Kleiner Gott in seiner eigenen Welt

Von Dominik Geißler
Rosberg strahlte nach seinem sechsten Sieg in Serie über beide Ohren
© getty

Nico Rosberg holte beim Großen Preis von China seinen sechsten Sieg in Folge. In der WM-Wertung führt er mit großem Abstand, der Titel scheint schon jetzt greifbar. Auch wenn die Mercedes-Verantwortlichen Lobeshymnen auf den Deutschen anstimmen, gibt es aber noch Hindernisse.

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Nico Rosberg startete von der Pole Position, doch Lewis Hamilton erwischte den besseren Start. Der Engländer setzte sich sofort neben seinen Teamkollegen, ging Rad an Rad in Kurve eins und drückte ihn am Ausgang brutal von der Strecke. Hamilton ging in Führung, der Deutsche fand sich nur noch auf Platz fünf wieder.

Eine übertriebene und unsportliche Aktion von Hamilton, da war sich Rosberg sicher: "Lewis ist deutlich zu weit gegangen. Ich bin einfach sauer." Der Frust saß tief. Rosberg hatte nicht nur das Rennen verloren. Er musste an diesem Tag auch den Traum vom WM-Titel begraben. Hamilton kürte sich beim Großen Preis der USA 2015 zum dritten Mal zum Formel-1-Weltmeister.

Was folgte, war nicht nur Rosbergs von den Medien als "Cap-Gate" bezeichneter Kappenwurf. Es machte sich auch ein Sinneswandel breit. Eine Befreiung. Ein Jetzt-erst-recht-Gefühl.

"Für mich ist das weltmeisterlich"

Seit diesem Tag im Oktober hat Rosberg vier Mal die Pole geholt und jedes Rennen gewonnen. Sechs Mal in Folge stand er damit ganz oben auf dem Siegertreppchen - und ist jetzt auf dem besten Weg, Weltmeister zu werden.

Rein statistisch gesehen ist ihm der Titel übrigens schon jetzt nicht mehr zu nehmen: In der Formel-1-Geschichte gelang es bisher neun Piloten, die ersten drei Rennen einer Saison zu gewinnen. Allesamt wurden anschließend Weltmeister. Zuletzt schaffte Michael Schumacher im Jahre 2004 dieses Kunststück.

Hinzu kommt, dass Rosberg die Fahrerwertung mit 75 Punkten anführt und fast doppelt so viele Zähler wie Hamilton (39) hat. Daniel Ricciardo folgt mit weiteren drei Punkten Rückstand.

"Nicos Leistung ist außergewöhnlich. Er gewinnt auf jede verdammte Art, das ist unglaublich", sang Mercedes' Aufsichtsratsvorsitzender Niki Lauda nach dem China-GP bei Sky ein Loblied auf seinen Schützling: "Er wird immer noch besser. Für mich ist das weltmeisterlich, da kann ich nur meine Kappe ziehen und nachdenken, wie man so etwas zusammenbringt, denn das hat schon lange keiner mehr geschafft."

Die Coolness eines Champs

Tatsächlich ist Rosberg aktuell wohl in der Form seines Lebens. Egal was passiert, der 30-Jährige bleibt ruhig, wartet auf seine Chance und fährt die Rennen am Ende sicher nach Hause.

Das war beim Auftakt in Australien so, als Sebastian Vettel am Start vorbeizog und Rosberg einfach auf den richtigen Moment für die Attacke wartete. Das war in Bahrain so, als er von der ersten Runde an das Rennen kontrollierte. Und das war in China so, als er den Start gegen Ricciardo verlor und am Ende trotzdem mit knapp 38 Sekunden Vorsprung gewann.

"Das Auto war großartig, ich konnte immer attackieren und mir einen Vorsprung herausarbeiten", erklärte der Shanghai-Sieger seine Überlegenheit. Vettel, der mit 42 Punkten Rückstand den Titel wohl erneut abhaken muss, lobte seinen Mercedes-Konkurrenten mit den Worten: "Nico war in seiner eigenen Welt."

Pechvogel Hamilton gibt nicht auf

Und doch, trotz all des Lobes, ist klar: Es sind immer noch 18 Rennen zu absolvieren, eine Vorentscheidung im Titelkampf ist also lange nicht gefallen. "Es ist noch ein weiter Weg", zeigte sich Hamilton nach dem verkorksten Wochenende kämpferisch: "Ich will keine Energie verschwenden für etwas, das hinter mir liegt."

Und auch Motorsportchef Toto Wolff gibt den Champion nicht auf: "Ich weiß, dass Lewis mental stark ist. Deshalb mache ich mir keine Sorgen um ihn", sagte der Österreicher. Dass Hamilton definitiv nochmal zurückschlagen wird, weiß auch Rosberg: "Mein Teamkollege ist der liebe Lewis, dreimaliger Weltmeister - er wird noch wie ein Wahnsinniger Druck machen."

Genau diesen hat der Mann mit der Startnummer 6 in dieser Saison bislang aber nicht gespürt. Zwar stellte Hamilton seinen Boliden zwei Mal auf die Pole Position, doch verpatzte er in beiden Fällen den Start und fiel direkt einige Plätze zurück. In China warf ihn ein Motorproblem schon am Samstag so weit zurück, dass er am Sonntag keine Siegchance mehr hatte.

Doppelter Druck?

Der direkte Kampf auf der Strecke blieb daher bislang aus. Erst wenn es dazu kommt, wird man sehen, ob Rosberg sein Image des "braven Jungen" endgültig abgelegt hat und dagegenhalten kann. Ob er seine Leistung auch dann abruft, wenn er die Nummer 44 in seinem Rückspiegel aufleuchten sieht.

Und wenn er merkt, dass er nicht nur um den Titel, sondern auch um eine Vertragsverlängerung fährt. Der Kontrakt des GP2-Champions von 2005 läuft nämlich zum Saisonende aus, mögliche Nachfolgekandidaten werden in der Öffentlichkeit schon heiß gehandelt.

Pascal Wehrlein darf als Mercedes-Nachwuchsfahrer hoffen, wenn er sich in seinem Debütjahr bei Manor gut schlägt. Auch Daniel Ricciardo und Max Verstappen wurden in der Vergangenheit schon mit den Silbernen in Verbindung gebracht.

"Nico fährt wie ein kleiner Gott"

Doch Rosberg weiß: Wenn er so weiter fährt wie in den letzten sechs Rennen, wenn er dieses Momentum halten kann, wird er wohl auch im kommenden Jahr bei den Stuttgartern ans Lenkrad greifen dürfen.

Argumente für sich liefert er den Mercedes-Verantwortlichen jedenfalls zuhauf. "Er weiß genau, wie er am einfachsten zu seinem höchsten Limit kommt. Der stört sich nicht selber durch irgendwelche Inputs, sondern ist ausgerichtet auf diesen Erfolg", erklärte Lauda das Erfolgsrezept, um dann festzustellen: "Der Nico fährt wie ein kleiner Gott."

Nach dem bitteren Saisonfinale von 2014 in Abu Dhabi und der brutalen Niederlage beim USA-GP 2015 ist der Titel in diesem Jahr zumindest wahrscheinlicher denn je. Und aller guten Dinge sind ja bekanntlich drei, oder?

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