Der Egoismus fordert sein erstes Opfer

Ferraris neuer Teamchef Maurizio Arrivabene (r.) ist mit Bernie Ecclestone per Du
© xpb
Cookie-Einstellungen

Offenbar haben die Italiener zugunsten aerodynamischer Effizienz den Turbolader ihres V6-Turbo-Motors zu klein konstruiert. Zudem experimentierten die Ferrari-Teams in dieser Saison mit improvisierten Verkleidungen der Auspuffkrümmer, um das Energierückgewinnungssystem MGU-H mit mehr Wärme zu versorgen. Dies müsste eigentlich permanent erfolgen.

Mercedes bremst die Änderungsbemühungen noch aus. Der eigene Vorteil soll schließlich nicht verloren gehen. "Acht Token kosten zehn Millionen Euro extra. Wer soll die bezahlen?", fragte Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff schon im September bei "Auto Motor und Sport". Schließlich müssten die neuen Bauteile auf den Prüfstand.

Renault und Ferrari argumentieren, es entstünden keine zusätzlichen Kosten, die an die Kundenteams abgewälzt werden. Zusätzlich bauten sie vermehrt Druck auf, drohten damit, per Abstimmung das komplette Reglement zu kippen und zu den alten Saugmotoren zurückzukehren. "Wenn der V8 zurückkommt, steigt Mercedes aus", konterte Niki Lauda.

Wie positioniert sich Honda?

Die Forderungen gingen weiter: 13 Token sollten es plötzlich sein und das Entwicklungsfenster bis Juli ausgedehnt werden, damit die Ingenieure überhaupt genug Entwicklungszeit haben. Da kam plötzlich auch Rückkehrer Honda ins Spiel. Die Japaner könnten von der verlängerten Entwicklungsperiode profitieren, wenn sich ihre Antriebseinheit im McLaren als problematisch erweist. Beim Shakedown in Abu Dhabi am Dienstag kam Testfahrer Stoffel Vandoorne nicht mal auf drei volle Runden.

Für eine Änderung des Motorenreglements zur Saison 2016 ist nur die Stimmenmehrheit aller Teams erforderlich, während für 2015 Einstimmigkeit zwingend ist. Mercedes hat Williams, Lotus und Force India auf seiner Seite. Bei Renault, Ferrari und Honda ist schon mit Red Bull, Sauber und Toro Rosso die Mehrheit sicher, eventuell kommen auch Marussia und Caterham dazu.

Dann droht der Formel 1 das größtmögliche Fiasko. Die Kosten würden doch an die Kundenteams weitergegeben, kein Privatteam könnte die Motoren mehr finanzieren. Die Formel 1 wäre eventuell sogar wieder bei V8-Saugern angelangt - aber ohne Mercedes und Honda. Oder der seltsame Plan von Red-Bull-Berater Helmut Marko wird nochmal diskutiert.

Red Bull wirft Verzicht auf Hybrid in den Raum

"Warum nehmen wir nicht die aktuellen V6-Turbos ohne den ganzen Hybridkram. Wir machen einen Bi-Turbo draus, vergessen die Durchflussmengenbegrenzung, haben den Lärm zurück und schaffen locker über 800 PS", rechnete der Österreicher vor: "So können wir die Motoren behalten. Das spart Geld. Wir haben ausgerechnet, dass ein Kundenteam höchstens acht Millionen Euro zahlen müsste."

Eine Milchmädchenrechnung. Auch für einen solchen Bi-Turbo kann der Hersteller dieselben Entwicklungskosten ausgeben wie für die Hybridtechnik. Den Anspruch, die Zukunftstechnologie auf höchstem Niveau einzusetzen, würde die Formel 1 damit zudem aufgeben. Honda und Mercedes wären wieder weg. Red Bull hätte durch den gesteigerten Wert der Aerodynamik seine Vorreiterrolle zurück.

Für die Marketingbemühungen der großen Automobilkonzerne würde sich die Langstreckenweltmeisterschaft WEC mit den legendären 24 Stunden von Le Mans endgültig besser eignen. Alle an der Formel 1 Beteiligten müssen deshalb schnellstens eine Lösung finden, um gleichzeitig die Kosten zu senken und die Motoren auf ein vergleichbares Leistungsniveau zu hieven.

Mercedes und Ferrari sollen laut "Auto Motor und Sport" zu einer Kostendeckelung bereit sein, um das dringendste Problem der Unterfinanzierung der Privatiers zu lösen. Doch wie? Beschneidung der Aerodynamik-Entwicklung? Da würde sich wohl Red Bull sperren. Größere Kostenübernahme der Motorenhersteller zur Entlastung der Kundenteams? Das muss man den Aktionären erklären. Rechteinhaber CVC ist ohnehin vor allem am kommerziellen Erfolg interessiert und der Automobilweltverband FIA hat seine Gewalt gegen einen Pfifferling abgetreten.

Gipfeltreffen angesichts EU-Drohung

In Abu Dhabi fand vor dem letzten Saisonrennen 2014 ein erstes Gipfeltreffen der Konzernbosse statt. Doch wenn weiter niemand nachgibt, wird sich die Problematik mit einem Kompromiss maximal vertagen lassen. Das aktuelle Problem ist altbekannt: So schön die Argumente auch klingen, jeder verfolgt nur seine egoistischen Ziele.

Es fehlt ein übergeordneter Koordinator, dem es um den Sport im Ganzen geht. Diese Rolle übernahm etwa Gerhard Berger, der für die FIA die unterschiedlichen Nachwuchsserien oberhalb der Karts zusammenlegte. 2016 wird deshalb etwa die ADAC Formel Masters zur ADAC Formel 4.

Dass die aktuelle Formel 1 eine solche Entwicklung hinbekommt? Ausgeschlossen. Der Egoismus...

Die Lösung könnte die Europäische Union sein, die offenbar den ganzen Zirkus prüfen will. Dass die derzeitige Form der Geldverteilung und der Vetorechte mit dem EU-Wettbewerbsrecht vereinbar sind, ist unwahrscheinlich. Doch wie langsam mahlen die Brüsseler Mühlen?

Seite 1: Warum Marco Mattiacci wirklich gehen musste

Seite 2: Der existenzbedrohende Kampf: Motorenrüsten gegen Kostensparen

Endstand in der Fahrer- und Konstrukteurs-WM 2014