Das mysteriöse Gentlemen's Agreement

Von SPOX
Niki Lauda (l.) wurde in seiner Karriere dreimal Formel-1-Weltmeister
© Imago

Sebastian Vettel oder Fernando Alonso? Am Sonntag entscheidet sich, wer sich in diesem Jahr die WM-Krone aufsetzen darf. Bevor es in Interlagos zur Sache geht, blickt SPOX auf die denkwürdigsten Formel-1-Saisonfinals aller Zeiten zurück. Mit dabei: der 30-Sekunden-Weltmeister, Michael Schumachers finsterstes Kapitel und ein halber Punkt, der Geschichte schrieb.

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1976: Der Feuerunfall und seine Folgen

WM-Kampf: James Hunt vs. Niki Lauda

Weltmeister: James Hunt (McLaren-Ford)

Es war die Geschichte der Saison. Niki Lauda überlebte in diesem Jahr seinen legendären Feuerunfall auf der Nordschleife, bei dem er schwere Verbrennungen und Gesichtsverletzungen erlitt. Im Krankenhaus soll er damals sogar die letzte Ölung erhalten habe. "Ich lag auf der Intensivstation, schwer gepeinigt durch die Schmerzen, als mich die Krankenschwester fragte, ob ich mir die letzte Ölung wünsche", erinnerte sich Lauda vor einigen Jahren gegenüber der Wochenzeitung "Die Zeit".

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"Ich habe kurz überlegt und mir gedacht, schaden kann mir das nicht. Also habe ich genickt und darauf gewartet, was passiert." Es war jedoch nicht Laudas Ende. Gerade einmal 42 Tage später kehrte er auf die Rennstrecke zurück und wurde beim Großen Preis von Italien Vierter. Dabei konnte der Österreicher wegen den Brandverletzungen kaum blinzeln.

Beim Saisonfinale hätte die Geschichte sogar fast ihr krönendes Happy End gefunden. Lauda kam mit drei Punkten Vorsprung nach Japan, obwohl James Hunt seit dem Unfall vier Rennen gewonnen hatte. Die Wetterbedingungen in Fuji steigerten die Dramatik sogar noch. Es goss aus Kübeln, der Start wurde mehrmals verschoben. Durch die drohende Dunkelheit entschied man sich im Endeffekt doch, das Rennen zu starten.

Allerdings stellte Lauda seinen Ferrari bereits in der zweiten Runde aus Sicherheitsgründen ab: "Dieses Rennen ist der helle Wahnsinn. Ich hatte Angst, mit 180 Stundenkilometern durch eine Regengischt zu rasen, ohne etwas zu sehen. Es gibt wichtigere Dinge als eine Weltmeisterschaft. Zum Beispiel meinen Kopf, meinen Leben."

So lautet zumindest eine Version. Laut Aussage des damaligen Ferrari-Teamchefs Daniele Audetto gab es ein Gentlemen's Agreement, nach der erste Runde anzuhalten. "Wir hatten dank Bernie ein Agreement, nach der ersten Runde anzuhalten. Emerson Fittipaldi hielt an, Lauda hielt an und Carlos Pace hielt an. Aber Hunt hörte auf den McLaren-Boss, der ihm sagte: 'Scheiß auf Ferrari, fahr weiter!'"

Ob es sich wirklich so zugetragen hat, ist nicht hundertprozentig bewiesen. Was bleibt, war Hunts erster WM-Titel, mit einem Punkt Vorsprung vor Lauda.

1984: Ein halber Punkt schreibt Geschichte

WM-Kampf: Niki Lauda vs. Alain Prost

Weltmeister: Niki Lauda (McLaren-TAG-Porsche)

Die Saison 1984 ging in die Formel-1-Geschichte als knappste WM-Entscheidung aller Zeiten ein. Nach 16 Rennen trennte Niki Lauda und Prost ein halber Punkt. Der Hintergrund: Das Chaosrennen in Monte Carlo wurde wegen starker Regenfälle nach der 31. Runde abgebrochen.

Weil noch nicht 75 Prozent der Renndistanz zurückgelegt wurde, bekamen die Piloten nur halbe Punkte. Besonders bitter für Alain Prost, der in Monaco triumphierte.Das Finale in Estoril stand unter dem Motto "Kampf der Generationen". Der alte Platzhirsch Lauda gegen den jungen Draufgänger Prost. Obwohl der Franzose mit 3,5 Punkten Rückstand nach Portugal reiste, ging er als Titelfavorit ins Rennen.

Der Grund: Im Qualifying stellte Prost seinen McLaren auf Platz zwei hinter Nelson Piquet. Und Lauda? Der damals zweimalige Weltmeister musste sich mit Rang elf begnügen, weil ihn ein Elektrikschaden behinderte. Allerdings lag Laudas Fokus die komplette Saison sowieso darauf, bereits in den Trainingssessions an der Abstimmung für das Rennen zu feilen.

Die Erklärung dafür lieferte Lauda selbst: "Da ich wusste, dass ich ihn (Alain Prost, Anm. d. Red.) da nicht schlagen konnte, habe ich mich eben auf das Rennen konzentriert." Dieser Schachzug sollte auch in Estoril aufgehen. Zwar sah Prost die schwarz-weiß-karierte Flagge als erster Fahrer. Allerdings pflügte Lauda durch das Feld und krönte sich durch seinen zweiten Platz ein drittes Mal zum Champion.

