"Mercedes hinkt ein bisschen hinterher"

Von Alexander Mey
Michael Schumacher schaffte bei den Testfahrten keine einzige Bestzeit im Mercedes
© Getty

Selbst wenige Tage vor dem Start der Formel-1-Saison in Bahrain weiß noch niemand genau, welches Team wo steht. SKY-Experte Marc Surer war bei den letzten Tests in Barcelona vor Ort und schildert SPOX seine letzten Eindrücke. Zudem spricht er über die Chancen von Michael Schumacher, seinen WM-Tipp und eine große Blamage für die FIA.

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Der Countdown zum ersten Auftritt der neuen Formel-1-Saison tickt runter. Am Freitag um 8 Uhr startet in Bahrain das erste Freie Training. Mit Michael Schumacher, einem von vier Weltmeistern im Feld. Mit Mercedes als neuem Werksteam im Duell gegen die alten Mächte Ferrari und McLaren und die neue Macht Red Bull. Mit neuen Teams, neuen Fahrern, neuen Strecken, neuen Regeln.

"Bessere Vorzeichen gab es noch nie", sagt Ex-Formel-1-Pilot und SKY-Experte Marc Surer im Gespräch mit SPOX. "Ich freue mich am meisten darauf, dass wir in Bahrain endlich wissen, was Sache ist und wo jeder steht."

Surer bei Tests in Barcelona vor Ort

Genau das ist die große Frage. Welches Team startet am besten vorbereitet in die Saison, welche Tendenzen lassen sich aus den Testfahrten ablesen?

Marc Surer war bei den Abschlusstests in Barcelona vor Ort und hat sich ein Bild gemacht. Aber nicht nur davon. Auch von der Rolle, die das Comeback von Michael Schumacher spielen wird, von den Titelfavoriten, von den Auswirkungen der neuen Regeln und der Rolle der FIA bei der Startplatzvergabe an die neuen Teams.

SPOX ist 10 offene Fragen mit Surer durchgegangen.

Frage 1: Was ist von den Testzeiten in Barcelona zu halten?

Surer: Keiner hat gezeigt, was er wirklich kann. Alle sind weit weg von dem, was möglich ist. Im vergangenen Jahr ist Brawn GP auf der selben Strecke 1:18er Zeiten gefahren, diesmal lagen wir in den 1:20ern. Lewis Hamilton war in 1:20,472 Minuten der Schnellste. Durch das höhere Benzingewicht sollten die Autos jedoch maximal eine halbe Sekunde langsamer sein, 1:19er Zeiten hätte ich also mindestens erwartet.

Frage 2: Hat sich dennoch ein Kräfteverhältnis herauskristallisiert?

Surer: Dafür kann ich nur auf die Long-Runs schauen, und da sieht es sehr nach Ferrari aus. Ferrari ist der Maßstab. Ich hoffe jedoch nicht, dass die Scuderia der Konkurrenz um die Ohren fährt. Es wäre schon ein Dämpfer, wenn ein Team zu dominant wäre. McLaren und Red Bull sind auch stark, Mercedes hinkt ein bisschen hinterher, glaube ich. Nicht viel, aber sie haben sich über die Distanz schwerer getan als die anderen Top-Teams. Auch mit dem Anwärmen der Reifen gab es wieder ein paar kleine Probleme. Allerdings war es in Barcelona auch sehr kalt. Wir könnten also die Konstellation bekommen, dass die Autos, die dort nicht perfekt abgestimmt werden konnten, in der Hitze von Bahrain plötzlich einen Vorteil haben. Neben den vier Top-Teams sind auch Toro Rosso, Sauber und Williams vorne dabei.

Frage 3: Sind in Bahrain, wie von Mercedes angekündigt, noch große Kräfteverschiebungen durch Updates zu erwarten?

Surer: Das würde ich mit Vorsicht genießen. Schließlich stimme ich bei den Tests doch ein Auto auf die Teile ab, die ich auch im ersten Rennen einsetzen will. Wenn ich in Bahrain anfange, alles umzubauen, dann bin ich gleich schon wieder am basteln, ohne ein funktionierendes Auto zu haben. Möglich ist aber, dass man das, was man bei der Konkurrenz gesehen hat, kopiert.

Frage 4: Ist das Comeback von Michael Schumacher nur in Deutschland das größte Thema oder interessiert sich die ganze Welt für den Rekordchampion?

Surer: In Spanien, wo ich viel Zeit verbringe, schreiben natürlich alle über Alonso und Ferrari, aber Schumacher ist gleich dahinter Thema Nummer zwei. Generell ist er weltweit ein Thema. In Argentinien habe ich mit Leuten über die Formel 1 gesprochen, und sie haben mich als erstes gefragt: "Und, wird Schumacher es noch einmal schaffen?"

