Generalmobilmachung gegen Mercedes

Aufgalopp zur Attacke: Daniil Kvyat soll mit Kimi Räikkönen dank neuer Nase endlich Schritt halten können
© xpb

Der Große Preis von Spanien (alle Sessions im LIVE-TICKER) ist das Orakel der Formel 1. Wer wissen will, wie gut die Aerodynamik des eigenen Autos ist, stellt es traditionell in Barcelona auf die Strecke. Der Krösus ist seit Jahren Red Bull und das frühere Weltmeisterteam fährt in Katalonien erstmals in der Saison 2015 ganz große Geschütze auf. Doch auch bei den anderen Verfolgern gibt es Neuerungen.

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Das Gezeter ist vorbei. Statt über Reglement und Renault zu meckern, konzentriert sich Red Bull endlich wieder auf seine eigene Stärke: Die Aerodynamik. Ein Schelm, wer denkt, dass Motorsportberater Helmut Marko und Teamchef Christian Horner mit ihren andauernden Tiraden gegen den eigenen Motorenpartner nur von der Unfähigkeit des eigenen Teams ablenken wollten.

Zum Europa-Auftakt bringen die Teams seit Jahren große Updates mit, die die Autos schneller machen sollen - so auch Red Bull. Wobei der Einsatz des neuen Aerodyamikpakets an diesem Wochenende eher das Ende eines monatelangen Dilemmas innerhalb des hochgelobten Ingenieursteams ist.

Neue Aerodynamik dank neuer Nase

Beim fünften Saisonrennen kommt am RB11 endlich die kürzere Nase nach Mercedes-Vorbild zum Einsatz, die schon bei den Wintertests verbaut sein sollte. Die Konstruktion fiel allerdings immer wieder durch den obligatorischen FIA-Crashtest, weil der Radstand des Autos kürzer ist als bei der silbernen Konkurrenz und daher weniger Knautschzone zur Absorption der beim Unfall entstehenden Kräfte zur Verfügung steht.

Erst der vierte offizielle Crashtest war ein Erfolg, das Team selbst soll weitere neun in Eigenregie durchgeführt haben, berichtet Auto Motor und Sport. Das Problem: So lange die Nase nicht funktionierte, konnte Red Bull nie das Auto bauen, dass die Luft- und Raumfahrtingenieure in Milton Keynes entwickelt hatten. Der RB11 bei den ersten vier Saisonrennen war nur eine Übergangsversion.

Weil Nase und Frontflügel den Luftstrom am ganzen Auto bestimmen, konnte der viermalige Konstrukteursweltmeister bisher auch im hinteren Teil seines Autos die gewünschten Teile nicht einsetzen. Marko bezifferte den dadurch entstandenen Zeitverlust schon beim Saisonauftakt auf eine halbe Sekunde pro Runde.

Der seltsame Wandel der Aussagen

"Jeder weiß, wo unser größtes Defizit liegt. Aber es ist eigentlich irrelevant, wo wir die Performance verlieren. Wir haben es in unserer eigenen Hand, nämlich in der Aerodynamik-Abteilung. Dort können wir etwas bewerkstelligen", hatte Aerodynamikchef Dan Fallows noch in Australien gesagt. Anschließend verschwiegen Horner und Marko die eigene Verzögerung und zeigten mit dem Finger lieber dauerhaft auf Renault.

Dass die Franzosen große Probleme haben, ist unbestritten. Doch allein die versprochene Verbesserung um eine halbe Sekunde durch neue Flügel, Nase und diverse Leitblechen würde Red Bull an einigen Konkurrenten vorbeispülen.

"Williams ist aktuell das drittschnellste Team, aber wir haben schon in Bahrain gezeigt, dass wir immer näher herankommen", sagt Marko mittlerweile überraschend motiviert: "Wir werden so hart arbeiten wie möglich. Selbst wenn der Motor nicht so stark ist wie der von Mercedes, werden wir sie in naher Zukunft herausfordern." Ist das Paket mittlerweile noch besser geworden, ist sogar der direkte Kampf mit Ferrari möglich.

Spanien ist optimal für Red Bull

Barcelona ist für diesen Angriff optimal. Die "Aerodynamik-Referenzstrecke" am Mittelmeer fordert weniger Leistung von der Antriebseinheit als die meisten anderen. Zwar hat Renault ein weiteres Mal seine Antriebseinheiten zerlegt und den Verbrennungsmotor überarbeitet, ein wirklicher Leistungssprung ist aber erst zur Jahresmitte zu erwarten, wenn die Franzosen ihre zur Weiterentwicklung bereitgehaltenen Token nutzen.

Dass es dann weitere Rückschläge gibt, ist schon jetzt verbrieft. Daniel Ricciardo und Daniil Kvyat müssen in Barcelona wohl schon mit dem vierten von vier in der gesamten Saison verfügbaren Verbrennungsmotoren an den Start gehen. Strafversetzungen sind daher im späteren Saisonverlauf unvermeidbar und werden den Angriff auf Ferrari in einigen Rennen verhindern.

