Die Erdung des Überfliegers

Von Alexander Mey
Sebastian Vettel absolvierte am Freitag und Samstag schon wieder Testfahrten in Abu Dhabi
© Getty

Sebastian Vettel ist zurück an seinen Wurzeln. In seiner Geburtsstadt Heppenheim ließ sich der neue Formel-1-Weltmeister von seinen heimischen Fans feiern. Eine Veranstaltung im krassen Gegensatz zum Glamour in der Königsklasse.

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Die Formel 1 steht für Motorsport auf höchstem Niveau, Glamour, Geld und High Society. Monumentale Rennstrecken, Promis ohne Ende, Teams mit 100-Millionen-Budgets.

Und Sebastian Vettel ist der Beste der Formel 1. Der Weltmeister. Der Maßstab. Aber er steht ausschließlich für Motorsport auf höchstem Niveau, mit dem Rest hat er nicht viel am Hut.

"Worscht" statt Hors d'oeuvre

Wer es bisher nicht glaubte, brauchte sich nur seinen ersten Auftritt vor den Fans in seiner Heimatstadt Heppenheim anzusehen. Ein krasser Gegenentwurf zu allem, was man normalerweise mit der Formel 1 assoziiert.

"Vettelheim", wie der hessische Radiosender "FFH" das 25.000-Einwohner-Städchen am vergangenen Sonntag per Ortsschild getauft hat, stand Kopf - für seine Verhältnisse. 10.000 Fans waren auf den Europaplatz gekommen, wo Vettel auf dem Dach eines uralten Busses auftrat und sich feiern ließ.

Im Hintergrund die malerische Kulisse des Odenwalds, außerdem eine Eiseskälte. Statt Schampus und Hours d'oeuvre gab es Glühwein und "Worscht", wie der Südhesse die Bratwurst zu nennen pflegt.

Vettel: "Hoffentlich weckt mich keiner auf"

Vettel war von der Kulisse trotzdem begeistert. "Mit so vielen Leuten hätte ich nicht gerechnet. Das haut einen echt um. Das ist besser als in Abu Dhabi, da waren nicht so viele Menschen", sagte Vettel, der von den "vielen bekannten Gesichtern" gleich per Handy ein Foto für sein Schlafzimmer schoss.

Danach das Übliche. Vettel berichtete auf der Bühne über seine unfassbare Woche, in der er kaum zum Schlafen kam und im Flugzeug oft nicht mehr wusste, wo er gerade war. Abu Dhabi, Salzburg, Milton Keynes, Abu Dhabi, Heppenheim: Da kann man schon mal durcheinander kommen.

"Ich habe die ganze Zeit nur gedacht: Hoffentlich weckt mich keiner auf. Das ist alles irgendwie noch unwirklich", sagte Vettel über seine erste Woche als Champion. Einen kleinen Seitenhieb auf seinen großen Rivalen Fernando Alonso konnte er sich dabei nicht verkneifen. "Er hat mir immer noch nicht gratuliert", sagte er mit einem schelmischen Lachen.

Werbeeffekt für Heppenheim unbezahlbar

Dann wurde es heimelig, Spötter werden es provinziell nennen. Auf die Bühne kam Comedian Bülent Ceylan, der Vettel in bester Mundart huldigte. Gefolgt wurde er von Heppenheims Bürgermeister, der einen Antrag auf Vettels Ehrenbürgerschaft gestellt hat. Der Landrat des Kreises Odenwald Bergstraße verlieh dem berühmten Sohn der Stadt stolz den "Award der Metropol-Region Rhein-Neckar."

Kein Wunder, denn er konnte sich nicht nur für Vettel freuen sondern auch für seine ganze Region. "Der Kreis müsste einen dreistelligen Millionen-Betrag investieren, um den gleichen Marketingeffekt zu erzielen, wie er ihn jetzt durch Sebastian Vettel weltweit erzielt", sagte Landrat Matthias Wilkes.

Hepprumer Bub verfällt in alten Dialekt

Schon im Sommer war Vettel nach Heppenheim gekommen, um dort mit seinem Red-Bull-Boliden einige Showrunden zu drehen. Er hängt an seiner Heimat, was man bei seinem Empfang sehr deutlich daran erkannte, dass er von Minute zu Minute mehr in seinen südhessischen Dialekt verfiel.

Nichts war es mehr mit den professionellen Interviews, die es noch in Abu Dhabi und Salzburg gegeben hatte. "Das macht mich als Hepprumer Bub echt stolz. Schon als ich im Sommer hier war, war die Wutz los", sagte Vettel.

So ist er, der Hesse: bodenständig. Vielleicht wird Vettel irgendwann auch noch eine Einladung nach Berlin zu Bundespräsident oder Bundeskanzlerin bekommen. Zumindest hätte es der jüngste Weltmeister aller Zeiten verdient. Von einem Empfang am Brandenburger Tor wie bei der DFB-Elf nach der WM wagt man ja gar nicht zu sprechen. Vettel würde aber wohl nichts davon besser gefallen als dieser kalte Nachmittag in Hepprum.

"Wir Heppenheimer sind ganz normale Leute aus einem ganz normalen Städtchen. Das kriegt man in die Wiege gelegt. Ich denke, dass der größte Hype sich bald legen und alles wieder ein bisschen normaler wird", sagte Vettel.

Van Almsick wird pathetisch

Fans hat der erst 23-Jährige aber nicht nur in Heppenheim gewonnen. Sportgrößen wie Franz Beckenbauer, Boris Becker und Franziska van Almsick haben sich in der "Bild am Sonntag" lobend über Vettel geäußert.

"Ich kenne ihn zwar nicht persönlich. Aber er ist sehr sympathisch und wirkt viel reifer, als es seine 23 Jahre aussagen. Ich glaube, er ist sehr erwachsen", sagte der Kaiser.

Van Almsick wurde geradezu pathetisch: "Schon lange hat mich keine Sportübertragung mehr so berührt. Seine Tränen nach dem Sieg, seine Freude, das wirkte alles so authentisch, so liebenswert, so bewegend. Ich habe eine richtige Gänsehaut bekommen. Es war nicht nur eine sportliche Sensation, sondern ein Wink für alle Deutschen."

Becker warnt Vettel vor Schulterklopfern

Becker, der seinerzeit das Örtchen Leimen ähnlich berühmt gemacht hatte wie Vettel nun Heppenheim, gab sich ganz pragmatisch: "Jetzt wird er plötzlich unglaublich viele gute Freunde, gute Bekannte haben, jeder wird ihm Ratschläge geben und ihm sagen wollen, was er als nächstes zu tun hat. Ich hoffe, dass er jetzt den Freunden, die ihn in den letzten Wochen und Monaten begleitet haben, treu bleibt und nicht ganz so viel auf die Schulterklopfer gibt, die jetzt kommen werden."

Die Chancen dafür stehen gut, das hat Vettels Auftritt  in seiner Heimat gezeigt. Und sollte er doch einmal den Boden unter den Füßen verlieren, wird sich bestimmt einen Hepprumer Bub finden, der ihn wieder auf den Boden der Tatsachen zurückholt.

Mateschitz würde Vettel auch bei laufendem Vertrag Freigabe erteilen

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