Der größte Spieler der Welt

Von Johannes Nord Jörgensen / ACE Magazin
Im Binion's spielte Archie Karas einige seiner bedeutendsten Partien
© Lars Bech / ACE Magazin
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Heads-Up um die letzten vier Millionen

Darauf gewährte Reese Archie den Kredit, den dieser dann umgehend verlor. Im Keller von Binion's Horseshoe zählte Archie umständlich die Scheine ab, überreichte sie grinsend Chip und - ganz der Zocker, der er war - zog einen neuen Vorschlag aus dem Ärmel: Er wollte den Einsatz am Pokertisch verdoppeln und Heads-Up um die letzten vier Millionen spielen.

Chip Reese nahm sein Geld, drehte sich wortlos um und verließ das Casino. Es blieb das letzte Mal, dass Archie und Chip Reese gegeneinander antraten. Und es gab auch keine anderen Pokerspieler mehr, die bei Archies Limits hätten mithalten können.

Also wandte sich Archie den Spielen Craps und Baccarat zu, und nur sechs Monate nachdem er mit 50 Dollar in Las Vegas eingetroffen, betrug sein Vermögen elf Millionen US-Dollar.

Die Würfel sind gefallen

Aber die Geschichte von Archie Karas ist nicht vollständig, ohne Jack Binion, der damals Präsident des Binion's Horseshoe Casino war. Binion stellte Archie später das Zeugnis aus, der größte Gambler gewesen zu sein, dem er je begegnet sei. Ein Mensch, der keinen Gedanken daran verschwendet habe, was man sich für 17 Millionen Dollar alles hätte kaufen können. Archie habe einfach nur zocken wollen.

Mehrmals zitierte die Binion-Familie Archie zu Unterredungen. Durfte man ihm überhaupt noch erlauben, weiterzuspielen? Aber Jack Binion war felsenfest davon überzeugt, dass Archies Glückssträhne irgendwann reißen musste, und ließ Archie weiterspielen.

Bereits vor Archies Ankunft in Vegas bot Binion's Horseshoe die höchsten Einsätze der Stadt. An den Craps-Tischen wurde bis zu Limits von 20.000 Dollar Einsatz gespielt. Aber Archie lehnte dankend ab, als man ihn an einen der Tische bat.

Jack Binion und ein riskantes Spiel

Er fragte nach Jack Binion und schlug ihm wesentlich höhere Einsätze vor.

Nach kurzer Überlegung willigte Binion ein. Und Archie gewann wieder und wieder, bis er kurz davor stand, das Unvorstellbare zu vollbringen - das Casino am Filz zu schlagen.

Archie siegte und forderte immer höhere Limits. Irgendwann wurde es Jack Binion zu heiß. Der Einsatz wurde nicht mehr erhöht und Archie hielt sich künftig vom Casino fern. Jack Binion hatte erkannt, dass Archie ein Gambler war, für den es nur zwei Möglichkeiten gab: Entweder würde Archie das Casino einkassieren, oder er würde alles verlieren.

Jack Binion wagte ein riskantes Spiel. Er verabredete sich mit Archie in einem Restaurant und fragte, wie er ihn wieder an seine Tische locken könne.

Die höchsten Beträge, die Vegas jemals gesehen hat

Archie forderte erneut höhere Einsätze. Und Jack Binion versprach sie ihm, jedoch nur unter der Bedingung, dass Archie für seine Wetten nicht die gleichen Odds erhielt. Trotz des offensichtlichen Vorteils für das Casino willigte Archie in die Abmachung ein. Dies, bilanziert er später, sei der größte Fehler seines Lebens gewesen.

Archie zockte unbeirrbar weiter. Seine Limits überstiegen die anderen Tische mittlerweile um das Fünfzehnfache und waren bis auf 300.000 Dollar gestiegen. Archie konnte bei jedem Wurf möglicherweise die höchsten Beträge setzen, die Vegas jemals gesehen hat.

40 Millionen Vermögen

Während des folgenden Jahres zockte Archie mit den Würfeln. Tag um Tag, Woche um Woche, Monat um Monat. In dieser Periode wies sein Vermögen gewaltige Schwankungen auf. An einem Tag gewann er acht Millionen Dollar, nur um wenige Wochen später 11,5 Millionen zu verlieren. Doch insgesamt wies seine Bilanzkurve nach oben.

