Der fliegende Farmer

Jim Clark fuhr in seiner gesamen Formel-1-Karriere für Lotus
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Doch wie kam der junge Mann, der auf einer abgelegenen Farm in den schottischen Hügeln von Berwickshire aufwuchs, zum professionellen Motorsport? Zunächst faszinierten den am 4. März 1936 geborenen Jungen die väterlichen Autos, die er heimlich auf dem familiären Hof chauffierte, ehe er sich im Alter von 19 Jahren einer privaten Renngemeinschaft anschloss und kurz darauf erste Rennen fuhr.

Schnell führte der Weg nach Brands Hatch, wo der talentierte Clark einen Formel-2-Wagen testen durfte - und wo es zur ersten Begegnung mit dem legendären Konstrukteur und Lotus-Gründer Colin Chapman kam, zu dem er nicht nur ein freundschaftliches Verhältnis aufbaute, sondern mit dem er später auch ein kongeniales Duo bilden sollte.

"Ich war etwas nervös, weil Chapman zusah. Hätte ich diesen hübschen kleinen Lotus damals geschrottet, wäre mir nichts anderes übrig geblieben, als mich vollends meiner Farm zu widmen und den Rennsport zu vergessen", erinnerte sich Clark.

Damit hätte er seinen Eltern wohl einen großen Gefallen getan. Diese hielten nichts von den motorsportlichen Eskapaden ihres Sohnes, der eigentlich das über 1.000 Hektar große Gutsgrundstück übernehmen sollte, auf dem er groß geworden war. Zwar machte Clark auch eine landwirtschaftliche Lehre und liebte die heimische Farm, doch seine primäre Aufmerksamkeit galt damals einzig und allein dem Rennfahren.

"Starr vor Angst"

Da Clark den Lotus aber an dem besagten Tag in Brands Hatch nicht zu Schrott fuhr, sondern seinen enormen Speed unter Beweis stellte, schenkte ihm Chapman 1959 ein Cockpit in der Formel Junior und der Formel 2. Als er auch hier erfolgreich unterwegs war, beförderte der Lotus-Macher seinen Schützling und zog ihn hoch in die Formel 1.

Sein Debüt gab Clark mitten in der Saison 1960 auf dem Circuit Park Zandvoort. Nachdem er zunächst einige Positionen gut machen konnte, schied er nach einem technischen Defekt aus.

Der Frust aber hielt nur kurz an, denn schon beim nächsten Lauf in Spa holte er mit einem fünften Platz seine ersten WM-Punkte - und das, obwohl er "das gesamte Rennen starr vor Angst gefahren" war. Überhaupt konnte Clark den belgischen Kurs mit seinen ultraschnellen Kurven lange Zeit nicht ausstehen. Diese negative Einstellung sollte sich jedoch im Juni '62 schlagartig ändern, als er ausgerechnet hier seinen ersten Formel-1-Sieg feierte.

Eine Schraube spielt Schicksal

In jener Saison war "Jimmy" mit dem legendären Lotus 25 unterwegs, der mit seinem Monocoque-Bau die Königsklasse revolutionierte und den Fahrer erstmals in eine Liegeposition brachte. Der dunkelgrüne Wagen mit dem markanten gelben Streifen sah dabei nicht nur pfeilschnell aus, er war es auch.

Zu insgesamt drei Siegen fuhr Clark in dem Jahr, dank derer er bis kurz vor Schluss auf seinen ersten Weltmeisterschaftstitel hoffen durfte.

Beim letzten Grand Prix des Jahres wurde es dann dramatisch: Der fast stoisch wirkende Clark führte das Rennen vom Start weg souverän an und sah wie der sichere Champion aus. Bis zur 61. Runde. Bis sich eine kleine Schraube am Motor löste und ein Ölleck verursachte. Clark rollte mit rauchendem Heck in die Box, Graham Hill wurde Weltmeister.

