Mehr Favoriten gab es noch nie

Von Alexander Maack
Nico Rosberg und Mercedes AMG Petronas wussten bei den Wintertests durchaus zu überzeugen
© getty

Die Motoren heulen wieder, die Formel 1 startet in ihre neue Saison (Sa., 6.45 Uhr im LIVE-TICKER)! Zur Freude der deutschen Fans steht mit Mercedes AMG Petronas ein Team vor dem Großen Preis von Australien am Sonntag ganz oben auf der Favoritenliste, das in den vergangenen Jahren nur die zweite oder dritte Geige spielte.

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Doch trotz der Bestzeiten bei den abschließenden Wintertests der Formel 1 lehnten die Stuttgarter die Favoritenrolle für Melbourne zuletzt entschieden ab. Zu unterschiedlich seien die Rahmenbedingungen. Langsam sollten Nico Rosberg und Lewis Hamilton aber umdenken, selbst Vizeweltmeister Fernando Alonso hat die Silberpfeile auf der Rechnung.

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"Der Druck liegt eher bei den anderen Jungs, die schon großartige Autos hatten und sie mit den diesjährigen Modellen weiterentwickelt haben", sagte Mercedes-Neuzugang Hamilton nach dem Testabschluss in Barcelona: "Ich fühle mich eher, als hätte ich einen Freifahrtschein." Hamilton und Rosberg waren an den letzten beiden Tagen zur Bestzeit gefahren.

Auch die neue Chefetage der Silberpfeile bemühte sich schnell, den aufkeimenden Optimismus einzubremsen. "Es ist natürlich erfreulich, bei den Tests vorn zu stehen. Es sagt aber leider nichts aus", erklärte Toto Wolff, der den langjährigen Motorsportchef Norbert Haug im Januar abgelöst hatte. Nach drei Jahren des chronischen Hinterherfahrens ist Mercedes dennoch wieder im Kreis der Favoriten angekommen.

Die Silberpfeile richteten ihr Entwicklungsprogramm im Unterschied zu den übrigen Top-Teams früh auf die Saison 2013 aus. Das Resultat beeindruckte die übrigen Teams bei den Tests in Barcelona. Das Hauptproblem des letzten Jahres scheint ausgemerzt. Die schlechte Balance und der damit verbundene übermäßige Reifenverschleiß gehören wohl der Vergangenheit an.

Hamilton und Rosberg zufrieden

Stattdessen überzeugen die Stuttgarter plötzlich mit aerodynamischer Stabilität und überdurchschnittlichem mechanischen Grip. Bei den vielen langsamen Kurven im Melbourner Albert-Park ein klarer Vorteil. "Das Problem ist, dass man nicht weiß, wo die anderen stehen", sagte Rosberg: "Die Basis ist gut. In Sachen Zuverlässigkeit haben wir alles aussortiert. Es läuft alles nach Plan. Nur in Sachen Pace müssen wir wie gesagt aufpassen."

Selbst Hamilton gibt sich mittlerweile wesentlich optimistischer als beim Testauftakt, als er über fehlenden Abtrieb klagte. "Das Auto hat sich schon jetzt sehr verändert, obwohl wir nun an den letzten Tagen nicht mehr wirklich etwas Neues hinzugefügt haben", sagte der 28-Jährige, der 2014 einen weiteren Titel anpeilt. In dieser Saison will er zumindest um einzelne Rennsiege mitfahren.

Mercedes hat Reifenverschleiß im Griff

Grund für die Fortschritte und den gestiegenen Optimismus der Silberpfeile könnten Verbesserungen am Fric-System sein, das die vier Dämpfer hydraulisch miteinander vernetzt. "Obwohl es im vergangenen Jahr auf der Strecke nicht danach aussah, haben wir die Reifen im letzten Jahr verstanden und wissen nun, was wir tun müssen ", erklärte Technik-Direktor Bob Bell gegenüber "Autosport".

Mercedes soll bereits seit drei Jahren am Fric-System arbeiten, das äußerst schwer abzustimmen ist. Der Effekt entspricht einer aktiven Aufhängung ohne elektronische Hilfsmittel. Diese wären verboten. Zumindest in Barcelona scheint es der Mercedes-Crew gelungen zu sein, die Abstimmung nahezu optimal hinzubekommen.

Wieder Reifenprobleme durch niedrige Temperaturen?

Die Chance, dass sich dieser Erfolg beim Saisonauftakt wiederholt, wurde in den letzten Tagen immer größer. Die erwarteten hochsommerlichen Temperaturen bleiben beim Rennen in Melbourne aus. Aktuell prognostizieren die Meteorologen für Sonntag maximal 19 Grad. Regengefahr besteht am gesamten Wochenende. Die Bedingungen sind damit ähnlich wie während der Testbestzeiten in Barcelona.

Bei der Konkurrenz führen die Bedingungen zu größeren Denkfalten. "Wenn es so wie hier auch in Melbourne wird, dann erleben wir acht Boxenstopps pro Auto", kündigte McLaren-Neuzugang Sergio Perez in Barcelona an. Das Problem: Bleiben die Reifen zu kalt, verringert sich der Grip. Für die Fahrer fühlt es sich an, als würden sie auf Kugellagern fahren. "Ich hoffe, dass es hier besser wird, sonst kann es richtig lustig werden", sagte Sebastian Vettel am Donnerstag.