Frage 5: Was ist vom Schumacher-Comeback zu erwarten. Der WM-Titel?

Surer: Schumacher hilft mit seinem Comeback der Formel 1, und er hilft auch seinen Kollegen. Jahrelang hat sich die junge Generation gefragt, wo sie stehen würde, wenn Schumacher noch fahren würde. Jetzt fährt er wieder, und sie können sich mit ihm messen. Der Meister ist zurück, und alle haben wieder einen Maßstab. Mein WM-Favorit ist aber nach wie vor Sebastian Vettel. Wenn der Red Bull zuverlässig ist, ist er meine Nummer eins.

Frage 6: Wie wirkt sich das Tankverbot in Verbindung mit den dadurch deutlich schwereren Autos auf die Reifen und den Rennverlauf aus?

Surer: In den ersten Rennen wird es ein bisschen drunter und drüber gehen. Einige werden sehr oft Reifen wechseln, andere werden versuchen, mit einem Boxenstopp durchzufahren. Das alles muss sich erst einspielen. Bei den Tests hat man so gut wie nie darauf trainiert, mit nur einem Boxenstopp durchzufahren. Die meisten gehen von zwei Stopps aus. Gerade im ersten Rennabschnitt besteht die Gefahr, dass die Reifen das Gewicht der Autos einfach nicht lange genug aushalten.

Frage 7: Wird es mit den schweren Autos in Bahrain in der ersten Kurve krachen?

Surer: Die Gefahr, den Bremspunkt zu verpassen, ist riesengroß. Man ist die Qualifikation mit leerem Tank gefahren, und das nächste Mal, wenn man die Kurve anbremst, drückt das Gewicht des schweren Autos. Man muss aber auch die Kirche im Dorf lassen. Nach dem Start hat man ohnehin nicht die gleiche Geschwindigkeit drauf wie in einer fliegenden Runde. Das kriegt man als Formel-1-Fahrer schon hin. Ich denke allerdings, dass wir in den ersten Runden Überholmanöver sehen werden, weil der eine oder andere mit überhitzenden Bremsen zu kämpfen hat.

Frage 8: Wer hat im Qualifying mit leeren Tanks die besten Chancen?

Surer: Ich glaube, dass die jungen Wilden häufig vorne stehen werden. Vettel und Hamilton werden im Qualifying regelmäßig eine große Rolle spielen. Hamilton ist für mich der schnellste Mann im Feld. Und Vettel hat das Talent, eine Runde perfekt auf den Punkt bringen zu können, wenn es darauf ankommt. Man darf aber auch hier die Abstimmung der Autos nicht vergessen. Immerhin muss man mit der Einstellung und den Reifen aus der Qualifikationsrunde das Rennen starten. Nach wie vor spielen auch einige taktische Spielchen eine Rolle.

Frage 9: Die neuen Teams lagen bei den Tests weit zurück, wenn sie es überhaupt auf die Strecke geschafft haben. Bringen die Neulinge die F1 überhaupt weiter, oder hat sich die FIA einfach nur mit den Pleiten von USF1 und Stefan GP lächerlich gemacht?

Surer: Da gibt es zwei Seiten der Medaille. Mit Teams wie USF1 und Stefan GP hat sich die FIA ganz schön blamiert. Man muss sich nur das Auswahlverfahren ansehen. Warum hat man Sauber das Leben so schwer gemacht? Die mussten eine Dokumentation einreichen, um nachzuweisen, dass sie in der Lage sind, ein Formel-1-Auto zu bauen. So ein Witz! Stattdessen hat USF1 für nichts eine Startgenehmigung bekommen. Das waren die letzten Taten von Max Mosley. Dessen Zeit ist nun aber zum Glück vorbei. Auf der anderen Seite waren wir es ja auch müde, immer über die gleichen Teams zu berichten. Irgendwann hatte man alles gesagt. Die neuen Teams, die es auf die Strecke geschafft haben, machen das Starterfeld bunter, es wird mehr Gesprächsstoff geben. Im Übrigen auch wieder mehr Ärger bei Überrundungen, davon bin ich überzeugt.

Frage 10: Gibt es einen Geheimtipp, auf den man 2010 besonders achten sollte?

Surer: Nico Hülkenberg. Er hat mich schon in der GP2 beeindruckt. Ich denke, dass er Rubens Barrichello die eine oder andere schlaflose Nacht bereiten wird (lacht).

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