Dem Schicksal zum Trotz

Von Christoph Köckeis
Robert Kubica denkt nicht daran aufzugeben - er ist mit dem Motorsport-Virus infiziert
© Getty

Robert Kubica bekam die komplette Breitseite des Lebens zu spüren. 2011 zerstörte ein Horrounfall den Traum von der Formel-1-Krone. Doch er lebt. Er lebt seine Passion. SPOX zeichnet den Leidensweg nach.

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San Martino di Castrozza, ein 600-Seelen-Dorf in Norditalien. Anfang September trüben alljährlich dröhnende Motoren die malerische Idylle im Herzen der Dolomiten.

Nie zuvor durfte sich das semiprofessionelle Starterfeld der Rally Internazionale eines derartigen Medienrummels erfreuen. Unter ihnen weilte jemand, der bereits in der Motorsport-Königsklasse beeindruckte. 2008 erstmals siegte. Robert Kubica.

Zahllose Experten attestierten ihm das Potenzial eines künftigen Weltmeister, dem ersten Polens. Doch das Leben meinte es weniger gut.

Statt um den Eintrag in die Geschichtsbücher zu fahren, die Karriere zu krönen, fand er sich im verschlafenen Primierotal wieder. Weit ab vom mondänen Formel-1-Zirkus.

Als er durch eine Waldpassage raste, stockte seinen Fans der Atem. In einer scharfen Kurve verlor er die Kontrolle. Sein Subura Impreza prallte erst gegen eine Laterne, um danach im Straßengraben zu landen. Kubica blieb unverletzt, konnte ohne fremde Hilfe aus dem Wrack klettern.

Ein Realist statt Fantast

Ob der Vorgeschichte erregte der Unfall dennoch weltweite Schlagzeilen, er selbst reagierte gereizt darauf: "Wir sind nicht gefährlich gefahren", verteidigte sich der 28-Jährige: "Es war besonders schmutzig, das konnte ich nicht vorhersehen."

Plötzlich waren sie wieder da. Die unweigerlichen Assoziationen. Die Bilder des verhängnisvollen 6. Februars 2011. Damals verunglückte Kubica als Gaststarter bei der Rally Ronde di Andora schwer. Er schlug mit hoher Geschwindigkeit in der Leitplanke ein, zerschellt an der Kirchenmauer.

Neben multiplen Knochenbrüchen bereitete die beinahe irreparabel beschädigte rechte Hand Sorgen. "Roberts Unterarm war an zwei Stellen aufgerissen, die Blutzirkulation unterbrochen, die rechte Hand fast abgestorben. Knochen und Sehnen waren erheblich zerstört", so Professor Mario Igor Rossello.

In einer stundenlangen Notoperation konnte der Arm gerettet, die Amputation abgewendet werden. "Kurz danach war ich heilfroh, überlebt zu haben", gewährte der sonst so medienscheue Kubica der französichen "L'Equipe" unlängst tiefe Einblicke in die Gefühlswelt: "Ich bin nicht gerade ein Fantast, eher ein Realist. Die Ärzte haben mir geholfen, optimistisch nach vorne zu blicken."

"Gelernt das Leben zu schätzen"

Warum das Schicksal ausgerechnet ihn mit voller Härte aus der Bahn warf, beschäftigte ihn nie. "Im Krankenbett sah ich, dass es dich schlimmer treffen kann. Einige Patienten haben keine Chancen, das verändert wiederum deine Sichtweise", sinniert er.

Ein bewusstseinserweiternder Prozess: "Mir bereiteten die kleinsten Fortschritte große Glücksgefühle. Man lernt das Leben zu schätzen, zu nehmen wie es ist." Früh träumte Kubica von der Formel 1. Sie faszinierte ihn. Irgendwann wollte er selbst im Konzert der Großen mitmischen.

Die Eltern, Besitzer einer Tonbandfabrik, förderten ihren Filius. Als Vierjähriger bekam er seinen ersten fahrbaren Untersatz. "Sie kauften mir eine Jeep-Miniaturversion mit drei PS und zwei Gängen. An dem Tag begann die Laufbahn." Vollends infiziert mit dem Motorsport-Virus, glänzte er fortan auf Italiens Kartstrecken.

Zu dieser Zeit war an einen geregelten Alltag nicht zu denken, die Familie ordnete alles dem gemeinsamen Ziel unter. Mitunter litt die Schulbildung. Kubica scherzt: "Ich war fast nie da, weil ich stets zu Rennen gefahren bin. Meine Lehrer haben mich wahrscheinlich kaum gekannt."

2001 warfen die Bemühungen mit dem Einstieg in den Formel-Sport endlich Ertrag ab. Dass Kubica imstande war, Außergewöhnliches zu leisten, unterstrich er mit dem Titel der World Series by Renault. Der Lohn: Erste F1-Tests.

