"Jedes Spiel ist gewinnbar"

Für Pat Cortina und das DEB-Team startet die WM in Minsk am Samstag
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SPOX: Was das aktuelle DEB-Team so interessant macht, sind die vielen Talente, allen voran Leon Draisaitl. Ein deutscher Youngster, der wahrscheinlich mindestens in den Top 10 gedraftet wird, kommt selten vor. Aus Ihrer Sicht: Was macht ihn so besonders?

Cortina: Das Erste, was bei Leon auffällt, ist sein Spiel mit dem Puck. Er scheint immer etwas zu kreieren, wenn er den Puck auf seinem Schläger hat. Er ist körperlich stark, wenn er die Scheibe hat. Er sieht das Spiel auch hervorragend. Außerdem ist er ein Leader. Es gibt nicht viele 18-Jährige, die ihr Juniorenteam so in die Playoffs führen, wie er es für Prince Albert gemacht hat. Er hat jetzt die ersten Spiele im Männer-Eishockey absolviert, aber er sieht auf dem Eis nicht wie ein 18-Jähriger aus. Er macht seine Mitspieler besser - das macht ihn so besonders. Wir müssen aber auch aufpassen und dürfen nicht zu viel von Leon erwarten. Wir müssen ihn schützen und dafür sorgen, dass er mit der richtigen Mentalität zur WM kommt. Leon ist sehr hart zu sich selbst, aber er darf sich nicht zu sehr unter Druck setzen. Er muss es genießen, Spaß haben und versuchen, so viel wie möglich zu lernen. Er muss sein Spiel spielen. Das klingt simpel, ist es aber nicht. Wenn die Augen der Eishockey-Welt auf dich gerichtet sind und er sich überlegt, wie ein gutes Turnier ihn vielleicht zu einem Top-3-Pick oder noch mehr machen könnte, oder ein schlechtes ihn nach hinten wirft, dann ist das sehr viel Druck für einen 18-Jährigen.

Leon Draisaitl im SPOX-Interview

SPOX: Glauben Sie, dass er in der nächsten Saison sofort den Sprung in die NHL schaffen kann?

Cortina: Nach allem, was ich von ihm gesehen habe: ja. Aber es ist noch zu früh, um das wirklich beurteilen zu können. Eine NHL-Saison mit 82 Spielen ist eine harte Nummer, viel wird davon abhängen, bei welchem Team er landet. Wenn er in eine gute Situation gedraftet wird, kann er es wahrscheinlich schaffen.

SPOX: Ganz wichtig wäre es, wenn das Gerede vom "German Gretzky" endlich aufhört.

Cortina: Ich will, dass wir in ein paar Jahren über Leon Draisaitl als eigene Marke sprechen. Mario Lemieux war auch "The Next One", bis er zu "Le Magnifique" wurde. Dann war Sidney Crosby der nächste Gretzky und wurde zu "Sid the Kid". Jeder Spieler muss seine eigene Identität finden.

SPOX: Wenn wir ihn schon mit einem aktuellen NHL-Spieler vergleichen wollen, fällt einem Anze Kopitar ein. Was meinen Sie?

Cortina: Kopitar ist kein schlechter Vergleich, es gibt aber noch einen anderen Spieler. Ich habe Leon nach seinem Lieblingsspieler gefragt und war danach fasziniert, wie gut er das Spiel versteht. Sein Lieblingsspieler ist Pavel Datsyuk. Wenn Leon Draisaitl einmal so spielt wie Pavel Datsyuk... wow.

SPOX: Leon Draisaitl könnte zu einem WM-Shootingstar werden, entscheidend für den Erfolg wird aber sicher auch die Umsetzung der Taktik sein. Sie lassen im DEB-Team ein 1-1-3-System spielen. Was sind für Sie die wichtigsten Punkte?

