Kurzsichtige Hornochsen

Von Alexander Mey
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© Getty

München - 26 Runden haben Lewis Hamilton gefehlt, das sind umgerechnet knapp 142 Kilometer, dann hätte er als Weltmeister in Schanghai über die Ziellinie fahren können.

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Er fuhr jedoch nirgendwo mehr hin. Er steckte im Kiesbett fest, dem vielleicht einzigen kleinen Kiesbett auf der ganzen riesigen Anlage in Schanghai. Bezeichnend: Offenbar sollte der 7. Oktober 2007 einfach nicht der Tag sein, an dem Hamilton den Gipfel seines Ruhmes erreicht.

Wirklich nur Schicksal? Damit würde es sich McLaren-Mercedes viel zu leicht machen. Denn hätten die Silbernen nicht einen schweren taktischen Fehler begangen, wäre der erste Ausfall des Briten in der Saison locker vermeidbar gewesen.

Reifenprobleme waren offensichtlich

Schon zwei Runden vor dem Ausfall war deutlich zu sehen, dass sich der rechte Hinterreifen an Hamiltons Auto auflöste. Die weiße Karkasse war schon sichtbar und veranschaulichte, dass da kein Gummi mehr war, der Hamilton auf der feuchten Strecke hätte Haftung bieten können.

Der WM-Leader rutschte hilflos über die Strecke, verlor bis zu sieben Sekunden pro Runde auf die Konkurrenz und musste sich von Kimi Räikkönen die Führung abjagen lassen. (Der gesamte Rennverlauf noch einmal im Spielfilm)

Hamilton nimmt Schuld auf sich

Als sich er und das Team endlich dazu durchgerungen hatten, doch die Reifen zu wechseln, war es zu spät. Hamilton fuhr einen Tick zu schnell in die Boxengasse, schlitterte geradeaus und vergrub seinen Silberpfeil in besagtem Kiesbett.

"Wir haben gemeinsam die Entscheidung getroffen, trotz des schlechten Zustands der Reifen den letzten Regenschauer abzuwarten", sagte Hamilton. "Es wäre auch perfekt aufgegangen, doch dann habe ich bei der Boxeneinfahrt einen Fehler gemacht."

"McLaren sollte sich eine Brille kaufen"

Es ehrt den Briten, dass er die Schuld für den Ausfall allein auf sich nimmt. Aber hätte ein so erfahrenes Team wie McLaren angesichts der WM-Situation nicht auf Nummer sicher gehen und seinen unerfahrenen Piloten deutlich früher an die Box holen müssen?

Auf jeden Fall, meint Premiere-Experte Hans-Joachim Stuck: "Ich kann den Fehler nicht verstehen, es ist für mich völlig unverständlich, sie haben sich verhalten wie ein Hornochsen-Verein! McLaren sollte sich eine Brille kaufen! McLaren und Hamilton haben eklatante Fehler gemacht und vielleicht den Titel für Hamilton weggeschmissen."

Haug gesteht Fehler ein

Harte Vorwürfe des Experten, die Mercedes-Motorsportchef Norbert Haug einstecken muss. "Wir haben falsch eingeschätzt, wie mitgenommen der Reifen war", gab Haug zu. "Es war ein gemeinsamer Fehler vom Team und Hamilton, für den ich ihn nicht einmal mit einem Hauch kritisiere."

Bei so viel gegenseitigem Verständnis gerät fast in Vergessenheit, was für eine riesige Chance McLaren vergeben hat. Hamilton hätte nicht einmal gewinnen müssen, um den WM-Titel nach Hause zu fahren. Das Team spielte alles oder nichts - und bekam nichts.

"Hinterher ist man immer klüger", sagte Haug und gab alles, um eventuelle Selbstzweifel zu zerstreuen: "Die Ausgangssituation ist immer noch sehr, sehr gut. Wer Panik macht, ist bei uns an der falschen Stelle."

Alonso glaubt nicht wirklich an die Titelverteidigung

Zur richtigen Zeit an der richtigen Stelle waren Kimi Räikkönen und Fernando Alonso. Sie nutzten den Fehler von Hamilton perfekt aus und brachten sich mit den Plätzen eins und zwei in Schanghai wieder zurück ins Titelrennen. Vor dem Brasilien-GP hat Hamilton mit 107 Punkten nur noch vier Zähler Polster auf Alonso und sieben auf Räikkönen.

Von einer Wende in der WM wollen beide dennoch nichts wissen. "Die acht Punkte helfen mir natürlich enorm. Dennoch wird es aber sehr schwierig werden, Lewis in Brasilien noch vier Punkte abzunehmen", sagte Alonso. "Es muss schon etwas Dramatisches passieren, wenn ich noch Weltmeister werden will. Bei einem normalen Rennverlauf wird es unmöglich sein."

Zittrige Hand in Brasilien?

Wenn der Spanier schon so pessimistisch ist, was soll dann erst Räikkönen sagen? "Es wird interessant werden. Im letzten Jahr war Ferrari in Brasilien sehr gut. Ich hoffe, das wird wieder so sein", erklärte der Finne. "Dennoch können wir nicht mehr tun als einfach unser bestmögliches Rennen zu fahren. Auch wenn es jetzt besser aussieht als vor dem China-GP: Die WM-Entscheidung liegt nach wie vor nicht in unserer Hand."

In der Hand hat es Lewis Hamilton. Doch die wird nach der Pleite von Schanghai in Sao Paulo ganz schön zittrig sein.

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