"Das Wimbledon des Poker"

Von Jens Mogensen
Spielte in diesem Jahr unter anderem bei der World Poker Tour: Boris Becker
© ACEMagazin

Boris Becker ist ein Poker-Fan. Hier findet er den Kick, der ihm seit seinem Ende als Tennisprofi fehlt. In Las Vegas feierte er vor kurzem seinen größten Erfolg: Platz 40 beim World-Poker-Tour-World-Championship-Event im berühmten Bellagio-Kasino. 40.000 Dollar Preisgeld nahm er mit nach Hause - und die Gewissheit, Poker-Profis wie Mike Matusow, Jimmy Tran oder Sammy Farha geschlagen zu haben.

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Und selbst wenn beim anschließenden Finale der European Poker Tour in Monte Carlo am zweiten Tag Schluss war, will Becker mehr. Er will bei der World Series of Poker in Las Vegas spielen. "Es ist das Wimbledon des Poker. Und das ist selbstverständlich etwas, das ich erleben muss", sagt Becker, als das ACEMagazin ihn für SPOX zum Interview trifft.

Tatort: Kasino Kopenhagen, Dänemark. Gerade muss Becker das Gebäude betreten haben. Zumindest stürzen plötzlich sämtliche Fotografen Richtung Eingang und umringen eine Person, die wegen der Meute gar nicht zu erkennen ist.

Rufe und Blitzlichtgewitter erfüllen das Foyer. Und als sich Becker endlich durch die Menschentraube gekämpft hat, beginnt er umgehend damit, seine vor Interviewterminen überquellende Agenda abzuarbeiten. Man merkt Becker an, dass er solche Situationen gewöhnt ist. Entspannt beantwortet er alle Fragen, die auf ihn einprasseln.

Intermezzo am Sandwich-Stand

Auch wir haben natürlich Fragen. Aber da wird uns schon mitgeteilt, dass es unmöglich sei, jetzt noch einen Interview-Termin zu bekommen. Mist.

Aber als Becker irgendwann eine kurze Verschnaufpause einlegt und zu einem Tisch schreitet, auf dem Getränke und Sandwiches bereit liegen, bleibt er einen kurzen Moment allein. Kein Journalist, kein Fotograf, kein PR-Berater steht bei ihm.

Diesen kurzen Augenblick nutzen wir, um uns heranzupirschen und doch noch an unser Interview zu kommen, weil wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht ahnen, dass wir Becker später ohnehin noch einige Fragen stellen dürfen.

Erfahrung, Asse, Bahamas

Und so geht es los. Wir fragen: Das Ziel der Profispieler ist das Geld. Welches Ziel hast Du? "Erfahrung. Denn in Sachen Poker bin ich noch Lehrling. Das Spiel ist faszinierend, und man kann viel lernen, wenn man bloß von der Seitenlinie zuschaut. Letztendlich aber musst Du Deine Erfahrungen am Tisch sammeln", sagt Becker, während er an einem Selters nippt.

Geht Dein Adrenalin Pegel hoch, wenn Du in einem großen Pott involviert bist? "Natürlich. Sonst wäre das Spiel doch reizlos. Es ist eine große Herausforderung, gut Poker zu spielen. Und genau das fasziniert mich. Es ist immer spannend, wenn Dein Turnierleben von einer einzigen großen Hand abhängt. Und in solchen Momenten merkt man dann natürlich auch den Druck. Ich bin jedoch gewöhnt, unter Druck Großes zu leisten", lächelt Becker, der in Kopenhagen bereits zu seinem vierten EPT-Turnier in dieser Saison antritt. Das vorige Turnier wurde übrigens auf den Bahamas ausgetragen.

Bahamas? "Ja. Auf den Bahamas spielte ich richtig gut. Es war ein tolles Erlebnis. Ich wurde dort mit zwei Assen auf der Hand rausgeworfen. Mein Gegner in der Hand fing seinen Flush auf dem River, als alle Chips schon in der Mitte lagen. Das schmerzte", sagt Becker mit gekränktem Unterton.

