Das Heimspiel der gemischten Gefühle

Von Dominik Geißler
Lewis und Felipe jubeln mit Surfer-Gruß - Rosberg lächelt verklemmt
© getty

Zum 51. Mal findet dieses Jahr ein Grand Prix im Home of British Motor Racing statt. In England haben nicht nur acht der elf Formel-1-Teams ihren Hauptsitz, es ist auch das Heimspiel für Polesetter Lewis Hamilton, Jenson Button und Will Stevens. Die Vorzeichen, mit denen die britischen Akteure dabei in das Rennen am Sonntag (14 Uhr im LIVE-TICKER) gehen, könnten nicht unterschiedlicher sein.

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Als Nico Rosberg nach Ablauf der Qualifikationszeit über die Ziellinie fuhr, war klar: Lewis Hamilton geht von Startplatz eins in seinen Heim-Grand-Prix. Es ist für ihn nach 2007 und 2013 die dritte Pole Position in Silverstone und die 46. seiner Karriere. Damit zieht er in der ewigen Bestenliste an Sebastian Vettel vorbei und hat nur noch Michael Schumacher (68) und Ayrton Senna (65) vor sich.

Das Qualifying im Überblick

"Ich bin unglaublich glücklich. Es ist ein besonderes Gefühl, wenn man zu Hause auf der Pole Position steht", frohlockte Hamilton auf der Pressekonferenz. Die Freude war umso größer, da der Engländer ein schwieriges Wochenende erlebte. Am Freitag klagte Hamilton wiederholt über Setup-Probleme, lieferte im entscheidenden Qualifying-Run aber eine Fabelrunde ab - der Rest ist Geschichte.

"Lewis ist unheimlich gut darin, eine schnelle Runde hervorzuzaubern, wenn niemand damit rechnet", beschrieb Mercedes-Sportchef Toto Wolff das Szenario treffend. Mit der Pole im Rücken hat Hamilton selbstredend die beste Ausgangslage für das Rennen.

Um aber den Sieg im eigenen Wohnzimmer unter Dach und Fach zu bringen, braucht es für den 30-Jährigen einen besseren Start als vor zwei Wochen in Österreich: Am Red-Bull-Ring unterlag Hamilton im Spurt zur ersten Kurve seinem ärgsten Konkurrenten.

Silberpfeil-Duo dominiert

Gewinnt der Weltmeister diesmal den Start, könnte das bereits die Vorentscheidung für den Ausgang des Rennens sein. In diesem Jahr gelang es Rosberg - mit Ausnahme des Starts in Österreich - nicht, seinen Teamkollegen auf der Strecke zu überholen. Dementsprechend wird Hamilton alles daran setzen, den Spielberg-Fehler zu vermeiden. "Es ist immer schwer, wenn man als Zweiter startet, zumal es zwischen den Beiden ganz eng zugeht", sagte Wolff bei RTL.

Im Vergleich zu den letzten Grand Prixs ist aufgrund der hohen Streckentemperaturen ein Zwei-Stopp-Rennen möglich. "Der Abbau der Reifen ist beachtlich. Ich kann mir vorstellen, dass dies die Teams zu unterschiedlichen Strategien animiert", sagte Pirelli-Sportchef Paul Hembery. Demzufolge könnte Rosberg Hamilton über eine alternative Strategie gefährlich werden.

Der Kampf um den Sieg wird wohl - wie so häufig in dieser Saison - zwischen den beiden Mercedes-Piloten entschieden werden. Im Qualifying hatte der drittplatzierte Felipe Massa rund acht Zehntel Rückstand auf Hamilton und wird das Silberpfeil-Duo bei normalem Rennverlauf nicht angreifen können.

Selbiges gilt für Valtteri Bottas, der seinen Boliden auf Startplatz vier buxierte. Und dennoch war der Samstag ein voller Erfolg für das Williams-Team. Auf einer Strecke, in der in erster Linie Abtrieb und Anpressdruck gefragt sind, rechnete sich der englische Rennstall im Vorfeld eher geringe Erfolgschancen aus. Die Stärke des Williams liegt auf der Geraden und nicht in schnellen Kurven wie der Maggotts-Beckett-Chapel-Kombination.

