Wenn der Iceman (nicht mehr) rot sieht

Von Dominik Geißler
Räikkönen steigt aus seinem Ferrari aus - bald für immer?
© getty

Letzte Saison verlor Kimi Räikkönen das teaminterne Duell gegen Fernando Alonso deutlich, auch gegen Sebastian Vettel sieht es für den Iceman düster aus. Nun scheint das Aus bei Ferrari besiegelt: Nach der Saison soll für den Finnen Schluss sein beim Traditionsrennstall - und damit auch das Ende seiner Formel-1-Karriere bevorstehen.

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Es ist die 28. Runde des Großen Preises von Kanada 2015: Kimi Räikkönen dreht sich völlig unbedrängt beim Herausbeschleunigen aus der Haarnadel. Zwei Wochen später in Spielberg verliert der Finne sein Auto abermals am Kurvenausgang. Mit dem Malheur am Red-Bull-Ring beendet Räikkönen nicht nur sein eigenes, sondern auch das Rennen von Alonso.

Wo auch immer die Ursache für die beiden Fauxpas liegen mag, sie wirken sinnbildlich für die aktuelle Krise des Icemans. Sie lassen Räikkönen als Amateur erscheinen, dessen Tage in der Formel 1 gezählt sind. Der Vertrag des Weltmeisters des Jahres 2007 läuft zum Saisonende aus, eine Verlängerung des Kontrakts sei laut Corriere dello Sport ausgeschlossen.

Dem Blatt zufolge soll Williams-Pilot Valtteri Bottas seinen Landsmann ab 2016 ersetzen. 18,5 Millionen Euro Ablöse sei der 25-Jährige dem Team aus Maranello laut Gazzetta dello Sport wert, die offizielle Bekanntgabe des Deals erfolge jedoch erst nach dem 31. Juli. Dann nämlich soll die vereinbarte Option auf eine Vertragsverlängerung mit Räikkönen auslaufen.

"Es gibt eine Deadline"

Bereits am Rande des Österreich-Grand-Prixes drohte Maurizio Arrivabene offen mit dem Aus des Fanlieblings. "Es gibt eine Deadline", ließ der Teamchef verlauten und legte damit die Verantwortung für Räikkönens Zukunft in dessen Hände: "Er muss arbeiten, um zu beweisen, dass er einen Ferrari verdient."

In dasselbe Horn blies auch Ferrari-Boss Sergio Marchionne: "Seine Zukunft hängt von ihm ab und er muss entscheiden, ob er Ergebnisse abliefert oder aufgibt." Diese fehlen Räikkönen allerdings. Mit 76 WM-Punkten muss er sich seinem Teamkollegen Vettel (135) deutlich geschlagen gegeben.

In der Fahrerwertung liegt der Deutsche auf Rang drei, während Räikkönen selbst seinem wohl baldigen Nachfolger Bottas auf Rang fünf hinterherhinkt. Auch im Qualifying zieht Kimi den Kürzeren: Im teaminternen Duell steht es zwei zu sieben aus Sicht des Finnen.

Es ist eine Erfahrung, die nicht neu für Räikkönen ist. Bereits in der Saison 2014 unterlag er seinem Teamkollegen Alonso hoffnungslos. Der Spanier entschied das Trainingsduell mit 17:2 für sich und schnitt mit 161 zu 55 Punkten auch in den Rennen deutlich besser ab.

Kimi und das Herbert-Syndrom

Doch warum fährt Räikkönen seinen Teamkollegen seit anderthalb Jahren hinterher? Der ehemals "Fliegende Finne" ist gewiss ein hochtalentierter Fahrer und zeigte sein Können bereits in seinen ersten Formel-1-Jahren bei Sauber und McLaren-Mercedes, gekrönt von dem großen Triumph 2007 im Ferrari.

Doch scheint Räikkönen am selben Syndrom wie einst Johnny Herbert zu leiden: Der Brite war ein guter Rennfahrer, gewann 1991 beispielsweise das 24-Stunden-Rennen von Le Mans - und hatte das bittere Vergnügen, zwei Jahre lang Teamkollege von Michael Schumacher bei Benetton zu sein.

