"Haben Alonso ein riesiges Geschenk gemacht"

Von Alexander Mey
Sebastian Vettel lag zum Zeitpunkt seines Motorschadens komfortabel in Führung
© xpb

Noch ist es für Sebastian Vettel nicht vorbei. Trotz seines bitteren Ausfalls beim Südkorea-GP hat er noch Chancen auf den WM-Titel. Er entscheidet sich für Zuversicht anstatt für einen Blick zurück im Zorn. Angebracht ist beides. Red Bull redet nun erstmals von Teamtaktik.

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Sebastian Vettel war gelassen. Er löschte erst in aller Seelenruhe selbst mit dem Feuerlöscher den brennenden Motor seines Red Bull, fiel dann in der Boxengasse Red-Bull-Berater Helmut Marko in die Arme und stellte sich nur wenige Minuten nach dem Verlust der virtuellen WM-Führung äußerlich überraschend entspannt den Fragen der Presse.

"Natürlich ist man ist enttäuscht, aber man sieht es mir an: Ganz so tragisch ist es nicht. Es ist sehr gravierend für die Meisterschaftssituation, aber ich kann mir nichts auf die Kappe schreiben, ich habe alles richtig gemacht", sagte Vettel. "Kopf hoch! Wir haben noch zwei Rennen, da versuchen wir Spaß zu haben und das Maximum herauszuholen."

Spaß haben? Ist das schon das Ziel eines Mannes, der sich damit abgefunden hat, zum zweiten Mal in Folge den Kampf um den WM-Titel trotz des besseren Autos zu verlieren? Schon 2009 hatte er einen bärenstarken Endspurt im Red Bull, konnte die Lücke zu Jenson Button aber nicht mehr schließen.

WM-Stand: Alonso elf Punkte vor Webber, 25 vor Vettel

Vettel gibt noch nicht auf

Bereit aufzugeben ist Vettel aber noch nicht: "Ich bin der Letzte, der aufgibt. Das ist ein gravierender Rückschlag, aber es ist noch nicht vorbei. Man sieht ja, wie schnell etwas passieren kann. Wir haben immer noch die Chance, Weltmeister zu werden."

Vettel hat es aber nicht mehr in der eigenen Hand. Fernando Alonso, der strahlende Sieger des Südkorea-GP und neue WM-Spitzenreiter, muss einmal ausfallen, damit Vettel seine 25 Punkte Rückstand doch noch aufholen kann.

"Natürlich wäre es einfacher gewesen, wenn ich hier die 25 Punkte mitgenommen hätte, aber so ist nun mal das Leben", erklärte Vettel und sagte dann noch einen wichtigen Satz: "Ich denke, das ist so ein bisschen die Story des Jahres."

Vettel hat 138 Punkte verschenkt

Die Story des Jahres von Vettel ist die Story von vergebenen Chancen, Fehlern und Pech eines eigentlich vom Speed her überragenden Fahrers in einem überragenden Auto.

Neun Pole-Positions stehen nur drei Siege gegenüber, allein dreimal fiel er in Führung liegend ganz aus, weitere dreimal wurde er entweder durch technische Probleme oder Zwischenfälle im Rennen von Rang eins zurückgeworfen.

Rechnet man hoch, wie viele Punkte Vettel in dieser Saison im Verhältnis zu seinen Startpositionen hat liegen lassen, dann kommt man auf die schockierende Zahl von 138.

Mehr Pech als eigene Fehler

Das Verhältnis zwischen Fahrfehlern und technischen Defekten spricht für Vettel. Wertet man den Crash mit Mark Webber in der Türkei, den schlechten Start in Hockenheim, den verpennten Restart in Ungarn und den Crash mit Jenson Button in Spa als Vettels Fehler, kommt man auf 47 verschenkte Punkte.

