So funktioniert ein Formel-1-Motor

Von mySPOX-User Manül
Mercedes stattet in der Formel-1-Saison 2010 drei Teams mit Motoren aus
© xpb

Wie funktioniert ein Formel-1-Motor? Wie viel besser sind Formel-1-Bremsen gegenüber normalen Bremsen? Warum sind die Reifen so entscheidend? Für alle, die die extreme Technik in der Formel 1 genauer verstehen wollen, erklärt mySPOX-User Manül - in der Community hoch geschätzter Experte für technische Fragen - in seiner Technik-Kolumne auf SPOX spannende Details, die einen Formel-1-Boliden zu einem Wunderwerk der Ingenieurs-Kunst machen. Teil 1: Der Motor.

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Liebe SPOX-Leser,

Mehrfach habe ich aus der Community Anfragen bekommen, ob ich denn nicht mal Formel-1-Technik genauer erklären könne, oder bin darum gebeten worden, mal über das ein oder andere Technikthema etwas zu schreiben. Ich bin sehr stolz, Euch nun zusammen mit der SPOX-Redaktion gleich eine ganze Technik-Serie präsentieren zu können und dafür auch eine entsprechende Plattform geboten zu bekommen.

Damit Ihr die Rennen vielleicht mit einem anderen Fokus verfolgen könnt und die Formel 1 von ihrer interessanten Seite kennen lernt, werde ich in den nächsten Wochen einen kleinen Einblick in die Einmaligkeit der Technik geben. Dann verschwinden vielleicht die vorschnellen Schmährufe auf bestimmte Regeländerungen.

Kommentare wie "bei Testfahrten geht es doch um nichts" oder "wow, ist Team XY weit hinten" wird der eine oder andere vielleicht nach dem Lesen meiner Texte überdenken. Bei genauerer Betrachtung kann man jeder einzelnen Runde Erkenntnisse abgewinnen über die Probleme, Entwicklungen und Vorteile der einzelnen Teams. Testfahrten und Trainings sind mehr wert als jedes Rennen, egal wie viele Punkte man holt.

In den nächsten Wochenwünsche ich Euch also viel Spaßmit meinem Versuch, die Spannung und das Interesse an der Formel 1 zu erhöhen. Bei inhaltlichen Unklarheiten scheut Euch bitte nicht, die Kommentarfunktion zu nutzen und zu fragen.

Der erste Teil der Serie wird sich mit dem Herzen eines jeden Renners befassen.

Der Motor

Einleitung: So wie unser Herz uns tagtäglich antreibt und unsere Energie im Körper verteilt, so ist es für jeden Rennwagen der Motor, der über Tempo und Erfolge entscheidet. Man könnte den Motor ganz einfach als Energieumwandler bezeichnen, anders also als unser Herz. Aber auch ihn kann man hören, und Energie durchströmt sein Bahnen.

Zugegeben: Aus rein technischer Sicht haben die modernen F-1-Motoren ein wenig an Attraktivität verloren, seit sie 2006 so radikal vereinheitlicht wurden. Hätte ich noch gegen Ende der neunziger Jahre an dieser Stelle eine umfangreiche Diskussion über Zylinderbankkonzepte, Baumaterialien, Drehzahllimits und Neigungswinkel abhalten können, so kann ich diesen Teil anno 2010 recht kurz halten.

Denn alle F-1-Motoren dürfen seit eben dieser Regeländerung bis heute nur über 8 Zylinder, 2,4 Liter Hubraum und ein Drehzahllimit von 18.000 Umdrehungen pro Minute verfügen. Alle nicht-Eisen-Materialien sind für den Motorenbau verboten. So bestehen die Motoren inzwischen überwiegend aus Aluminium, diversen Legierungen und Stahl (z.B. Kurbelwelle & Kolben).

Benzinverbrauch: Im Durchschnitt lag der Benzinverbrauch dieser Hightech-Aggregate in der vergangenen Saison bei zirka 60 Litern auf 100 Kilometern Renndistanz. Unter Berücksichtigung der neuen Regeln wird eben dieser Aspekt in diesem Jahr sehr stark über Sieg oder Niederlage mitentscheiden.