Während der Deutsche 1994 und 1995 seine ersten beiden Weltmeistertitel einfuhr, gelangen Herbert kaum Erfolge. Als ein Grund gilt das extreme Fahrzeugkonzept, das den Bennetton stark übersteuern ließ und so für die Nicht-Schumachers kaum zu bändigen war.

Erfolg als Ausnahme

Auch Räikkönen hatte 2014 Probleme mit dem Handling seines Ferraris. Der älteste Pilot der Formel 1 gilt als sensibler Fahrer, der besonders beim Anbremsen in die Kurve ein stabiles Auto braucht. Dieses Auto konnte ihm Ferrari 2014 nicht bieten. Ein Hindernis, das Räikkönen im Gegensatz zu Alonso, der von vielen Experten als komplettester Fahrer im Feld betrachtet wird, nicht überwand.

Im Jahr 2015 hat Räikkönen mit Vettel einen Teamkollegen, der ihm vom Fahrstil ähnlicher ist. Der Ferrari ist zudem beim Anbremsen stabiler und bietet auf der Vorderachse mehr Grip. Diese Eigenschaften halfen dem 35-Jährigen, zu Saisonbeginn für den einen oder anderen Lichtblick wie etwa die Podiumsplatzierung beim Großen Preis von Bahrain - der ersten seit 2013 - zu sorgen.

Doch Erfolge wie diese sind Ausnahmen. Während Vettel heuer bereits einen Sieg feierte und regelmäßig erster Mercedes-Verfolger ist, stellte sich bei Räikkönen Ratlosigkeit ein. "Das Handling war wirklich bestens. Leider fehlte es trotzdem bei den Rundenzeiten. Ich weiß nicht, woran das lag", zeigte er sich etwa nach dem Rennen in Silverstone unschlüssig.

Neben fahrerischen Schwächen hat Räikkönen aber aktuell auch nicht das nötige Rennfahrer-Glück. In England entschied er sich bei einsetzendem Regen zu früh für die Intermediate-Reifen, in Österreich verließ er im ersten Segment des Qualifyings zu spät die Garage und scheiterte so schon früh. Beim Saison-Auftakt in Australien musste er nach einem missglückten Boxenstopp seinen Wagen abstellen.

Das Deja-vu des Iceman

Ob mangelnde fahrerische Qualität oder Pech: Räikkönen befindet sich in einer wohl aussichtslosen und ihm bereits bekannten Situation. Schon 2009 überzeugte der stoische Mann aus Espoo nicht mehr im Ferrari. Es folgte die einvernehmliche Vertragsauflösung und damit das zwischenzeitliche Ende seiner Formel-1-Karriere.

Nach zwei Jahren in der Rallye-Weltmeisterschaft fand er schließlich 2012 über Lotus den Weg zurück in die Königsklasse des Motorsports. Dort brillierte der Comebacker so sehr, dass Ferrari ein weiteres Mal rief - der Rest ist Geschichte.

Lange Zeit unterstützte die Scuderia Räikkönen in dessen zweiter Amtszeit, wehrte stets die Kritik der Öffentlichkeit ab und versuchte den 20-fachen Grand-Prix-Sieger zu motivieren. "Kimi ist am besten, wenn er ein wenig in Schwierigkeiten steckt", gelobte Arrivabene noch vor wenigen Monaten Besserung.

Doch Räikkönen zahlte das Vertrauen in ihn nicht zurück und steht nun vor dem Ende seiner Formel-1-Karriere. Was die Zeit danach für den 35-Jährigen bringt, ist noch offen. "Ich habe keinen Plan, wie mein Leben dann aussehen könnte. Das hatte ich vor sechs Jahren auch nicht, als ich zum ersten Mal mit der Formel 1 aufgehört habe", erklärte Räikkönen gewohnt nüchtern.

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