"Bescheuert" und "beklemmend"

Von Für SPOX in Jerez: Alexander Mey
Nick Heidfeld hat beste Chancen auf das Cockpit von Robert Kubica bei Lotus-Renault
© xpb

Nick Heidfeld hat seine Prüfung zum möglichen Nummer-eins-Fahrer bei Lotus-Renault mit Bravour bestanden. Nach seiner Bestzeit ist die Verpflichtung nur noch Formsache - und ein weiteres Kapitel in seiner Formel-1-Odyssee.

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So befreit wie an diesem Samstagabend hat Nick Heidfeld in einer Presserunde selten gelacht. Er strahlt förmlich, nachdem er seine acht Stunden dauernde Fahrprüfung im Lotus-Renault mit Bravour bestanden hat.

"Ich bin sehr zufrieden mit meiner Leistung. Ich habe einen guten Job abgeliefert und hätte es nicht besser machen können", sagt Heidfeld. Er fuhr Tagesbestzeit. Auf Anhieb. In einem fremden Auto. Was soll er sonst sagen?

Heidfeld ist zu Scherzen aufgelegt, aber gleichzeitig darum bemüht, sein Mitgefühl mit Robert Kubica auszudrücken. "Bescheuert" sei seine Situation, sagt er. Er weiß nicht, wohin mit seinen Emotionen. So wie an diesem Abend kennt man Heidfeld gar nicht.

Odyssee durch etliche Formel-1-Teams

Eher langweilig, ohne das Zeug zum Superstar. Immer schnell, immer zuverlässig, aber nie mehr - so stempelt man Heidfeld gerne ab. Mit diesem Stempel auf der Stirn hat er eine Odyssee durch so ziemlich jedes Team im Fahrerlager hinter sich.

Prost, Sauber, Jordan, Williams, BMW-Sauber, Mercedes, Pirelli, Sauber. Heidfeld war fast schon überall. "Renault fehlt mir noch in meiner Sammlung", sagt Heidfeld mit dem an diesem Abend üblichen breiten Grinsen.

Er hat dem Druck, sich beweisen zu müssen, standgehalten. Mal wieder. Schon 2005 stand er nach einer verheerenden Saison im noch verheerenderen Jordan kurz vor dem Aus, bevor er in einem echten Shootout das Williams-Cockpit gegen Antonio Pizzonia gewann. Dort stach er dann Mark Webber im Kampf um ein Cockpit im BMW-Sauber aus.

"Ich war schon häufiger in so einer Situation und denke, dass ich unter Druck meistens sehr gut klarkomme", sagt Heidfeld, ohne arrogant wirken zu wollen. "Ich brauche diesen Kitzel, den man ja generell in der Formel 1 hat. Das macht in gewissem Sinne Spaß."

Heidfelds Lage "bescheuert" und "beklemmend"

Die vergangene Woche hat nur bedingt Spaß gemacht, obwohl sie so aufregend war. Heidfeld ringt angesichts aller Turbulenzen um die genaue Erinnerung an die Ereignisse seit Kubicas Unfall am vergangenen Sonntag. Er kriegt nicht alles zusammen.

Seine Emotionen aber schon. "Als ich von Roberts Unfall erfahren hatte, war mein erster Gedanke natürlich die Hoffnung, dass es nicht zu schlimm ist. Aber schon der zweite war, dass das vielleicht eine Chance für mich sein könnte. Das war eine sehr unschöne Situation. Ich wusste: So bescheuert das ist, je schlimmer es für Robert ist, desto besser ist es für mich. Diese Gedanken waren und sind auch jetzt noch sehr beklemmend", erzählt Heidfeld.

Und weiter: "Letztlich kann ich aber nichts an der Situation ändern. Wenn die Chance da ist, muss ich sie nutzen. Mir ist im Nachhinein wichtig, dass das Team mich kontaktiert hat und nicht umgekehrt. Ich denke, es gab durchaus den einen oder anderen, der sehr schnell bei Renault angerufen hat."

Renault könnte Sechser im Lotto bedeuten

Heidfelds Situation ist in der Tat verrückt. Noch vor einer Woche stand er womöglich vor dem endgültigen Ende seiner Formel-1-Karriere, sprach schon mit Mercedes über eine Rückkehr als Testfahrer und dachte sogar ernsthaft über die DTM nach. Jetzt hat er vielleicht einen Sechser im Lotto gezogen.

Denn nicht nur Heidfeld ist schnell, sein Auto ist es auch. Schon in Valencia ließ Kubica mit einer Tagesbestzeit aufhorchen. "Ich denke, wir müssen Renault ernst nehmen", sagte zum Beispiel Michael Schumacher, als er auf Heidfelds Bestzeit angesprochen wurde.

Entwickelt sich das Auto so weiter, dann sind vielleicht sogar Siege drin. Dafür spricht auch das Indiz, dass Heidfeld seine schnellste Zeit in der Mittagshitze fuhr, in der die Strecke in Jerez normalerweise am langsamsten ist.

Sutil: "Nick ist die beste Wahl, die Renault treffen kann"

Dazu kam noch, dass Heidfeld eigentlich völlig übermüdet hätte sein müssen. Schließlich wurde sein Sitz erst in Jerez in Nachtarbeit auf ihn angepasst. Am Donnerstag bis 3 Uhr, am Freitag, also direkt vor seinem Einsatz, bis 2 Uhr. Nur rund acht Stunden später pulverisierte er dann die Bestzeit seines Teamkollegen Witali Petrow um sechs Zehntel. Er war nach 15 Runden im fremden Auto deutlich schneller als Petrow nach mehr als 100 Runden.

"Nick ist die beste Wahl, die Renault treffen kann", sagt Heidfelds Landsmann Adrian Sutil im Gespräch mit SPOX. "Er ist erfahren, er ist gegen Kubica auf gleichem Level gefahren. Renault braucht jetzt einen Punktefahrer, der konstant ist und das Ding nach Hause bringt. Robert war die Nummer eins, die ist weggefallen. Jetzt brauchen sie eine neue. Unter diesen Vorzeichen wird Nick ihn gut ersetzen."

Heidfeld gesteht Sorgen um endgültiges Karriereende

Bei alle Freude über und für Heidfeld muss man anerkennen, dass seine Verpflichtung noch nicht offiziell ist. Am Sonntag wird Testfahrer Bruno Senna am Steuer des Renault sitzen. Aber eine echte Chance auf Heidfelds Platz hat er nicht. Renault braucht Erfahrung, Speed und Konstanz. Heidfeld hat alles. "Ich bin sehr zufrieden", sagte Teamchef Eric Bouiller noch während des Testtages.

Heidfeld auch, und zwar so sehr, dass er sogar über seine bis vor einer Woche dramatische Situation Scherze machen kann. "Am Mittwoch war ich kurz zuhause, um mich um die Erneuerung meiner Superlizenz zu kümmern", gab er zu und lachte laut. "Das stand nicht ganz oben auf meiner Agenda."

Ganz offen gibt er zu: "Ich hatte Sorgen, dass es das diesmal endgültig gewesen sein könnte." Offenbar war es das noch nicht.

Der Abschied nach dem Pressegespräch ist bezeichnend. "Bis in Barcelona", sagen die Journalisten. Heidfeld lächelt und schweigt. Denn sollte er tatsächlich dort fahren, wäre sein Vertrag offiziell.

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