Hierin liegt es auch begründet, dass sich die Teamvereinigung FOTA recht einheitlich gegen die Veröffentlichung der Spritmengen nach dem Qualifying ausgesprochen hat, wie es noch 2009 der Fall war. Denn man möchte um jeden Preis verhindern, dass die Konkurrenz Rückschlüsse auf die Spriteffizienz ziehen kann.

Bauweise: Das Reglement schränkt die Bauweisen zwar enorm ein, aber gerade deswegen sind Innovationen und Fortschritte in der Entwicklung besonders bedeutend und interessant. Denn trotz der regelbedingten Einschränkungen spielen die modernen Motoren aus technischer Sicht weiterhin eine elementare Rolle.

Einerseits in kleinräumiger Betrachtung der technischen Abläufe während des Betriebs, andererseits als struktureller Bestandteil eines jeden Chassis. Denn längst wird nicht mehr der Motor in das Chassis gebaut, sondern das Chassis um den Motor! Länge, Breite, Gewicht und Platzierung sind aerodynamische, Steifigkeits- und Balancekomponenten moderner Fahrzeuge.

VIDEO: Ein Formel-1-Motor auf dem Prüfstand

Ein moderner F-1-Motor besteht aus zirka 5000 Einzelteilen, von denen knapp 1500 in Bewegung sind. Konzeptionell unterscheidet einen F-1-Motor nur wenig von einem Straßenmotor. Die Unterschiede liegen wie immer im Detail. Betrachten wir dabei drei wichtige Variablen, um diese Unterschiede herauszuarbeiten: die Volumeneffizienz (VE), die Thermaleffizienz (TE) und die Mechanikeffizienz (ME).

Volumeneffizienz: Die VE beschreibt die Menge des Luft/Benzin-Gemisch in einem Zylinder im Verhältnis zur atmosphärischen Normalen. Ist die VE = 100%, so ist der Zylinder mit gleichem Luftdruck gefüllt, wie er außerhalb des Motors vorherrscht. Dieser Druck wird vor allem durch die Einlassventile und den Ansaugtrakt gesteuert. So erreicht beispielsweise ein BMW 8-Zylinder Straßenmotor eine VE von ca. 84% auf Normalnull (NN). Ein F-1-Motor anno 2009 dagegen zirka 96% auf NN. Diese höhere Effizienz liegt vor allem an besserer Programmierung, Schmierung und optimierten Ansaug- und Einlassprozessen. Mehr als 100% VE können nur durch Turbolader erreicht werden.

Thermaleffizienz: Unglücklicher Weise können von der gesamten Benzinenergie nur zirka ein Drittel in nutzbare Pferdestärken konvertiert werden. Zündfolgen, Kolben- und Zylinderbeschichtungen, Ventilpositionierung und Kammerdesign beeinflussen die TE. Ein durchschnittlicher Straßenmotor erreicht TE-Werte um die 0,26. Die 2009er F-1-Aggregate erreichen dagegen TE-Werte von zirka 0,35. Das ergibt eine zirka 35% höhere T-Effizienz im Vergleich zu einem Straßenmotor. Diese Steigerung liegt vor allem an der nahezu perfekten Steuerung von Zündfolgen über die Motorelektronik sowie Ventilpositionierung und optimiertem Brennkammerdesign.

Mechanikeffizienz: Die ME beschreibt die Differenz der Gesamtenergie, die der Motor produziert zur auf dem Prüfstand messbaren Energie. Denn von der Gesamtenergie geht durch Reibungs- und Dämmverluste einiges verloren. Reibung erzeugt Wärme, Wärme ist für einen Motor nutzlose Energie. Panelreibung, Lagerreibung, Wellenreibung und andere interne Reibungen in einem Formel 1 Motor erzeugen weitaus geringere Werte als in einem Straßenmotor, was die M-Effizienz um circa 40% verbessert, trotz deutlich höherer Drehzahlbereiche und Hitzebelastungen.