Vettel patzt

Doch wie es aus dem Nichts wachten Massa und Bottas in Q3 auf und schoben sich noch vor die beiden Ferrari. "Ein fantastischer Tag für uns", strahlte der Brasilianer: "Es ist unser Heimrennen. Es war bestimmt schön für die Fans zu sehen, wie Valtteri und ich gekämpft haben. Es ist wichtig, dass wir hier mit beiden Autos vor Ferrari stehen."

Entscheidend für den Erfolg war das Reifen-Management. "Wichtig ist, dass die Reifen nun funktionieren. Wir hatten Probleme, die Pneus so richtig auf Temperatur zu bekommen", erklärte Bottas. Und doch, so weiß auch Williams, zählt der Sonntag - mit Ferrari im Rücken wartet keine einfache Aufgabe.

Die Scuderia lieferte ein enttäuschendes Qualifying ab. Kimi Räikkönen startet von Rang fünf, Sebastian Vettel gar nur von Platz sechs. Es ist das erste Mal in diesem Jahr, dass der Finne eine Quali auf der Strecke für sich entscheiden kann. Eine Tatsache, die Räikkönen nicht sonderlich interessiert: "Ich bin zwar vor Sebastian, aber das ist nicht mein Ziel - mein Ziel ist es, vor jedem zu sein."

Vettel, der den kompletten Samstag mit Balance-Problemen kämpfte, wird am Sonntag um Schadensbegrenzung bemüht sein. Dass der Heppenheimer nur von Platz sechs ins Rennen gehen wird, liegt aber auch an der eigenen Leistung, wie er nach der Qualifikation offen zugab: "Ich habe die letzte Runde versemmelt."

McLaren erleidet Desaster

Noch mehr Tristesse herrscht bei McLaren. Dem Traditionsrennstall misslang zum wiederholten Male der Sprung in Q2. "Es ist wirklich hart hier vor meinem Heimpublikum. Man vergisst, in welchem Auto man sitzt, wenn man einsteigt und fährt. Man hofft immer auf mehr Leistung, gerade vor den eigenen Fans", zeigte sich Jenson Button enttäuscht.

Zu allem Überfluss patzten auch noch die Ingenieure in der Box. Fernando Alonso bekam während der Qualifikation einen Reifen von seinem Teamkollegen auf sein Fahrzeug gezogen. Zum Glück für den Spanier hatten die Stewards Erbarmen und sprachen nur eine Verwarnung aus.

Die Freude wird sich beim zweifachen Weltmeister dennoch in Grenzen halten. Große Erfolge sind mit McLaren derzeit so weit entfernt wie der Silverstone Circuit vom Albert Park in Melbourne. Das einzige Ziel für das Rennen wird "ankommen" lauten.

Hülk will Punkte

Ähnlich sieht es auch bei Manors Will Stevens aus. Der Engländer hat mit dem Hinterbänkler-Team keine großen Ambitionen und wäre wohl schon bei einem teaminternen Sieg glücklich. Ehrgeizigere Ziele wird Nico Hülkenberg im Force India haben. Der Deutsche belegte mit seinem rundum erneuerten Force India den neunten Platz im Qualifying und zeigte sich hochzufrieden.

Force India: Wenn das Spielzeug Ärger macht

"Ich habe es genossen. Es war eine reibungslose Session, die Updates funktionieren gut", sagte Hülkenberg. Dennoch ist sich der Le-Mans-Sieger darüber bewusst, dass der Sonntag zählt: "Um hier mit WM-Punkten abzureisen, müssen wir aber noch etwas tun."

Wie das Rennen auch verlaufen wird: Die englischen Fans werden am Ende wohl Grund zum Jubeln und zum Trauern haben.

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