Die dicke Frau singt noch

Von Alexander Mey
Sebastian Vettel hat in dieser Saison bisher vier Rennen gewonnen
© Getty

Ein Rennen noch, dann steht der Weltmeister 2010 fest. Nach dem Qualifying in Abu Dhabi (Rennen, So., 13.45 Uhr im LIVE-TICKER) hat Fernando Alonso nach wie vor die besten Karten, aber Sebastian Vettels Chancen haben sich gebessert. Ein Zweikampf? Nicht mit Lewis Hamilton und Mark Webber.

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Es gibt da einen Spruch, der seinen Ursprung in der Oper hat. So eine Oper ist nämlich meistens erst zu Ende, wenn am Ende eine dicke Frau ihre Arie gesungen hat. Auf Englisch heißt das dann: "It ain't over until the fat lady sings."

Es ist weder bekannt, ob Mark Webber gut singen kann noch ob er gerne in die Oper geht. Aber den Spruch hat er sich ausgeliehen. "The fat lady hasn't sung yet", sagte der Australier nach seinem enttäuschenden fünften Platz im Qualifying zum WM-Showdown in Abu Dhabi.

Webber hatte einfach nicht den Speed der Top-Piloten und befindet sich nun in einer denkbar schlechten Ausgangslage für den Titelkampf. Schließlich muss er acht Punkte auf Fernando Alonso gut machen. Da hilft es nicht, am Start hinter ihm zu stehen.

"Wir müssen zur Stelle sein, wenn es am Ende darauf ankommt. Natürlich habe ich mir mit meiner heutigen Leistung keinen Gefallen getan, aber in so einem Rennen kann eine Menge passieren", sagte Webber.

Gewinnt Vettel, darf Alonso höchstens Fünfter werden

Hätte sich sein Red-Bull-Kollege Sebastian Vettel eine Startaufstellung malen können, sie hätte Webber wahrscheinlich genauso einen Platz weiter vorne gesehen wie Jenson Button im McLaren. Denn dann wäre Alonso nur Fünfter anstatt Dritter und Vettel wäre bei gleicher Reihenfolge im Ziel Weltmeister.

Der Deutsche muss nämlich 15 Punkte auf Alonso aufholen, um sich nach der zehnten Pole-Position der Saison auch zum jüngsten Weltmeister aller Zeiten zu krönen. Heißt konkret: Gewinnt Vettel, reicht Alonso ein vierter Platz. Wird der Ferrari-Pilot Fünfter, wären beide punktgleich und Vettel läge bei gleicher Anzahl an Siegen, zweiten und dritten Plätzen wegen eines vierten Platzes mehr an der WM-Spitze.

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Vettel versucht, Druck zu reduzieren

Viel Rechnerei, mit der sich Vettel im Vorfeld nicht belasten will. "Ich habe es nicht in der Hand. Ich kann nur das Maximale rausholen und dann sehen, was die anderen machen", sagte Vettel. "Es gibt genug Leinwände rund um die Strecke, auf denen ich nach der Zieldurchfahrt sehen kann, ob es etwas zu feiern gibt oder nicht."

Klingt lässig - gezwungen lässig vielleicht? "Ich führe die WM nicht an, also haben Fernando und Mark mehr Druck", sagte Vettel und beteuerte: "Alles, was jetzt noch kommt, ist ein Bonus."

Der WM-Titel nur ein Bonus? Wohl kaum. Aber Vettel hat in diesem Jahr schon zu viel an eigenen Fehlern und technischem Pech erlebt. Er scheint sich selbst keiner verfrühten Hoffnung auf etwas Gutes hingeben zu wollen. "Meine Saison war ein einziges Auf und Ab. Ich sollte eigentlich in einer sehr guten Ausgangsposition sein, bin es aber nicht", sagte Vettel.

WM-Stand bei den Fahrern

Vettel könnte Teamtaktik entgehen

Wenigstens in einem Punkt hat sich seine Ausgangslage durch das Qualifying-Ergebnis wesentlich verbessert. Webber steht am Start weit weg von ihm, was die Wahrscheinlichkeit verringert, dass Vettel seinem Teamkollegen kurz vor dem Ziel den Sieg und damit den WM-Titel schenken muss. Dazu muss Webber nun erst einmal von Platz fünf auf zwei nach vorne kommen.

"Sebastian muss einfach nur Vollgas geben. Mark muss Alonso unter allen Umständen überholen", erklärte Red-Bull-Teamchef Christian Horner. Kein Wort mehr von Teamtaktik. Stattdessen: "Wir brauchen gute Boxenstopps und gute Starts. Entscheidend wird sein, wie schnell die weichen Reifen abbauen. In diesem Bereich sahen wir im Training gut aus."

Alonso kennt dramatische WM-Finals

Dennoch ist die Situation für Alonso vergleichsweise komfortabel. Die Tatsache, dass er sich im Qualifying in letzter Sekunde noch von Platz vier auf drei nach vorne geschoben hat, könnte Gold wert sein. So kann er Vettel und Hamilton vorne theoretisch getrost ziehen lassen und sich nur darauf konzentrieren, vor Button und Webber zu bleiben.

Theoretisch. Denn planbar ist in einem so engen Saisonfinale sowieso nichts. Das weiß er genauso gut wie Lewis Hamilton, Felipe Massa und Kimi Räikkönen, die Protagonisten der dramatischen WM-Entscheidungen der Jahre 2007 und 2008.

2010 könnte dem ganzen die Krone aufsetzen, zumindest wird das Rennen am Sonntag aber nicht viel weniger aufregend werden. "In den 55 Runden kann alles passieren. Wir müssen ohne jeden Fehler durchkommen, aber wir sind in einer starken Position", sagte Alonso, der nach 2005 und 2006 zum dritten Mal Weltmeister werden kann.

Beide McLaren als Puffer für Vettel?

Alonso kann also eher defensiv fahren und trotzdem Champion werden. Bleibt aus deutscher Sicht die Frage: Was macht Vettel Hoffnung? Zum einen die Technik, die bei ihm in dieser Saison so oft gestreikt hat und zur Abwechslung ja auch bei Alonso einmal versagen kann.

Zum anderen beide McLaren. Nach einigen schwächeren Rennen wieder erstarkt, haben sowohl Hamilton als auch Button das Potenzial, vor Alonso ins Ziel zu kommen. Dann muss nur noch Webber irgendwie an Alonso vorbei kommen und schon hätte er Vettel zum Titel verholfen und nicht umgekehrt.

Vettel muss Hamilton hinter sich halten

Klingt nach einem tollen Plan, aber wann ist es schon mal in einem Saisonfinale gelaufen wie geplant? Immerhin kann Vettel ja auch den Start gegen Hamilton verlieren und dann dem McLaren-Piloten, der bei einem Sieg und einem Ausfall von Alonso sowie schlechten Ergebnissen des Red-Bull-Duos auch noch Weltmeister werden kann, hinterher hecheln.

Gar nicht mal so ein unwahrscheinliches Szenario, denn abgesehen vom Start muss Vettel auch zwei ellenlange Geraden in der ersten Runde überstehen, ohne vom schnelleren McLaren kassiert zu werden.

Erst wenn er als Führender die ersten 5,5 Kilometer übersteht, kann er das Rennen möglicherweise von vorne kontrollieren - und abwarten, bis die dicke Frau ihre Arie zu Ende gesungen hat. Am Sonntag, so gegen 15.40 Uhr deutscher Zeit.

Denn dann wird es einen Formel-1-Weltmeister 2010 geben.

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