Auf Red Bulls Kappe gehen die defekte Zündkerze in Bahrain, die lose Radmutter in Melbourne, Bremsprobleme in Barcelona und der Motorschaden und Südkorea. Das macht einen Verlust von 71 Punkten. Der Rest wie die verfehlte Strategie in China und Kanada oder der von Lewis Hamilton aufgeschlitzte Reifen in Silverstone ist keinem eindeutig Schuldigen zuzuordnen.

Vettel verliert 138 Punkte, Alonso gewinnt 21

Interessante Zahlen, die zeigen, dass Vettel zwar etwas mehr Pech mit dem Auto als eigene Fehltritte zu verzeichnen hatte, dass aber weder das Team noch er den möglichen Verlust des WM-Titels dem anderen vorwerfen dürfen.

Die Summe macht's. In elf von 17 Rennen ist irgendetwas schief gelaufen. Das ist viel zu viel. Webber hat in Südkorea erst den zweiten Nuller der Saison geschrieben um im Vergleich zu seinen Starplätzen nur 79 Punkte liegen lassen.

WM-Leader Alonso hat bei drei Nullern sogar 21 Punkte im Vergleich zu den Startplätzen gutgemacht. Er fällt eben immer nur dann aus, wenn er ohnehin keine Siegchance hat, nicht, wenn er führt.

Nicht ganz zufällig sagte der Ferrari-Pilot nach seinem fünften Saisonsieg: "Das war heute Pech für Sebastian und Mark, aber für mich hat sich im Titelkampf nicht wirklich viel verändert. Es geht auch in den letzten beiden Rennen darum, konstant zu sein und aufs Podium zu fahren." Konstanz macht den Weltmeister, Alonso ist der Konstanteste von allen.

Red Bull denkt erstmals über Teamtaktik nach

Direkt nach dem Rennen sah es noch so aus, als müsse Vettel trotz 14 Punkten Rückstand auf Webber auch weiterhin keine zweite Geige bei Red Bull spielen.

"Man hat in diesem Rennen gesehen, dass zwischenzeitlich drei verschiedene Fahrer virtuell die WM-Führung inne hatten. Sebastian ist nach alter Rechnung gerade mal zehn Punkte zurück, Mark sogar noch viel weniger. Da ist es klar, dass wir beide Fahrer unterstützen", sagte Teamchef Christian Horner in einer ersten Reaktion.

Diese Sichtweise relativierte er aber wenig später: "Ich hatte noch keine Zeit, mich genauer mit den Rechenspielen zu befassen, aber das werde ich auf jeden Fall vor Brasilien eingehend tun." Vettel wird das nicht sehr gerne hören, muss aber auch einsehen, dass ihm selbst zwei Red-Bull-Doppelsiege nicht mehr zum Titel reichen, sollte Alonso zweimal Dritter werden - Webber schon.

Schumacher hätte Teamorder angewendet

Michael Schumacher hätte an Horners Stelle schon lange vor dem Rennen in Südkorea einen Fahrer zur Nummer eins erklärt.

"Ich bin schon traurig für Sebastian - aber so ist leider der Motorsport. Das gehört dazu", sagte Schumacher und erinnerte an Ferraris Teamorder in Österreich 2002. "Damals hat man uns für verrückt erklärt, ganz früh Richtung Meisterschaft zu denken - auch wenn man sehr weit vorne lag. Hätte man das bei Red Bull schon früher getan, wären die Sorgenfalten etwas kleiner. Der Rennsport ändert sich und insofern müssen die jetzt damit klar kommen."

Schumachers Haltung zum Thema Teamorder ist bekannt und wird nicht von allzu vielen Leuten geteilt. Aber der Rennsonntag in Südkorea ist wahrlich nicht die Gelegenheit für die Verantwortlichen von Red Bull, leidenschaftlich mit ihm zu diskutieren.

Stattdessen bleibt Teamchef Horner nur eine kleinlaute Erkenntnis: "Wir haben Alonso heute ein riesiges Geschenk gemacht."

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