Alonso und Vettel: Die Verzocker

Von Alexander Mey
Fernando Alonso führte in Kanada bis kurz vor Schluss vor Lewis Hamilton und Sebastian Vettel
© xpb

Der Kanada-GP sah lange Zeit nach einer relativ vorhersehbaren Angelegenheit aus, bis Lewis Hamilton 20 Runden vor Schluss an die Box kam und alles auf den Kopf stellte. Danach ging es drunter und drüber.

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Rund um die 50. Runde war am Boxenfunk von McLaren eine ganze Menge los. Der geplante zweite Boxenstopp von Lewis Hamilton stand an, dem Führenden. "Seid Ihr sicher, dass Alonso und Vettel auch noch einmal reinkommen?", fragte Hamilton seinen Renningenieur Andy Latham nach den Plänen seiner direkten Verfolger.

Ja, dachte sich der McLaren-Kommandostand zu diesem Zeitpunkt noch. "Unsere Analysen sagten uns, dass die Reifen am Ende stark abbauen würden", verteidigte Teamchef Martin Whitmarsh die Entscheidung für den zweiten Stopp. Hamilton selbst gab zu: "Ich hätte nicht mit einem Stopp durchfahren können."

Unterschiedliche Strategien machen Finish extrem spannend

Das wäre alles wenig spektakulär gewesen, wenn Alonso und Vettel wie von McLaren vermutet noch einmal rein gekommen wären. Doch beide entschieden sich anders und machten dadurch das Finish extrem spannend.

"Nicht unmöglich, dass sie nur einen Stopp machen", gestand Hamiltons Ingenieur Latham schon kurz nach dem zweiten Stopp über Funk ein und wies seinen Schützling an, jetzt doch bitte alles zu geben, um die rund zwölf Sekunden Rückstand noch aufzuholen.

Vettel und Co. vom Hamilton-Stopp überrascht

Aber nicht nur bei McLaren ging es in dieser Phase am Boxenfunk hoch her. "Es ist schwierig, vor dem Rennen zu wissen, wie der Plan aussieht", erklärte Vettel, dass die Boxenstopp-Entscheidungen am Ende spontan fielen. "Wir wurden ein bisschen davon überrascht, dass Lewis zum zweiten Mal anhielt. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich ein gutes Gefühl mit meinen Reifen. Wir haben versucht, die Einstopp-Strategie umzusetzen. Das erwies sich als die falsche Entscheidung."

Red Bull zog die Notbremse und holte Vettel sieben Runden vor Schluss doch noch rein. Spät, aber nicht zu spät. "Die einzige Option auf das Podium war, draußen zu bleiben", sagte Teamchef Christian Horner. Aber: "Dann sind wir mit den Reifen wirklich in Probleme geraten. Wenn wir draußen geblieben wären, wären wir mit Sicherheit viel weiter hinten angekommen."

Ferrari richtet sich nach Vettel

Immerhin reichte es dank des späten Reifenwechsels noch zu Rang vier - vor Alonso, der noch wenige Runden zuvor wie der sichere Sieger ausgesehen hatte, dem dann aber das Gummi seiner Reifen förmlich durch die Finger rann.

"Als Hamilton rein kam, blieben wir zuerst draußen, um zu sehen, was Vettel macht. Zehn Runden vor Schluss dachten wir dann, dass es nichts mehr bringt, an die Box zu gehen, weil ein Boxenstopp 15 Sekunden kostet. Die musst du in neun Runden erst einmal aufholen. Also blieben wir draußen", erklärte Alonso die Diskussionen am Ferrari-Boxenfunk.

Alonso verteidigt Risiko

Der Spanier verteidigte das Risiko, das er und sein Team eingegangen sind: "Ich finde nicht, dass es die falsche Strategie war."

Der Bezugspunkt war Lotus-Pilot Romain Grosjean, der mit nur einem Stopp letztlich Zweiter wurde. "Wenn ich hinter Hamilton an die Box komme, werde ich Zweiter hinter Hamilton. Aber wenn meine Reifen genauso abbauen wie bei Grosjean, dann gewinne ich das Rennen, Vettel wird Zweiter, Grosjean Dritter und Hamilton Vierter", rechnete Alonso den Journalisten vor. "Dann würdet ihr jetzt bei McLaren stehen und denen sagen, dass zwei Stopps die falsche Strategie sind..."

