"Wir waren vom BMW-Vorstand enttäuscht"

SID
BMW-Sportchef Mario Theissen blickt mit Wehmut auf den Abschied aus der Formel 1
© Getty

Im Gespräch erklärt BMW-Motorsportdirektor Mario Theissen die Gründe für den Formel-1-Abschied, die Erfolgserlebnisse seines Teams und die Perspektive von Sebastian Vettel.

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BMW-Motorsportdirektor Mario Theissen fällt vor dem Abschied aus der Formel 1 ein positives Fazit und gibt der FOTA Verbesserungsvorschläge auf den Weg, wie die Formel 1 noch attraktiver gestaltet werden kann.

Über seine persönliche Zukunft hüllt sich Theissen im Interview allerdings noch in Schweigen.

Frage: "BMW fährt in Abu Dhabi zum letzten Mal in der Formel 1. Ist das ein Rennen wie jedes andere oder gehen Sie mit einer Träne im Auge?"

Mario Theissen: "Es ist sicher für uns alle bei BMW-Sauber eine ganz besondere Premiere beim Finale. Wir fahren mit einem lachenden und einem weinenden Auge nach Abu Dhabi. Durch die zuletzt in Brasilien gewonnenen acht Punkte haben wir eine Position in der Konstrukteurs-Wertung gutgemacht. Auch im Saisonfinale werden wir hoch motiviert ans Werk gehen. Wir freuen uns auf den neuen Formel-1-Standort und sind sehr gespannt auf das Ambiente am Yas Marina Circuit. Doch wir werden natürlich auch mit Wehmut dorthin aufbrechen. Schließlich wird dies unser 70. und letztes Formel-1-Rennen mit dem BMW-Sauber-Team werden."

Frage: "Können Sie jetzt mit ein wenig Abstand die Entscheidung des Vorstandes für den Ausstieg verstehen?"

Theissen: "Natürlich waren wir alle im Team über die Entscheidung des Vorstandes enttäuscht. Wir hätten dieses Projekt gerne zu einem erfolgreichen Abschluss geführt. Aber verstehen konnte ich die Entscheidung schon damals, als sie getroffen wurde. BMW hat sich für eine strategische Neuorientierung entschieden. Und mit dieser neuen unternehmerischen Ausrichtung war das Formel-1-Projekt nicht mehr vereinbar."

Frage: "Muss sich ein Automobilhersteller in der Formel 1 engagieren - allein aus Imagegründen und natürlich, um technische Kompetenz zu beweisen?"

Theissen: "Die Formel 1 ist und bleibt eine erstklassige Kommunikationsplattform. Aber natürlich sollten Botschaft und Strategie zusammenpassen."

Frage: "Was muss sich ändern, wenn die Formel 1 angesichts der großen Krisen dieser Welt langfristig bestehen will?"

Theissen: "Die Formel 1 ist eine starke Marke, und ich bin überzeugt, dass sie auch aus der gegenwärtigen Situation gestärkt hervorgehen wird. Mit der FOTA haben wir schon viele Ideen einbringen und umsetzen können. Allerdings gibt es noch immer Verbesserungsbedarf. Und diesen sehe ich vor allem im Bereich der Show. Wir müssen den Fans an der Rennstrecke mehr bieten als bisher. Auch hierzu gibt es bereits konkrete Ansätze."

Frage: "Sie waren mit BMW zehn Jahre in der Formel 1. Wie fällt Ihr Fazit aus?"

Theissen: "Es war eine fantastische Zeit - intensiv, lehrreich, spannend, herausfordernd und insgesamt doch sehr erfolgreich. Während unserer Partnerschaft mit Williams haben wir zehn Rennen gewonnen und 2003 bis zum Ende um den WM-Titel gekämpft. Mit dem BMW-Sauber-Team ging es die ersten drei Jahre steil und stetig bergauf. Mit Ausnahme unserer vierten und leider letzten Saison bin ich mit dem, was wir seit 2006 erreicht haben, mehr als zufrieden. In den ersten drei Jahren haben wir unsere selbst gesteckten Ziele allesamt erreicht und sogar übertroffen. Gleich in unserer Premieren-Saison standen wir zweimal auf dem Podest, im darauf folgenden Jahr konnten wir uns als drittes Top-Team etablieren. 2008 folgte der Doppelsieg in Kanada. Fast bis zum Saisonende waren wir eines von drei Teams im Titelkampf. Insgesamt verbuchten wir 2008 elf Podestplätze. Unsere Zuverlässigkeit war exzellent. Dass wir 2009 nicht daran anknüpfen und wie erhofft ein Wort im Titelkampf mitreden konnten, hat natürlich das gesamte Team enttäuscht. Aber die Tatsache, dass wir auch nach dem angekündigten Rückzug von BMW aus der Formel 1 nie aufgesteckt haben, zeigt den starken Charakter unserer Mannschaft. Ich hoffe, dass das Nachfolgeteam den erfolgreichen Weg in der Formel 1 konsequent weiter gehen wird."

Frage: "Was waren in dieser Zeit die schönsten Momente, und was war das größte Erfolgserlebnis?"

Theissen: "Zwei Situationen waren besonders emotional, und beide Male haben sich diese in Montreal ereignet. 2007 hatte Robert Kubica dort seinen fürchterlichen Unfall, den er wie durch ein Wunder ohne ernsthafte Blessuren überstanden hat. Ein Jahr später haben wir an gleicher Stelle mit dem Doppelsieg von Robert und Nick unseren größten Erfolg mit dem BMW-Sauber-Team errungen. Daneben war aber der Triumph in Le Mans 1999 das prägendste Sportereignis während meiner Tätigkeit als BMW-Motorsportdirektor."

Frage: "Sie haben mit vielen Fahrern zusammengearbeitet, alles doch sehr unterschiedliche Charaktere. Mit wem hat es besonders viel Spaß gemacht, und mit wem war es extrem schwierig?"

Theissen: "Ich wäre kein guter Vorgesetzter, wenn ich einen Fahrer herausgreifen würde. Jeder Fahrer ist anders, alle waren starke Charaktere. Ich freue mich aber sehr für Jenson Button, der zehn Jahre nach unserem gemeinsamen Debüt in der Formel 1 nun den WM-Titel geholt hat. Und die Entwicklung von Sebastian Vettel, den wir bei uns in der Formel BMW das Rüstzeug für den Formel-Sport mitgegeben und später bei BMW-Sauber als Testfahrer an Bord genommen haben, beobachte ich natürlich ebenfalls sehr genau. Er wird seinen Weg konsequent weiter gehen und Erfolge sammeln."

Frage: "Haben Sie sich schon entschieden, was Sie künftig machen werden? Bleiben Sie der Formel 1 in dem BMW-Nachfolgeteam von Peter Sauber als Motorsportdirektor erhalten oder machen Sie bei BMW im Tourenwagensport weiter?"

Theissen: "Ich habe immer gesagt, dass ich eine Entscheidung nach der laufenden Saison treffen werde. Daran hat sich nichts geändert."

Frage: "Können Sie sich vorstellen, dass BMW irgendwann in die Formel 1 zurückkehrt oder ist dieses Thema auf Jahre hinaus erledigt?"

Theissen: "Wenn ein Unternehmen seine strategische Ausrichtung ändert, dann ist dies von einer gewissen Dauer. Strategien ändert man nicht von einem Tag auf den anderen. Und ein komplexes Formel-1-Projekt kann man auch nicht nach Belieben an- und abschalten. Alles weitere wäre Spekulation."

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