Lauda: Ferrari-Antrieb gleichauf mit Mercedes

Aber auch sonst haben die Italiener auf Motorenseite einen deutlichen Vorteil. "Ferrari hat die Lücke vom letzten Jahr bis zu diesem fast auf null geschlossen", sagte Mercedes-Aufsichtsratschef Niki Lauda dem Red Bull Content Pool: "Sie haben ihren Motor um fast 45 PS verbessert, deshalb ist meine Einschätzung, dass sie die gleiche Leistung wie Mercedes haben. Den Unterschied macht jetzt das Auto und was die Fahrer tun."

Mercedes hat darauf reagiert und schon in Bahrain einen radikal neuen Frontflügel montiert. In Spanien legt das Team aus Brackley nochmal nach und widmet sich dem Mittelteil des Autos: Endplatten des vorderen Flügels, Bremsbelüftungen und Unterboden wurden überarbeitet. Die Silberpfeile sind gewarnt. Zu Recht.

Ferrari: Angriff oder Abwehr?

Ferrari hat mittlerweile den Umzug in seine neue Motorsportzentrale in Maranello abgeschlossen. "Wir können währen der Saison nochmal deutlich zulegen", bekundete Technikchef James Allison daher. Nun soll die B-Version des SF15-T langsam aus der Garage gerollt werden. Bisher verzichtete die Scuderia im Gegensatz zum Weltmeister auf größere Updates, um das eigene Auto erst vollständig zu verstehen. Diese Phase ist jetzt vorbei.

"Wie alle anderen bereiten auch wir neue Lösungen für Barcelona vor", stellte Teamchef Maurizio Arrivabene den Fans von Sebastian Vettel und Kimi Räikkönen Verbesserungen in Aussicht: "Ich möchte nicht viel darüber sagen, denn damit würde ich nur Erwartungen schüren. Wir treiben die Entwicklung Schritt für Schritt voran."

Den italienischen Medien zufolge sollen 70 Prozent des Autos in Barcelona neu sein. Die für den Abtrieb wichtigsten Elemente Unterboden, Diffusor, Front- und Heckflügel wurden für die nächste Attacke auf Lewis Hamilton und Nico Rosberg definitiv überholt. Wobei bei Ferrari trotz des überholten Windkanals ein leichter Zweifel besteht, ob die Teile wirklich die erhoffte Verbesserung bringen, schließlich floppten die Neuentwicklungen in den letzten Jahren regelmäßig.

"Wir wollen Mercedes nerven und müssen immer an ihnen dran sein um die Gelegenheit zu nutzen, falls ihnen ein Fehler unterläuft. Aber es ist auch wichtig, dass andere Teams uns nicht überholen", warnte Vettel in der Welt am Sonntag deshalb.

Aufrüsten bei McLaren-Honda

Zumal ein Team mächtig aufrüstet: McLaren-Honda. Die japanischen Motorenlieferanten haben noch in der Saison 2015 hohe Ziele. "Wir sind noch nicht auf dem Gipfel des Berges, aber auf dem Weg dorthin. Das Podium ist unsere Hoffnung und unsere Ambition in den verbleibenden 15 Rennen", so Motorsportchef Yasuhisa Arai.

Bei Fernando Alonsos Heim-GP ist ein Punkteresultat höchstwahrscheinlich. Die neue Lackierung ohne chromspiegelnden Lack ist die äußere Darstellung der Botschaft: 'Jetzt greifen wir wirklich an.' Ein signifikantes Update im Motoren- und Aerobereich soll den McLaren-Honda in Spanien endlich konkurrenzfähig machen. Fahrbarkeit und Zuverlässigkeit standen im Fokus. Weiterentwicklungs-Tokens nutzten die Japaner wie Ferrari, Mercedes und Renault bisher nicht.

Bis zum Kampf um Rennsiege dauert es allerdings noch, in Spanien bleibt Mercedes der klare Favorit. Oder? "Montmelo ist traditionell sehr hart, was den Verschleiß und den Abbau der Reifen angeht", sagt Ferraris Stratege Inachi Rueda: "Wenn man an die Box muss, dann bietet sich eine gute Gelegenheit, Plätze gutzumachen. Auf einer Strecke ist das Überholen schwierig. Man muss mit der Anzahl der Stopps spielen, um vor die Konkurrenten zu kommen."

Mit dieser Strategie gewann Vettel in Malaysia, Räikkönen übte in Bahrain unheimlichen Druck aus. Das Wochenende in Katalonien verspricht also Spannung - nicht nur beim Betrachten der veränderten Autos, sondern auch beim Rennen am Sonntag auf der Strecke.

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