McLaren: Alonso hätte Hamilton packen können

Ganz so sieht man das bei McLaren nicht. Denn da Hamilton bei seinem zweiten Stopp wegen einer wieder einmal klemmenden Radmutter rund zwei Sekunden verlor, machte man sich am Kommandostand kurzfristig ernsthafte Sorgen.

"Nach Lewis' zweitem Stopp hatte Fernando ihn kurzzeitig im Griff, da hatte er für eine Runde einen Boxenstopp Vorsprung", rechnete McLaren-Sportdirektor Sam Michael vor. "Wenn er dann an die Box gekommen wäre, hätte er Lewis vielleicht bis ins Ziel hinter sich halten können."

Ferrari: kassiert Seitenhieb von McLaren

Es ist anders gekommen. Alonso und Ferrari haben alles auf eine Karte gesetzt und einen Podestplatz verzockt. Aber wer nicht wagt...

"Im Nachhinein ist man immer schlauer", verteidigte Ferrari-Teamchef Stefano Domenicali das Risiko. Auch Alonso machte mit dem Ausgang des Rennens schnell seinen Frieden. "Heute hat es nicht geklappt, aber ich bin glücklich über unsere Herangehensweise und die Punkte für die Meisterschaft."

Einen kleinen Seitenhieb der Konkurrenz mussten die Roten dennoch einstecken. "Ich war ein bisschen überrascht, dass Ferrari für relativ wenig, das sie gewinnen konnten, so viel Risiko einging", sagte McLaren-Teamchef Whitmarsh. "Der Sauber und der Lotus waren wie so oft schonender zu den Reifen. Aber man legt seine Strategie nicht auf das aus, was man sich erhofft, sondern auf das, was die Daten sagen. Das haben wir getan."

Lotus und Sauber machen es den Top-Teams vor

In der Tat haben Grosjean im Lotus und Sergio Perez im Sauber Ferrari und Red Bull vorgemacht, wie man mit nur einem Stopp aufs Podium fahren kann. Und zwar mit unterschiedlichen Herangehensweisen.

Grosjean startete auf den superweichen Reifen und kam nach 21 Runden zu seinem einzigen Stopp - nur zwei Runden nach Alonso. Perez dagegen startete von Position 15 aus auf den härteren Reifen und trug diese bis in die 41. Runde, bevor er auf die superweichen wechselte.

Trotzdem fuhren beide gegen Rennende teilweise die schnellsten Rundenzeiten. Damit hatten sie aber selbst nicht gerechnet, wie sie im Nachhinein zugaben.

Grosjean und Perez von Podestplätzen überrascht

"Als ich sah, dass Alonso vor mir langsamer wurde, und ihn überholte, war mir gar nicht klar, dass ich auf einem Podestplatz lag. Ich dachte, ich wäre Vierter oder Fünfter", sagte Grosjean.

Auch Perez war leicht verwirrt: "Wenn du als 15. losfährst, ist ein Podestplatz das Letzte, woran du denkst. Mir sind einige gute Überholmanöver gelungen und ich habe gemerkt, dass der Reifenabbau kein allzu großes Problem war. Dadurch habe ich noch ein paar weitere Konkurrenten erwischt."

Sieben Sieger in sieben Rennen

Wieder einmal hat der Kanada-GP seinem Ruf alle Ehre gemacht und für ein dramatisches Finish gesorgt. Nach sieben Rennen gibt es immer noch keinen Fahrer, der mehr als einmal gewinnen konnte.

Einer der Lotus-Fahrer oder Michael Schumacher wäre theoretisch in einem der nächsten Rennen noch dran, aber zumindest die Zeit der ganz großen Sensationen Marke Pastor Maldonado scheint sich dem Ende zu nähern.

Alonso: Langsam wird Normalität einkehren

"Sehr viele weitere Sieger werden wir sicherlich nicht mehr sehen. Ab jetzt gibt es vielleicht eine gewisse Konstanz. Ich denke, in den kommenden Rennen sehen wir wieder die gleichen Sieger. Für die Gesamtwertung braucht man sicher mehr als einen Sieg", prognostizierte Alonso.

Wenn er da mal nicht die Rechnung ohne Sauber und Perez gemacht hat. Obwohl: Wäre ein Sieg der Schweizerisch-mexikanischen Kombination überhaupt noch eine Sensation?

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