Und er fügt hinzu: "Ich war heiß darauf, mich zu revanchieren. Ich fragte PokerStars sofort, wo das nächste Turnier stattfindet. Sie meinten "Kopenhagen", und ich sagte: Gut, ich werde dabei sein." Dann verrät er uns noch, dass es für ihn beim Onlinespiel gewöhnlich viel besser läuft. Aber dann wird unser Tete-a-Tete auch schon gnadenlos von einem PR-Agenten unterbrochen. Es würden schließlich noch andere Journalisten warten.

Gut gemacht, Champ!

Der Interviewmarathon geht also weiter. Und nach irgendeinem der zahllosen Gespräche trifft Becker auf den dänischen Poker-Weltmeister Peter Eastgate, der gerade ebenfalls ein Interview beendet hat. "Du hast das ganz Große gewonnen, oder?", spricht Becker Eastgate an, der die Frage mit einem breiten Lächeln bejaht.

Das ganz Große, wie Becker es nennt, ist das 2008er Finale der World Series of Poker. Preisgeld für den Sieger: mehr als neun Millionen Dollar. "Gut gemacht, Champ!", lobt Becker und fragt Eastgate, ob er auch auf den Bahamas gewesen sei. "Ja, ich habe dort den 5000-Dollar-Side-Event gewonnen", antwortet Eastgate.

Becker wirkt sichtlich beeindruckt und gibt wieder seine Geschichte zum Besten, wie er mit den Assen rausflog. "So geht es ab und zu", tröstet ihn Eastgate mit mitfühlender Miene, nur um kurz darauf das Gespräch auf Tennis zu lenken. Eastgate verrät, dass er beim Finale der Australian Open auf Nadal gewettet hatte, und Becker bricht in Verwunderung aus.

"Ich hätte auf Federer gewettet. Gegen einen Mann wie ihn hätte ich bei einem großen Finale niemals gewettet", sagt Becker mit anerkennendem Ton. Der Weltmeister und die Tennislegende verabschieden sich voneinander. Becker wünscht alles Gute und rauscht zum nächsten Interviewtermin. Zurück bleiben der nur spärlich beschriebene ACE-Notizblock und die Gewissheit, den journalistischen Auftrag wohl nicht erfüllt zu haben.

Glück und Pech sind ein Teil des Lebens

Dann aber, einige Stunden nach der Begegnung von Becker und Eastgate, stellt sich plötzlich heraus, dass wir doch noch die  Gelegenheit für ein Interview mit Becker bekommen. Weil eine Zeitschrift ihre Akkreditierung verfallen ließ, dürfen wir uns nun zu anderen Kollegen an einen Tisch setzen und auf Beckers Erscheinen warten.

Vorher werden noch kurz die Spielregeln erläutert: Jeder darf jedem ins Wort fallen.

Und da kommt auch schon Becker, wenngleich seine Begrüßungsworte kaum zu verstehen sind, so heiser wie er ist: "Vor drei Tagen hat mich eine Erkältung erwischt", entschuldigt er sich. Und schon schlagen die Fragen erbarmungslos auf ihn ein.

Ein Magazin interessiert sich ausschließlich für Tennis. Ein kroatisches Pendant zur "Bild" will von Becker eine Aussage zur Behauptung, dass das kroatische Tennis-Ass Goran Ivanisevic seine Frau mit einer kroatischen TV-Moderatorin betrogen hat. Und der Rest möchte etwas über den Einzug Beckers in die Welt des Pokers wissen.

Aus diesen Interessenkonflikten entsteht tatsächlich ein lebendiges Gespräch - wenngleich Becker zur angeblichen Affäre von Ivanisevic rein gar nichts zu erzählen weiß. Und so erzählt er eben von seiner lang gehegten Affinität für Karten: "Poker und Kartenspiele habe ich schon viele Jahre gespielt. Als Tennisprofi bist du ständig auf Reisen. Und bei den großen Turnieren gibt es endlose Wartezeit. Meistens haben wir aber Five Card Draw und Whist gespielt. Das war noch bevor Poker die Welt eroberte."

"Ich schmeiße nicht den Computer um"

Gute Überleitung. Denn als aktiver Tennisspieler hattest Du ziemlich viel Temperament. Wie reagierst du denn beim Poker auf einen schlimmen "bad beat"?