Vettel titelhungrig - aber geduldig

Selbst der Weltmeister kämpfte bei den abschließenden Tests mit Balance-Problemen. Dennoch gilt Red Bull weiterhin als Top-Favorit für den Auftaktsieg. Etwa zwei Zehntelsekunden soll Vettels neuer RB9, den er auf den Namen "Hungry Heidi" taufte, schneller sein als der Rest des Feldes.

Trotzdem dämpfte der Heppenheimer die Erwartungen. "Ich bin sehr glücklich, dass die Saison endlich startet, weil wir wissen wollen, wo wir stehen", sagte der 25-Jährige: "Ich glaube, wir haben aktuell alle keine Ahnung." Immerhin können die Teams auf die Erkenntnisse des Vorjahres aufbauen, weil das Reglement kaum verändert wurde.

Die Zeitabstände werden sich im Vergleich zum Vorjahr somit nochmals verringern. "Schon da war es sehr eng, weshalb ich nicht erwarte, dass es in diesem Jahr anders ist", erklärte auch Vettel: "Wenn überhaupt, wird es ein wenig enger. Es wird also noch entscheidender, das Beste aus jedem einzelnen Rennen zu machen."

Alonso: Zehn Favoriten beim Saisonauftakt

Der Einschätzung seines Kontrahenten schloss sich Vizeweltmeister Fernando Alonso an. "Durch die beständigen Regeln erwarte ich, dass die fünf Top-Teams einen kleinen Vorsprung haben und es während der ersten Rennen viele Überraschungen gibt", sagte der Spanier kryptisch.

Haben damit zehn Fahrer Siegchancen in Melbourne? "Ich glaube schon", räumte Alonso auf Nachfrage ein: "Mercedes Ferrari, McLaren, Lotus und Red Bull haben alle zu verschiedenen Zeitpunkten der Tests Potenzial gezeigt. Deshalb ist es so schwer, einen Favoriten zu wählen."

Stuck: Hülkenberg gewinnt in Melbourne

Wie Alonso versuchte sich fast jeder im Fahrerlager bei der Frage nach den Favoriten herauszureden. Nur Hans-Joachim Stuck überraschte mit einem markigen Tipp. "Ich denke, dass Nico Hülkenberg das erste Rennen in Melbourne gewinnen wird", sagte er bei "Servus TV".

Der neue Sauber-Pilot selbst gab sich trotz des Lobes zurückhaltend. "Das wäre tatsächlich eine Überraschung", so Hülkenberg: "Euphorisch zu werden und zu sagen, ich fahre in Melbourne in die erste Reihe, wäre auch falsch. Dafür ist das Leistungsniveau noch zu undurchsichtig."

Sauber wählte das radikalste Design

Sofern der neue Sauber C32 sich ähnlich reifenschonend verhält wie das Vorjahresmodell, könnte der Deutsche mit dem nötigen Glück wirklich seinen ersten Sieg feiern. Das Auto ist zumindest eins der Highlights in diesem Jahr. Der Schweizer Rennstall wählte mit extrem schmalen Seitenkästen einen radikalen Ansatz, der weniger Luftwiderstand verspricht.

Allerdings bestanden Zweifel, ob ausreichend kühlende Luft den Motor erreicht. Die Bedenken sind mittlerweile verpufft. "Bereits nach dem ersten Tag konnte Entwarnung gegeben werden: Die Kühlung zeigte sich als sehr leistungsfähig", erklärte Teambesitzer Peter Sauber kürzlich.

Comebacker Sutil sieht Auszeit als Vorteil

Neben Hülkenberg übt sich auch der vierte Deutsche im Feld im vorsichtigen Optimismus, wobei Adrian Sutil vor allem froh ist, nach einem Jahr Auszeit wieder in der Formel 1 angekommen zu sein.

"Es ist ein Neuanfang, meine zweite Chance in der Formel 1 und ich möchte das Beste aus dieser Möglichkeit machen", erklärte der 30-Jährige, der seine Auszeit mittlerweile als Vorteil ansieht: "Es hat mir dabei geholfen, als Mensch zu wachsen und ich fühle mich nun mental stärker."

Sutils Saisonziele unterscheiden sich kaum von Hülkenbergs. Podestplätze sollen her. Force India lag während der Wintertests auf einem Niveau mit Sauber und Williams. Die Mittelfeld-Teams sind ebenso zusammen gerutscht wie die Top-Teams.

Force India spekuliert auf Überraschung

Force-India-Besitzer Vijay Mallya könnte sich sogar vorstellen, dass sein finanziell schwächer aufgestelltes Team die Konkurrenz überflügelt. "Das erste Saisonrennen auf einer Strecke wie Melbourne ist immer eine Lotterie. Sollte einer der Spitzenleute straucheln, werden wir zuschlagen", gab sich Vijay Mallya kampfeslustig.

Chancen bestehen. Der VJM06 hat sich im Vergleich zum Vorjahr kaum verändert. Den Ingenieuren erleichtert dies die Abstimmung. Bei wechselnden Bedingungen auf der nur selten genutzten, semipermanenten Rennstrecke im Albert-Park ein bedeutender Vorteil.

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