Beendet Hässlichkeit die Ära Newey?

Red Bulls Adrian Newey ist nicht euphorisch, wenn er an die Saison 2014 denkt
© getty

Sebastian Vettel hat gerade erst seine vierte Weltmeisterschaft eingefahren, doch schon jetzt werfen die Reglement-Änderungen 2014 einen langen Schatten voraus. Red-Bull-Technikdirektor Adrian Newey befürchtet das Ende der eigenen Dominanz, weil die neuen V6-Turbo-Motoren extremen Einfluss haben. Derweil lehnt Mercedes die Favoritenrolle entschieden ab.

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Vier Doppelweltmeisterschaften in vier Jahren - Red Bull langweilt die Formel 1 mit purer Überlegenheit. Doch für die neue V6-Turbo-Ära rechnen alle Beteiligten mit zuletzt völlig ungewohnten Zuständen. "Sebastians Dominanz wird zu Ende gehen, vielleicht schon 2014", sagte Chefpromoter Bernie-Ecclestone der "Bild". Neue Regeln, neue Autos, neue Motoren. "Das ist die Chance für Ferrari und Mercedes, zu Vettel aufzuschließen."

Vettel hilft beim Abbau: Dominator mit Teamsinn

Die Silberpfeile haben das schon lange verinnerlicht. "Red Bull hatte durch die Weiterentwicklung existierender Autos einen Vorteil", meinte Mercedes-Aufsichtsratschef Niki Lauda: "Um ehrlich zu sein halte ich die bevorstehenden Änderungen für die signifikantesten überhaupt."

Mercedes will aus den Veränderungen wie schon 2009 die größten Vorteile ziehen, als die letzte große Reglementänderung stattfand und der Rennstall unter dem Namen Brawn GP überraschend beide WM-Titel holte. Dafür sicherten sie sich die Dienste zahlreicher Topingenieure. "Da kommen so viele Themen auf uns zu, dass wir ein paar intelligente Menschen mehr brauchen", erklärte Toto Wolff im SPOX-Interview.

Mercedes entwickelt neues Auto seit 2012

Während Aldo Costa und sein Team den W04 für 2013 entwickelten, kümmerte sich Geoff Willis seit 2012 mit einem immer größer werdenden Mitarbeiterstab um die neue Saison. Schon im Mai arbeiten mehr als 50 Prozent am neuen Wagen, mittlerweile sind es fast 100. Auch Ferrari entwickelte beide Autos parallel mit zwei Arbeitsgruppen.

"Manche Rennställe werden es richtig hinbekommen, andere werden dramatisch danebenliegen", machte Ross Brawn allen Mut, die auf ein Ende der Red-Bull-Ära hoffen. Die Silberpfeile hätten durch die lange Entwicklungszeit jeden Grund optimistisch zu sein: "Wir werden ein klasse Auto haben."

Kommt die Ära der Hässlichkeit?

Dabei beschleichen Design-Enthusiasten beim Blick auf das neue Reglement schon jetzt böse Vorahnungen. "Das neue Auto wird hässlich. Leider", erklärte Red Bulls Designpapst Adrian Newey.

Auch Ferrari-Testpilot Pedro de la Rosa kennt die Gerüchte: "Die Leute sagen: 'Hey, unser Auto ist hässlich. Wie sieht es bei euch aus?'"

Die nüchternen Fakten: Die Nasenspitze der Autos rückt deutlich nach unten. Aktuell kann das Chassis vorn noch 62,5 Zentimeter hoch sein, das Ende der Nase 55. Obwohl die Gesamthöhe gleich bleibt, dürfen die Spitzen im kommenden Jahr fünf Zentimeter hinter ihrer Spitze aber nur noch 18,5 über dem Boden positioniert sein - viel niedriger ist der Frontflügel auch nicht.

"Da wird eine dünne Banane aus dem Chassis wachsen"

Trotzdem werden die meisten Designer wohl danach die Maximalhöhe von 55 Zentimetern auf Höhe der Vorderachse nutzen, um die Luft optimal weiterzuleiten. Auf 70 Zentimetern Länge fällt die Konstruktion also um 31,5 Zentimeter ab. "Da wird vorne eine hässliche dünne Banane aus dem Chassis wachsen", beschrieb Force-Indias Technikchef Andy Green.