Cortina: Wichtig für uns ist, dass die ersten beiden Spieler zum einen Druck auf den Puck machen und dass wir die Mitte der Eisfläche immer gut gedeckt haben. Mit diesem System können wir am besten eine kompakte Einheit bilden und sowohl offensiv als auch defensiv wenige Situationen entstehen lassen, bei denen wir in Gleichzahl sind. Unser Ziel ist es, Überzahl in Pucknähe zu schaffen, das gibt uns eine bessere Chance, den Puck und die Mitte der Eisfläche zu kontrollieren. Ehrlich gesagt ist es aber auch nicht so entscheidend, ob wir jetzt im 1-1-3, 1-2-2 oder 1-3-1 spielen, wichtiger als das System ist die Einstellung. Als Coach musst du ein System finden, das zu deinem Team passt, die Basis für alles ist aber die Einstellung und die Frage, wieviel die Spieler bereit sind, zu investieren. Da wir nicht viel Zeit haben, darf es bei uns auch nicht zu kompliziert sein. Ingolstadt, Köln oder Berlin spielen das gleiche System, unsere Spieler sind vertraut damit, das ist ganz wichtig.

SPOX: Sie sind jetzt seit einigen Jahren beim DEB und haben schon einiges durchgemacht. Wie haben Sie die Zeit in den letzten Jahren erlebt?

Cortina: Der Beginn war extrem schwer für mich, vor allem die ersten Monate. Ich hatte keine Mannschaft, mit der ich arbeiten konnte. Ich stand zum ersten Mal seit 25 Jahren nicht auf dem Eis, ich habe keinen Adrenalin-Kick gespürt, das habe ich vermisst. Inzwischen bin ich aber in die Aufgabe hineingewachsen und habe großen Spaß dabei. Ich spüre, dass alle das deutsche Eishockey nach vorne bringen wollen. Ich genieße zum Beispiel auch die Zeit bei der U-20-Nationalmannschaft oder ich freue mich auf unser neues Sommer-Programm für den Nachwuchs. Jetzt hoffe ich, dass ich die Möglichkeit haben werde, die Dinge weiter voranzutreiben. Du brauchst ein Jahr, um eine Bestandsaufnahme zu machen. Im zweiten Jahr kannst du dann Veränderungen einleiten, im dritten Jahr Fine-Tuning betreiben und dann siehst du erst die Ergebnisse. Wachstum wird erst dann folgen, nachdem wir mehr Ressourcen investieren, finanziell und menschlich.

SPOX: Es soll auch wieder eine Ehre und keine Last sein, für die Nationalmannschaft zu spielen, so steht es in Ihren definierten Zielen, die der DEB kommuniziert hat. Sollte das nicht normal sein?

Cortina: Es ist normal, aber es ist es auch wieder nicht. Es ist unsere Verantwortung, dass wir ein Umfeld schaffen, wo es eben etwas ganz Besonderes und eine Ehre ist, für das DEB-Team zu spielen. Jeder Spieler muss es spüren, wenn er zum Nationalteam stößt. Jeder muss sich wohl fühlen.

SPOX: Abschließend: Wer ist Ihr Favorit für den WM-Titel in diesem Jahr?

Cortina: Deutschland.

SPOX: Und jetzt ernsthaft bitte.

Cortina: (lacht) Okay. Es ist wie immer schwer zu sagen. Im letzten Jahr kam die Schweiz ins Finale, das zeigt, was möglich ist. Generell würde ich aber auf jeden Fall die europäischen Teams favorisieren, Schweden, Finnland, Russland, Tschechien, weil wir in Europa die WM einfach mehr leben und sie uns mehr bedeutet. Für einen europäischen Spieler ist eine WM etwas ganz Besonderes, die Nordamerikaner schauen eher, wie es läuft. Wenn es gut läuft, gut. Wenn nicht, auch nicht so schlimm. Trotzdem kann ein junges, hungriges US-Team oder Team Canada natürlich auch sehr gefährlich sein, manchmal stimmt die Chemie bei diesen Teams, manchmal nicht, das müssen wir abwarten.

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