"Eine Sekunde? Das ist absurd"

Von Interview: Christoph Köckeis
Kriegsrat bei Red Bull: Weltmeister Vettel, Motorsportchef Marko und Teamchef Horner sind besorgt
© getty

Der Formel-1-Zirkus macht den Abflug. Vom mondänen Monaco geht es über den großen Teich nach Montreal. Mit dabei: reichlich Zündstoff. Mercedes' Top-Secret-Testfahrten in Barcelona schüren das Misstrauen. Im SPOX-Interview bezieht Nick Heidfeld (36) - einst bei Sauber und Silberpfeil-Entwicklungspilot, mittlerweile in der Langstrecken-WM aktiv - vor dem Highspeed-GP (So., 20 Uhr im LIVE-TICKER) Stellung: zur Pirelli-Seifenoper, Red Bulls Fehleinschätzung, Nico Rosberg alias der Reifenflüsterer, Crashkid Perez und die drohende Kostenexplosion.

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SPOX: Herr Heidfeld, den jährlichen Promi-Ansturm im Fürstentum überstanden, verabschiedete sich die Formel 1 Richtung Kanada. Die Piloten können sich im Starting Grid wieder frei bewegen. Wie froh waren Sie früher, den Fokus auf das Wesentliche legen zu dürfen?

Nick Heidfeld: Ich fand es einmal im Jahr wirklich großartig. Die Atmosphäre ist extrem, man kann sich dem Spektakel glücklicherweise nicht entziehen. Monaco macht Spaß. Es ist das Rennen des Jahres. Danach fliegt man gerne nach Montreal. Vom Presserummel und der Prominenz her ist es stressfreier, die Stimmung sehr relaxed. Wobei Monte Carlo schon einzigartig und anspruchsvoller ist. Du darfst dir keinen Fehler erlauben.

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SPOX: Wahl-Monegasse Nico Rosberg war im Leitplanken-Labyrinth über jeden Zweifel erhaben. Per Twitter gratulierten Sie ihm zum perfekten Heimspiel.

Heidfeld: Er ist schnell, auf dem Kurs besonders schnell. Wenige hätten im Winter mit dieser Hackordnung bei Mercedes gerechnet. Nico hat es mehrfach geschafft, Lewis Hamilton hinter sich zu lassen, stand drei Mal in Serie auf Pole. Er war fehlerfrei unterwegs - eine herausragende Leistung. Die Reifendebatte kann das nicht schmälern.

SPOX: Unerwartet wurden Pirelli-Testfahrten der Silberpfeile publik. Red Bull und Ferrari legten Protest ein, die Königsklasse befindet sich in Aufruhr. Ihre Einschätzung?

Heidfeld: Typisch Formel 1. Es ist eine außergewöhnliche Situation. Es hat mich überrascht, davon zu hören. Keinem wird das gefallen. Nicht nur Red Bull oder der Scuderia. Für die kleineren Rennställe wie Lotus oder Force India, die mit den Begebenheiten bestens zurecht kommen, ist das ärgerlich. Was mich verwundert, ist die Tatsache, wie lange es gedauert hat, bis all das öffentlich wurde. Normalerweise bekommt die Konkurrenz sofort Wind davon, wenn etwas im Hintergrund geschieht.

BLOG Die gefräßige Mauer

SPOX: 1.000 Kilometer auf dem Circuit de Catalunya. Dröhnende Motoren auf, silberne Trucks abseits davon: Wie lässt sich das vertuschen?

Heidfeld: Von den teilnehmenden Parteien, sprich Pirelli und Mercedes, wurde vermutlich bewusst darauf geachtet, es möglichst geheim zu halten. Obwohl an einem solchen Projekt zahlreiche Mitarbeiter beteiligt sind. Von Anwohnern oder schaulustigen Zuschauern hätte ich gedacht, dass via Twitter oder Facebook erste Bilder auftauchen. Zumal früher beinahe täglich Grand-Prix-Distanzen abgespult wurden und es jetzt verboten ist.

SPOX: Davon scheinen nicht nur Sie auszugehen.

Heidfeld: Bei den Statuten bin ich nicht ganz sattelfest: Der Knackpunkt ist, was letztlich Schwarz auf Weiß verankert ist, welche Vereinbarungen zwischen der FIA, den Teams und Pirelli getroffen wurden. Womöglich kennen wir gar nicht alle Fakten. Jeder dachte, dass während der Saison kein Testbetrieb gestattet ist. Mit Ausnahme der Young-Driver-Tage. Anscheinend es ist es auch aus sicherheitsrelevanten Gründen erlaubt, 1.000 Kilometer zurückzulegen. Rosberg und Hamilton taten dies, im Gegensatz zu Ferrari einige Wochen zuvor, mit dem aktuellen Boliden, nicht einem zwei Jahre alten Modell. Somit ist es eine Frage des Beisatzes: Dürfen sie das, wenn alle zustimmen? Oder wenn es jedem angeboten wurde und daher Chancengleichheit besteht? Wie ich das interpretiere, wirkt es nicht eindeutig.

SPOX: Niki Lauda, Mercedes' Aufsichtsratschef, berief sich auf die FIA: "Wir haben uns rechtlich abgesichert. Red Bull wurde gefragt, hat die Entscheidung jedoch verschlafen." Freiwillig darauf zu verzichten - undenkbar?

Heidfeld: Absolut. Pirelli-Chef Paul Hembery sagte, dass im letzten Jahr alle Teams gefragt wurden. Da wäre noch nicht mal von allen eine Antwort gekommen. Ich kann mir nicht vorstellen, wer in der Formel 1 absagen würde, wenn es regeltechnisch zweifelsfrei wäre. Die Details gilt es zu klären: Sowohl Mercedes als auch Pirelli können nicht blindlings handeln. Sie glauben, aus dieser Sache herauszukommen. Andernfalls hätten sie nicht so gehandelt. In dem Business bewegt man sich oftmals in Grauzonen. Und da treffen bekanntlich verschiedene Meinungen aufeinander. Eine ganz heiße Nummer.

SPOX: Pirelli wird nicht müde zu betonen, die Mischungen seien unkenntlich gewesen. Bei Red Bull tat man dies als Geschwafel ab. Motorsportchef Helmut Marko verwies auf die Vergleichsdaten - inwiefern behält er damit Recht?

Heidfeld: Mercedes konnte sich einen Vorteil verschaffen. Ob erlaubt oder nicht - das war mit Sicherheit nicht im Sinne der Fairness. Aber: Ein cleverer Schachzug ist in der Formel 1 manchmal nötig. Man muss als Rennstall hinter den Kulissen gute Kontakte zu den relevanten Personen pflegen. Das hat man offensichtlich geschafft. Nachdem sie im Rennen noch große Schwierigkeiten hatten, sammelten sie unmittelbar danach neue Erfahrungen.

Teil 2: Heidfeld über Crashkids und den Kanada-GP