?

Die Mercedes-Verantwortlichen werden die Sorgenfalten von Arrivabene und Co. mit Genuss beobachten. Solange der Turbo von Ferrari nicht reibungslos läuft, wird die Vorherrschaft der Stuttgarter wohl nicht enden.

Schon jetzt hat WM-Spitzenreiter Nico Rosberg 32 Punkte Vorsprung auf Räikkönen und 35 auf Vettel. Ein Ende der ganz großen Punkteausbeute scheint nicht in Sicht, zu schnell und zuverlässig sind die Mercedes.

Auch in China geht der deutsche Rennstall als Favorit an den Start. Allein auf der 1,3 Kilometer langen Geraden des Shanghai International Circuit dürfte Ferrari einige Zeit liegen lassen. Wie wird die Scuderia also das Wochenende angehen? Leistung opfern und den Fokus auf Standfestigkeit setzen oder mit Risiko versuchen, Mercedes anzugreifen?

So oder so: Dass die Saison noch lang und damit nicht entschieden ist, wissen natürlich auch Vettel und Räikkönen. "Es sind noch viele Rennen zu fahren", zeigte sich der Heppenheimer in China optimistisch. Der Finne fügte hinzu: "Wir sind immer noch positiv, was das Team über den Winter gebaut hat, und das hat sich nicht geändert."

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