"Klar kann ich schon mal wütend werden. Ich möchte halt, wie jeder Andere auch, gewinnen. Es schmerzt rauszufliegen. Besonders dann natürlich, wenn man in einer Hand alles richtig gemacht hat. Aber so ist es nun mal beim Poker. Und oft genug ist es auch im Leben so. Wenn ich dann wütend werde, schmeiße ich aber nicht gleich den Computer um. Ich respektiere das Spiel - und ich respektiere meine Gegner."

Und weil sich Poker und das Leben im Spiegel der Wut gar nicht so gewaltig unterscheiden, sinniert Becker noch schnell übers Glück und darüber, dass dieser Begriff nicht allein dem Poker vorbehalten ist: "Auch beim Tennis braucht man Glück, wie bei jedem Elitesport. Beim Tennis zeigt sich das Glück bei einem Netzroller zum Breakpoint, beim Schlag, der hinter der Linie landet oder bei einem Fehlurteil des Schiedsrichters."

Eine Droge mit Power

Beckers Abschied vom Profitennis liegt mittlerweile fast zehn Jahre zurück. Wie viele einstige Elitesportler brauchte auch er eine Weile, bevor er sich an das Leben jenseits der Sportarenen gewöhnt hatte: "Es fiel mir nicht schwer, meine Karriere zu beenden. Ich brauchte jedoch zwei bis drei Jahre, bevor ich mich an mein neues Leben gewöhnt hatte. Es waren nicht die sechs Stunden täglichen Trainings oder die langen Reisen und Wartezeiten, die ich vermisste."

Und weiter: "Weit gefehlt. Was mir fehlte war die unmittelbare Belohnung, die man als Tennisspieler bekommt; eine Reaktion des Publikums, wenn man in einer entscheidenden Situation gut spielt; das Gefühl, ein großes Turnier oder ein gutes Spiel gewonnen zu haben; 25.000 Zuschauer, die sich erheben, um dir zuzujubeln. Das ist eine Droge mit unglaublicher Power. Unmöglich, dies zu beschreiben."

Heute ist der 42-Jährige vor allem Geschäftsmann. Einer, der keinerlei Zweifel hinterlässt, wie sehr er dem Pokerspiel verfallen ist: "Ich spiele so viel wie möglich. Wie alle Anderen spiele ich viel im Internet. Denn nach fünf, sechs Stunden Arbeit will ich etwas Spaß haben. Und das ist Poker. Ich würde gerne noch mehr spielen, als ich es jetzt schon tue. Leider findet sich nur kaum die Zeit dafür", klagt Becker.

Nur nicht peinlich auffallen

Denn was seinen Auftritt in der Welt des Poker angeht, hat er sich konkrete Ziele gesteckt: "Anfangs ging es mir nur darum, nicht peinlich aufzufallen. Bei meinem ersten EPT wollte ich mich vor allem nicht lächerlich machen. Danach wollte ich so gut spielen, dass mich die anderen Spieler respektieren. Und ich glaube, genau dort bin ich jetzt angekommen. Das letzte Ziel ist natürlich richtig gut zu werden, ein Topspieler. Ich weiß, dass ich damit viel verlange. Es ist ja nicht mal sicher, dass ich es je schaffen werde. Aber es macht Spaß, es zu versuchen", grinst Becker.

Trotz seiner vielen Reisen war Becker vor dem letzten WPT-Event noch nie in Las Vegas. Und obwohl er große Lust verspürt, die World Series of Poker (WSOP) zu spielen, steht ihm zur Verwirklichung dieses Traums ein stets wiederkehrendes Ereignis im Weg; ein Event, mit dem Poker dann eben doch nicht mithalten kann: Wimbledon.

"Jedes Jahr berichte ich aus Wimbledon, und ich liebe es. Ich muss es machen, und ich will, mir zu Liebe. Nach Wimbledon werde ich dann aber nach Las Vegas fahren. Ich freue mich schon sehr darauf. Denn ich habe das Gefühl das die WSOP etwas ganz Besonderes ist - es ist das Wimbledon des Poker. Und das ist selbstverständlich etwas, das ich erleben muss", findet Becker. Ein gutes Schlusswort, finden wir.