Trotz der schlechteren Odds war Archie drauf und dran, nach den Sternen zu greifen. Ende 1993 hatte sich Archie sämtliche 5.000-Dollar-Chips des Horseshoe-Casinos einverleibt.

Das Casino musste neue 25.000-Dollar-Chips herstellen lassen, um wenigstens einige von Archies Chips zurückkaufen zu können. Archies Vermögen, das gerade mal zwei Jahre zuvor 50 Dollar betragen hatte, war auf satte 40 Millionen angewachsen.

Es lässt sich erahnen, dass Karas kurz davor stand, eines der größten Casinos in Vegas zu gewinnen. Selbst wenn erwähnt werden muss, dass das Binion's im Jahr 2003 für 50 Millionen Dollar verkauft wurde und sein Wert zehn Jahre zuvor weitaus höher gelegen hat.

Der Weg nach unten

Die meisten Besucher von Las Vegas liefern ihr gewonnenes Geld wieder brav in den Casinos ab. Und dieses Schicksal blühte auch Archie Karas, wenngleich in einem ganz anderen Maßstab. Denn so unglaublich es klingt, Archie verlor seine gesamten 40 Millionen.

Er hatte in rasantem Tempo ein riesiges Vermögen angehäuft und es noch schneller wieder verloren. Das Glück verließ ihn, und er verlor in kürzester Zeit bei Craps und seiner neuen Leidenschaft, Baccarat, mindestens 30 Millionen Dollar.

Kurzer Urlaub vom Zocken

Daraufhin legte Archie eine Pause ein und ging zurück in seine Heimat Griechenland. Aber er war dem Zocken verfallen. Und er sehnte sich nach Las Vegas.

Bereits zwei Monate nach seiner Reise in die Heimat wurde er wieder in Sin City gesichtet, um mit seinen letzten zwölf Millionen zu zocken. In weniger als einem Monat verlor er elf Millionen beim Baccarat. In seinem Safe lag gerade noch eine Million Dollar.

Man sollte glauben, dass Archie spätestens zu dem Zeitpunkt eingesehen haben müsste, dass "The Run" endgültig Geschichte war. Wie wäre es denn, den letzten Rest für ein Leben jenseits der Casinos zu sparen? Archie jedenfalls tat das Gegenteil.

Er fuhr nach L.A., um Heads-Up-Poker mit Johnny Chan zu spielen. Und wieder glänzte Archie mit formidablem Spiel. Er nahm Chan eine Million ab und kehrte nach Las Vegas zurück, wo er sein ganzes Geld binnen weniger Tage verlor.

Keine Angst zu verlieren

Archie war Bankrott. Jahre später sagte Doyle Brunson gegenüber ESPN: "Archie ist einer der wenigen Menschen in der Welt, die keine Angst davor haben zu verlieren. Geld bedeutet dem Mann überhaupt nichts. Das phantastische an Archie ist, dass ihm nichts etwas auszumachen scheint. Er macht einfach weiter."

Auch nach seinem Bankrott zockte Archie weiter. Oft gelangen ihm Mini-Streaks, aber in die Nähe von 40 Millionen ist er seitdem nie wieder gekommen. Ob Archie rückblickend wohl irgendetwas anderes gemacht hätte? "Hätte ich gewusst, dass es einen solchen Pokerboom geben wird, hätte ich zehn Millionen in meinem Safe behalten, damit ich mitspielen könnte - auch wenn ich zehn Jahre darauf hätte warten müssen", resümiert er.

Comeback bei der World Series of Poker

Seit einigen Jahren versucht er sich nun schon an einem Comeback auf der Pokerbühne, wenngleich die großen Ergebnisse bisher auf sich warten lassen. Aber solltest Du zufällig nach Las Vegas kommen, kannst Du Archie "The Greek" Karas vielleicht an einem der Cashgame-Tische finden. Halte einfach nach einem Mann Ausschau, der weder davor zurückschreckt, sein Hemd, sein Haus noch seine Autoschlüssel in den Pott zu werfen.

Zuletzt belegte er im Juni 2009 beim "$10.000 World Championship 2-7 Lowball"-Event der World Series of Poker den fünften Platz und gewann mehr als 50.000 Dollar. Kleingeld, im Vergleich zu früher. Aber immerhin sein größter Gewinn seit Jahren.

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