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Die Aerodynamiker sollen die Autos laut "Auto Motor und Sport" wahlweise als Ameisenbär oder Walross bezeichnen. Letzterer Spitzname entstand, weil einige der künftig 30 Zentimeter kleineren Frontflügel angeblich wie beim Williams FW26 von 2004 von zwei nach vorne ragenden Stegen gehalten werden.

Nur Mercedes will davon nichts wissen. "Ich mache mir da keine Sorgen, denn unser Auto sieht ziemlich normal aus. Vielleicht hat Adrian ja ein anderes Konzept gefunden", erwiderte Brawn den Kritikern der neuen Vorschriften.

Einfluss des Motors steigt wieder

Die ungewohnte Optik ist allerdings nicht die einschneidendste Veränderung. Unter der Abdeckung ist der Wechsel wesentlich radikaler. "Der Motor spielt endlich wieder eine wichtigere Rolle. Das ist gut", so Brawn. Neben der kinetischen Rückgewinnung beim Bremsen wird künftig auch die Abwärme der Turbos in Strom verwandelt und durch das neue ERS beim Beschleunigen hinzugegeben.

"Es besteht sehr wohl die Gefahr, dass die neue Saison vom Motor dominiert wird", sagte der 54-jährige Newey im "Auto Bild Motorsport"-Interview: "Insbesondere zu Beginn, wenn einer der drei Hersteller einen besseren Job machen sollte als die anderen beiden."

Seit längerem halten sich Gerüchte, dass insbesondere Ferrari Probleme hat, das neue Aggregat zum Laufen zu bekommen. Hybrid-Antrieb und V6-Motoren gelten nicht unbedingt als das Steckenpferd der Italiener.

Wolff lehnt Favoritenrolle ab

Mercedes wird dagegen nachgesagt, sie würden den besten Motor in die Autos pflanzen. "Ich war in Maranello und habe das Motorenwerk von außen gesehen. Man darf sich nicht vorstellen: deutsche Ingenieurskunst gegen italienische Improvisation und französisches Laissez-faire", erklärte Motorsportchef Toto Wolff: "Das sind drei Marken, die auf Augenhöhe den besten Motor entwickeln wollen."

Ähnlich sieht es Red Bull. "Aus Sicht von Renault gibt es keine Anhaltspunkte, an denen man ausmachen könnte, ob ein Hersteller gegenüber den anderen einen signifikanten Vorteil hat", sagte Newey: "Ich denke aber, dass vor allem die Zuverlässigkeit zumindest zu Saisonbeginn ein ganz großes Thema sein wird."

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Neben der Haltbarkeit ist auch die Kompaktheit ein entscheidendes Argument. Anpassungen durch die Kundenteams sind künftig verboten. Ferrari, Mercedes und Red Bull, die als Renault-Erfolgsteam bevorzugt behandelt werden, haben dadurch einen großen Vorteil.

"Wenn ich ehrlich bin, gibt es da kein großes Mitspracherecht. Unser Programm ist Spitz auf Knopf genäht. Wir haben eine Lösung für uns entwickelt. Daran müssen sich die anderen anpassen", bestätigte Brawn die Nachteile für McLaren, Williams und Force India.

Hässlichkeit auch am Heck

Lediglich die Krümmer des Auspuffs dürfen die Teams noch modifizieren. Doch das ist eigentlich gar keine Möglichkeit. Die Änderungen dürfen die Leistung nämlich nicht beeinflussen, was bei jeder Veränderung automatisch passiert. Tricks mit den Auspuffgasen sind ebenfalls ausgeschlossen. Künftig ragt ein einziges Endrohr wie ein Schnorchel in 350 bis 550 Millimetern Höhe aus der Motorabdeckung.

"Die neuen Regeln machen es auf jeden Fall anspruchsvoller, so viel ist sicher", fasst Newey zusammen. Dennoch schmeckt dem studierten Luftfahrtingenieur eines nur wenig: "Wenn du dich hinsetzt und die Details durchgehst, bemerkst du eine Einschränkung nach der anderen."

Dass dadurch das Feld enger zusammenrückt, ist nicht selbstverständlich. "Die Abstände im Rennen könnten gewaltig sein", sagt Brawn. Pirelli-Motorsportchef Paul Hembery freut sich darüber: "Was nächstes Jahr passiert, wird für einen Ingenieur, der Autos mag, sehr aufregend sein." Geht es wieder mehr um technische Meisterleistungen, rücken die anfälligen Reifen endlich in den Hintergrund.

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