Nur zwei Jahre später ereilte den Pechvogel dasselbe Schicksal. Wieder hatte er im letzten Rennen die Chance auf den Titel, wieder versagte die Technik. Doch Clark nahm die bittere Niederlage sportlich: "That's racing."

Dem Pech folgt die Dominanz

Dass der Lotus seine Piloten so oft im Stich ließ, war kein Zufall. Chapmans Konstruktionen waren seit jeher so genial wie anfällig.

Hielt aber die Technik, war das Duo Clark/Chapman nahezu unschlagbar. "Die Formel-1-Rennen haben all ihre Spannung verloren, seit mit Jim Clark im Lotus der Sieger schon immer vor dem Start feststeht", resümierten die Zeitungen 1963.

Clark dominierte in dieser Saison nach Belieben, gewann sieben von zehn Rennen und stellte damit einen Rekord auf, der erst 25 Jahre später von Ayrton Senna geknackt wurde. "Alles in allem", sagte Senna einmal über Clark: "War er der Beste der Besten."

Die Krönung: Endlich durfte sich Clark auch Weltmeister nennen. Faszinierend war dabei aber nicht nur die Anzahl der Siege, sondern auch die Art und Weise, wie Clark sie herausgefahren hatte. "Er ringt dem Motor keine Umdrehung mehr ab, als er braucht", stellte Chapman beeindruckt fest. Zudem konnte er sich auf neue Gegebenheiten perfekt einstellen.

Husarenritte eines Naturtalents

Bestes Beispiel: der Grand Prix in Reims. Nach einigen Runden verlor der Climax-Motor rund 1500 Touren von seiner Höchstdrehzahl. Clark passte daraufhin seinen Fahrstil an, änderte sein Schaltverhalten, betätigte Gas und Bremse anders, bis er das eigentliche Fünf-Sekunden-Defizit fast wieder wettmachte.

Ein ähnlicher Husarenritt gelang ihm 1966 in den USA. Lotus besaß in diesem Jahr keinen geeigneten Motor und musste auf einen 16-Zylinder-Brocken von B.R.M. zurückgreifen, der das Auto laut Jackie Stewart "unfahrbar" machte.

Unfahrbar? Nicht für Clark. Er trotzte den Widrigkeiten und gewann das Rennen in Amerika. Es war der einzige Formel-1-Sieg, der jemals mit einem 16-Zylinder errungen wurde.

Zum Titel genügte dieser eine Sieg selbstverständlich nicht. Und auch ein Jahr später reichte es aufgrund von zu vielen technischen Ausfällen nicht mehr zum großen Triumph. Somit blieb das Jahr 1965, in dem Clark fast schon nebenbei die 500 Meilen von Indianapolis gewann, das letzte, indem er eine Formel-1-Weltmeisterschaft für sich entscheiden konnte.

Im Herzen ein Farmer

Und doch stiegen mit jedem Jahr der Ruhm, die Bekanntheit und das öffentliche Interesse. Anstatt sich aber auf Partys als frauenumworbener Playboy aufzuspielen, blieb der Doppel-Weltmeister bescheiden, trank lieber Limonade als Alkohol und verzichtete auf abendliche Eskapaden.

Entscheidend für ihn war immer nur der Spaß am Sport: "Ich fahre, weil ich es liebe. Wenn ich einen Gefährten schlagen soll, dann nur, weil ich ihn schlagen will und nicht, weil es für den Ersten mehr Geld als für den Zweiten gibt."

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Diesen Siegeswillen hatte Clark nie verloren. Und doch sehnte er sich mit der Zeit nach etwas anderem: seiner eigenen Farm in Schottland. Hier wollte er sich mit seiner Lebenspartnerin niederlassen, eine Familie gründen, Traktor fahren und die Ruhe der Natur genießen. Wie einst in seiner Jugend.

Motorsport war für Clark immer Leidenschaft, doch die Farm war sein Leben. So steht auch auf seinem Grabstein an erster Stelle "Farmer" geschrieben, erst dann "World Champion" und "Motor Racing Driver".

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