Horror-Crash in Montreal

Da im französischen Rennstall keine Verfügbarkeit bestand, unterschrieb der Newcomer 2006 als dritter Fahrer bei BMW. Ein Glücksfall. Jacques Villeneuve schwächelte, die Verantwortlichen zogen Mitte der Saison die Reißleine. Für den alternden Champ eine Demütigung. Für Kubica die Chance seines Lebens.

Bei der Premiere in Budapest hinterließ er mit Rang sieben bleibenden Eindruck. In Monza, dem dritten Grand Prix, genoss er als Zweiter erstmals die klebrige Champagner-Dusche. Positive Extreme nahmen aber oft eine dramatische Umkehr. Sinnbildlich, der Straßenkurs in Montreal.

Bevor Kubica im Jahr 2008 das oberste Treppchen erklimmen konnte, schockte er die Motorsport-Welt. Nach Kollision mit Jarno Trulli, rauschte er ungebremst mit 300 Stundenkilometer in die Mauer. Durch die Wucht wurde das schwer ramponierte Monocoque zurück auf die andere Fahrbahnseite geschleudert.

"Als ich den Unfall sah, dachte ich, dass er sicher tot sein würde", meinte Rennarzt Ronald Denis später: ,,Als wir ankamen, atmete und redete er." Beim Aufprall wirkten kurzzeitig fast 30 g auf den Körper - ungefähr das Doppelte der Kraft, mit welcher sich Jet-Piloten im Notfall aus dem Cockpit katapultieren.

Demütig, wortkarg und verrückt

Dass Kubica lediglich Prellungen erlitt, kommt einem Wunder gleich. "Es sah schockierender aus, als eigentlich empfunden", relativiert er. "Als das Auto liegen blieb, merkte ich schnell, dass mir nichts fehlt. Ich hätte aus eigener Kraft aussteigen können."

Er konnte "den Tod überlisten", schrieb eine polnische Zeitung. Manch Rennfahrer, heißt es gemeinhin, würde danach zu grübeln beginnen. Häufig bleibt eine latente psychische Bremse, ja sogar Blockade. Die Selbstverständlichkeit geht verloren. Nicht bei Kubica. Er ist anders. Demütiger. Wortkarger. Ein Sportler aus Leidenschaft.

Er liebt es, im Morgengrauen die Laufschuhe zu schnüren. Oder auf dem Fahrrad die Natur zu genießen. Ein willkommener Ausgleich für den PS-Freak. Zu sagen, durch seine Adern fließe Benzin, klingt irgendwie abgedroschen, jedoch passend.

Verrückt: Drei Jahre nach dem fürchterlichen Zwischenfall schwärmte er von Montreal: "Ich liebe die Strecke. So nah an Wände zu fahren, bietet keinen Spielraum für Fehler. Es ist herausfordernd und entspricht meinem Verständnis von Racing."

Sein Verständnis von Racing rief die Scuderia Ferrari auf den Plan. Bei Renault unter Vertrag wurde er als Nachfolger für Felipe Massa gehandelt. Sein Traum in Italien, wo die Tiffosi ihre Helden vergöttern, zu fahren, war greifbar nah. Bis zur dramatischen Fügung an jenem Sonntag im Februar.

"Mein Name hat noch Bedeutung"

Heute verdingt sich Kubica, der um dem Rennstress zu entkommen, gerne in die Toskana flüchtet, im Rallye-Geschehen. Das angestrebte F1-Comeback rückte ob der Begleitumstände in weite Ferne.

"Mittlerweile behindert mich die Verletzung im Alltag mehr. Früher habe ich das Steuer mit Links gehalten. Ich lerne, die limitierte Hand mit der anderen zu kompensieren. Nur die Beweglichkeit reicht für einen Einsitzer einfach nicht aus." Zumal auch die einst hervorragenden Kontakte abgebrochen sind.

Entsprechend nebulös gestaltet sich die Zukunft. "Ich habe eine meiner liebsten Beschäftigungen verloren. Das stimmt mich traurig. Ich merke aber, dass der Speed gleich geblieben ist." Das "Projekt Rallye" gedenkt er langfristig anzulegen: Berichten zufolge versucht er sich in der ERC für die WRC, die Formel 1 der Drift-Szene, zu empfehlen.

Obwohl er hier "praktisch ein Niemand" wäre, scheint die Cockpit-Suche erfolgsversprechend. "Mein Name hat noch Bedeutung", suggeriert Kubica. Sein Leben dem Zufall zu überlassen, ist keine Option. Der populistischen Forderung der "Gazzetta dello Sport" zum Trotz.

Sie schrieb nach dem jüngsten Crash: "Hat es einen Sinn, noch weiterzumachen..."

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