"Ich bin noch nie so aggressiv gefahren", sagte der Österreicher, während Prost die Enttäuschung sichtlich ins Gesicht geschrieben stand: "Was soll ich machen? Ich konnte ja nicht mehr als gewinnen."

1986: Ein Reifenplatzer entscheidet den Dreikampf

WM-Kampf: Nigel Mansell vs. Alain Prost vs. Nelson Piquet

Weltmeister: Alain Prost (McLaren-TAG-Porsche)

Nach dem vorletzten Grand Prix der Saison in Mexico-City war die Ausgangslage klar: Nigel Mansell hatte 72 WM-Punkte, Alain Prost 65. Ein komfortabler Vorsprung, wobei Mansell schon beim Mexico-GP alles selbst in der Hand gehabt und die vorzeitige Entscheidung verpasst hatte, weil er den Start verpatzte und ans Ende des Feldes zurückfiel.

Mansells Teamkollege Piquet hatte in Adelaide zwar nur neun Punkte Rückstand, allerdings gab es ebenjene Punktzahl für den Rennsieg. Immerhin: Weil nur die besten 11 der 16 Saisonrennen in die Fahrerwertung eingingen, hatte der drittplatzierte Brasilianer beim Finale noch die Chance auf den Titel.

Nach dem Qualifying war die Ausgangssituation für Mansell immer noch komfortabel. Er startete auf der Pole Position und obwohl Ayrton Senna nach dem Start die Führung übernahm, konnte der Williams-Pilot weiter entspannt bleiben: Piquet und Prost fielen zurück. Allerdings starteten Beide eine furiose Aufholjagd. Piquet kam schließlich an Mansell vorbei, der zudem Prost im Heck hatte. Weil Senna ausfiel, belegten die drei WM-Konkurrenten plötzlich die ersten drei Plätze.

Doch dann musste Mansell die Segel streichen. Das Ausscheiden des Briten war an Dramatik kaum zu überbieten: Nach mehr als der Hälfte des Rennens platzte plötzlich sein Reifen bei voller Fahrt. Der Brite konnte einen schweren Unfall bei 250 Stundenkilometern nur mit Fortune und viel Geschick verhindern.

Für Frank Williams, der nach seinem schweren Autounfall vor der Saison an den Rollstuhl gefesselt ist, blieb somit noch eine Hoffnung: Prost musste ausscheiden. Doch stattdessen übernahm der Franzose nach einem Boxenstopp die Führung und gab sie bis zum Überqueren der Ziellinie nicht mehr her. Prost war damit der erste Pilot seit Jack Brabham 1960, der seinen Titel verteidigte.

1994: Ein Weltmeister in Warteposition

WM-Kampf: Damon Hill vs. Michael Schumacher

Weltmeister: Michael Schumacher (Benetton-Ford)

Tödliche Unfälle, Rücktrittsgedanken, Schummeleien, Disqualifikationen, Gala-Auftritte - das Jahr 1994 glich einer rasanten Achterbahnfahrt. Auch das Saisonfinale in Adelaide machte da keine Ausnahme. Damon Hill hatte vor dem Rennen in Australien nur einen Punkt Rückstand auf Michael Schumacher und schnappte sich zudem die Pole Position. Doch der Deutsche erwischte - wie so oft in diesem Jahr - den besseren Start und führte das Rennen an.

Doch dann kam Runde 36. Nach einem Fehler geriet Schumacher aufs Gras und touchierte die Mauer. Zwar schaffte es der Benetton-Pilot zurück auf die Strecke, doch beim Aufprall wurde irgendetwas verbogen. Der Benetton lag fürchterlich. Hill nutzte die Gegelenheit und ging sofort zum Angriff über. Doch nicht mit Schumi! Der Kerpener zog ohne Rücksicht auf Verluste in die Kurve rein. Es kam zur Kollision, Schumacher überschlog sich sogar fast. Der Benetton hob ab, knallte wieder auf die Strecke und rutschte in die Reifenstapel.

Der Weg zum Titel schien frei für den Briten zu sein. Doch dann der Schock: Hill musste kurze Zeit später in die Box. Dort stellten die Mechaniker fest: Aufhängung gebrochen, der WM-Traum war geplatzt. Das Kuriose dabei: Schumacher war Weltmeister, wusste aber davon gar nichts, weil er hilflos am Streckenrand stand.

"Es war schrecklich, da draußen warten zu müssen. Ich wusste ja nicht, was mit Damon passiert war, ich wusste aber natürlich, dass wir beide viel Vorsprung auf die Viert-, Fünf- und Sechsplatzierten hatten, dass es also für Damon kein Problem sein sollte, diesen einen Punkt Vorsprung, den ich hatte, aufzuholen."

Der Moment, in dem er die Nachricht von Hills Aus bekam, sei unbeschreiblich gewesen. "Ich wusste überhaupt nichts mehr, ich wusste nicht, ob ich mich freuen sollte, in mir waren sämtliche Gefühle vermischt."

Seite 2: Schumis finsterstes Kapitel und der 30-Sekunden-Weltmeister