Die Angst vor dem Regen-Roulette

Von SPOX
Für Michael Schumacher kann es in Silverstone gar nicht genug dunkle Wolken geben
© Getty

Während Sebastian Vettel eine Wetter-Lotterie fürchtet, würde Michael Schumacher am liebsten einen Regentanz aufführen. Auch diverse Hinterbänkler hoffen auf eine Überraschung. Doch wer hat in Silverstone (Rennen, So., 13.45 Uhr im LIVE-TICKER) tatsächlich die besten Karten?

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Normalerweise diskutieren die Experten vor einem Rennen immer darüber, welches Auto am schonendsten mit den Reifen umgeht, welcher Fahrer wie viele frische Sätze welcher Reifenmischung zur Verfügung hat, und wer sein Material bei der Jagd nach der Pole-Position vielleicht ein bisschen zu sehr beansprucht hat.

In Silverstone ist das alles hinfällig. Hier reden alle nur vom Regen. Fahrer, Experten, Zuschauer. Und dabei geht es nicht einmal mehr darum, ob es regnet. Es geht nur noch darum, wie viel Wasser sich aus den britischen Wolken auf den ohnehin bereits durchgeweichten Kurs von Silverstone ergießt und wie viel Chaos es möglicherweise geben könnte. Vergleiche zum Kanada-GP von 2011, als eine zweistündige Regenunterbrechung das Rennen in Montreal zum längsten GP in der Geschichte machte, werden laut.

Qualifying-Duelle: Button sieht kein Land - Vettel wieder in Rückstand

"Es wird ein harter Tag", sagt Sebastian Vettel und blickt dabei auf die tiefen Pfützen in der Boxengasse. "Es hat gestern geregnet, es regnet heute - und das wird am Sonntag auch regnen. Ich glaube, es wird ein sehr, sehr langer Tag für uns alle."

Favoriten fürchten das Chaos

Was Vettel fürchtet, ist das Chaos. Denn das Chaos ist der Feind der Favoriten. Im Chaos ginge es am Ende nur noch darum, die Angelegenheit so unbeschadet wie möglich "zu überstehen", sagt Vettels Teamchef Christian Horner. "Dann ist es am Ende nur noch eine große Lotterie", meint auch Vettel. Ein Glücksspiel. Und das mag der Weltmeister überhaupt nicht. Im Regenroulette des Qualifyings betrieb er mit Platz vier Schadensbegrenzung - in Pole-Reichweite kam er dabei nie. Dafür waren andere zuständig.

Fernando Alonso zum Beispiel. Dessen Ferrari scheint im Regen besonders gut zu funktionieren. Wie gut? Das zeigt auch Felipe Massas fünfter Platz. Denn normalerweise müsste die Wortkombination Silverstone + Regen beim Brasilianer seit seinem blamablen Acht-Dreher-Rennen von 2008 einen mittleschweren Schüttelfrost auslösen. Tut sie in diesem Jahr aber nicht.

Und da der Ferrari auch auf abtrocknender Strecke gut liegt, könnte Alonso in Silverstone einen Big Point im WM-Kampf landen. 26 Punkte beträgt sein Vorsprung auf Vettel aktuell bereits - und sollte der Weltmeister in der Gischt seiner Vorderleute verlorengehen, könnte Alonso noch weiter enteilen. Vettel selbst musste vor dem Rennen bereits eingestehen: "Viele Nullnummern kann ich mir nicht erlauben, wenn ich meinen Titel verteidigen will."

Webber und Alonso hoffen auf ruhiges Rennen

Zu viel Chaos wünscht sich aber auch Alonso nicht. "In den ersten Runden wird vieles durcheinander gehen", so der Spanier, der hofft, sich an der Spitze absetzen zu können. "Da ist die freie Sicht von der Pole-Position sicherlich ein großer Vorteil." Das funktioniert allerdings nur so lange, bis es eine Safety-Car-Phase gibt. Oder gar einen Rennabbruch. Das würde alle Planungen über den Haufen werfen.

Und zwar nicht nur die von Alonso. Auch Vettels Teamkollege Mark Webber hofft von Startplatz zwei aus auf ein eher ruhigeres Rennen. Er sei mit der Strategie seines Teams durchaus zufrieden, sagt Webber. Unter normalen Bedingungen rechne man sich durchaus Chancen auf den Sieg aus, ist herauszuhören. Und mit normal meint man auch hier: möglichst wenig Regen, möglichst kein Chaos.

Schumachers große Chance

Nur einer aus der Spitzengruppe würde am liebsten noch einen Regentanz aufführen: Michael Schumacher. Der Rekordweltmeister wittert in Silverstone seine große Chance auf den ersten Sieg seit dem China-GP 2006.

Doch was er dafür braucht, ist Regen. Schumacher weiß, dass sein Mercedes auf trockener Fahrbahn und unter normalen Rennbedingungen nur bedingt siegfähig, dafür aber auf nasser Fahrbahn "ziemlich konkurrenzfähig" ist. Und ein kleines bisschen Chaos, das sei ihm sogar noch lieber. "Ich würde wechselnde Bedingungen sehr begrüßen", sagte der 43-Jährige nach dem Qualifying.

Die Mercedes hatten bereits in den verregneten Trainingssitzungen gut ausgesehen - und auch am Samstag am Vormittag offensichtlich auf eine Regenrennen-Abstimmung hingearbeitet. "Ich bin mir sicher, dass das morgige Rennen unter den zu erwartenden wechselhaften Bedingungen voller Möglichkeiten sein wird", sagt auch Teamchef Ross Brawn. Schließlich habe Schumi Pole-Potenzial gehabt.

Die Stunde der Underdogs

Naht also die große Stunde des Michael Schumacher - oder siegt am Ende doch ein Hinterbänkler im Regen-Chaos von Silverstone? Warum eigentlich nicht? In dieser Formel-1-Saison scheint alles möglich. Ein Überraschungssieger wäre, naja, nicht sonderlich überraschend. Und Kandidaten gibt es hierfür wahrlich genug.

Sauber sah zwischenzeitlich stark aus, mit Pastor Maldonado im Williams (Startplatz sieben) ist ohnehin zu rechnen. Und selbst Toro Rosso schien im Regen konkurrenzfähig zu sein, lag vor der Quali-Unterbrechung sogar mit beiden Autos in den Top-Ten. "Wir sind schneller als unsere Position (Platz 12) glauben lässt. Wenn es regent, können wir eine Chance haben", sagt Daniel Ricciardo.

Zu weit hergeholt? Vielleicht. Aber wenn man bei britischen Buchmachern schon darauf wetten kann, wie oft das Rennen am Sonntag unterbrochen wird, dann kann man auch gleich auf den Sieg eines Toro Rosso setzen. Rien ne va plus? Von wegen! Im Regen-Roulette von Silverstone ist alles möglich.

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