Ein F-1-Aggregat ist und bleibt also ein ultratechnisierter Teil eines Boliden. 300 Umdrehungen pro Sekunde, Hitzeentwicklungen bis zu 1200 Grad Celsius und das alles bei einem Gewicht von nur 95 Kilogramm (Reglement) bedeuten ganz einfach: ein technisches Extrem!

Kolben und Kurbelwelle: Auch im Bereich des Kurbelwellendesigns unterscheidet sich der F-1-V8 von seinem Straßenbruder. Soweit mir bekannt ist, sind die aktuellen F-1-Motoren ausnahmslos mit 180 Grad-Kurbelwellen ausgestattet (auch Cosworth verfolgt dieses Konzept). Die Kurbelwelle setzt die geradlinige Auf-/Abbewegung des Kolbens im Zylinder in eine Drehbewegung um und leitet diese an die Kupplung und das Getriebe weiter.

VIDEO: Animation - so ist ein Motor aufgebaut

Kolben und Kurbelwelle sind über den sogenannten Pleuel miteinander verbunden. Bei F-1-Aggregaten lagern beide Pleuel der gegenüberliegenden Kolben auf einem Hubzapfen. Dieser Umstand dient der Vibrationsminimierung, denn der ideale Hubzapfenversatz errechnet sich aus der Formel: 180 Grad - 2x Zylinderwinkel = Hubzapfenversatz. In diesem Fall wäre das Ergebnis wegen des Zylinderwinkels von 90 Grad gleich Null, und es resultiert daraus quasi eine Aufhebung der freien Massenkräfte. Das Ergebnis ist ein optimierter Arbeitsablauf sowie eine Vibrationsminimierung im Vergleich zu einem Straßenmotor.

 

Kühlsystem: Diese Akkumulation von High-Performance-Teilen auf so engem Raum und mit so niedrigem Gewicht und unfassbaren Arbeitsgeschwindigkeiten erfordert ein absolut effizientes Kühlsystem. Wie bei einem Straßenauto geschieht dies auch in einem F-1-Boliden per Öl- und Luftkühlung.

Entgegen dem weitläufigen Aberglauben erfüllt die Hutze über dem Fahrerkopf jedoch keine Kühlfunktion, sondern sie dient der Luftzufuhr des Motors zur Versorgung des Benzingemischs. Desweiteren habe ich schon oftmals gehört, dass die Luft durch die Airbox in den Motor "gerammt" würde wie durch einen Turbolader. Dem ist nicht so. Ganz im Gegenteil erweitert sich der Luftkanal um alle Zylinder gleichmäßig zu füllen (1).

Die Kühler waren in den 2009er Modellen geneigt in den Seitenkästen angeordnet und kühlen auf Grund ihrer extrem feinen Lamellenstruktur effizienter als die Autokühler bei Straßenmodellen. In diesem Jahr sieht man bereits bei einigen Boliden unterschiedliche Anordnungen (vgl. Ferrari F10, Sauber C29), um Platz für den größeren Tank zu schaffen.

Ich habe leider nirgends Angaben über die Ölmenge im Kreislauf eines F-1-Motors gefunden, weiß aber, dass zirka 70% des gesamten Öls im Motorenbereich selbst befindlich sind und nur 30% außerhalb des Motors gekühlt werden. Pro Minute muss das Öl somit drei bis viermal komplett im Kreislauf zirkulieren, um ausreichend gekühlt werden zu können.

Kühl- und Ölsystem sind der Aerodynamik untergeordnet. Alles ist auf minimale Cw-Werte bei maximaler Funktion ausgelegt. So muss sich die Lage der Kühler (2) trotz schlechterer Leistung (im Vergleich zur senkrechten Positionierung) an der strömungsgünstigeren Form der Seitenkästen orientieren. Auch der Öltank ist bei den neuen Modellen teilweise neu angeordnet worden (z.B. bei Red Bull), um den Radstand möglichst kurz zu halten.

Ebenso wie das Kühlsystem spielen Motor und Getriebe-/Differentialkomplex zu Gunsten besserer Aerodynamik- und Balanceeigenschaften untergeordnete Rollen und übernehmen Befestigungsfunktionen der Hinterradaufhängung sowie Steifigkeitsfunktionen.

Dazu in der nächsten Folge mehr!