Ballspielverein Bescheidenheit

Von Max-Jacob Ost
Will sich partout nicht feiern lassen: Jürgen Raab definiert Demut neu.
© Getty

Die Borussia holt sich an der Tabellenspitze einen Sonnenbrand und Schalke steht so weit unten, dass der Marianengraben zum Greifen nahe scheint. Doch wer jetzt mit hämischen Höhenflügen in den Dortmunder Blogs rechnet hat sich getäuscht.

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Es ist schon erstaunlich wie sich Borussia Dortmund in den letzten Jahren gewandelt hat. Vom Jürgen Drews der Liga (verlacht, verspottet,  Erfolge nur in der Vergangenheit) zu einer Art Chuck Norris Deutschlands. Nicht Du magst den BVB urplötzlich, sondern der BVB erlaubt es Dir, ihn zu mögen. Während in direkter Nachbarschaft so etwas wie eine Betty Ford Klinik aufgebaut wurde (abgehalfterte Millionäre suchen nach der Wende durch fußballästhetische Askese), hat man sich in Dortmund einfach den Stefan Raab der Trainer geschnappt und geduldig gewartet. Denn was Kloppo anfasst, wird zu Gold.

Eigentlich Grund genug für die Bienenmänner und -frauen unter den Fußballfans, sich mal so richtig genüsslich auf die Schenkel zu klopfen und den Finger in Richtung eines königstigerblauen Nachbarns auszustrecken. Aber auch das gehört anscheinend zum "neuen" BVB - man ist dort bescheiden geworden. Was vor einigen Jahren noch hieß "Wir kaufen uns nicht Amoroso UND Zidane, sondern nur Amoroso!", bedeutet heute "wir genießen das, aber erinnern uns auch an Thomas Doll".

Für satirische Formate ist diese Entwicklung eindeutig ein Verlust. Hoffen wir also alle, dass wenigstens Schalke sich treu bleibt... oder dass zumindest Thomas Doll beim 1.FC Köln Trainer wird.

 

Bayern - Cluj: Erschreckend schwach

"Die Bilanz in der Champions League ist nicht zu kritisieren, die Art und Weise des gestrigen Auftritts vergessen wir besser. Doch lässt die Leistung gegen Hannover und auch gestern gegen Cluj für Freitag Schlimmes befürchten. Wenn man sich nicht deutlich steigert, sind drei Punkte gegen den HSV reine Illusion. Nach gestern Abend würde ich nicht auf mehr den FC Bayern tippen. Das ist um so ärgerlicher, weil es sicher nicht an der individuellen Klasse der momentanen A-Elf liegt. Die Mannschaft muss füreinander laufen und arbeiten. Wenn diese Bereitschaft fehlt, hat man in Hamburg am Freitagabend nichts zu bestellen."

Fernglas FCB: Gastgeschenke

 

BVB: Aus dem Vorzimmer der Pathologie an die Tabellenspitze

"Wir kommen aus dem Vorzimmer der Pathologie und haben am 14.März 2005 in der Event-Terminalhalle E des Düsseldorfer Flughafens schon die rote Asche der Kreisligasportplätze gesehen. Wir wissen also, wo wir herkommen und dass es im Fanleben nicht nur gute Tage gibt - eine Erfahrung, die die 80er und 90er Jahrgänge vorher überhaupt nicht machen konnten - und schauen jetzt einfach mit großer Freude von Spiel zu Spiel. Wer unten war, kann oben umso besser einschätzen. Wir brauchen nicht über Titel reden, wir wissen, was wir an Borussia haben, in guten und in schlechten Zeiten. Und aktuell weiß Borussia auch wieder, was sie an uns hat. Auch das war vor gar nicht allzu langer Zeit anders.

Die Tabellenführerkarawane wird irgendwann weiterziehen. Die Schreiber werden wie Heuschrecken über einen anderen Verein herfallen, das Konzept auf Routiniers zu setzen, wird das alleingültige Konzept für die nächsten Jahre sein. Wir aber werden weiter ins Westfalenstadion gehen und uns an dem wunderbaren Fußball erfreuen und uns auf allen vier Tribünen gegenseitig hochputschen. Es gab schon einmal schlechtere Zeiten, Borussia-Fan zu sein."

Schwatzgelb: Lass uns nicht vom Titel reden

 

Feinde wie früher

"Die zwei Stunden vergingen wie im Flug bei nettem Gespräch über die alten Zeiten, die Schande von Genua und die alten Schlachten. Kaum zu erwähnen brauche ich sicherlich, dass uns eine Menge argwöhnischer Blicke verfolgten, als wir uns auf dem Bahnhof Brignole umarmten, Telefonnummern austauschten und uns versicherten, demnächst unbedingt gemeinsam mal ein Bier trinken zu gehen. Ein Capo der Fiorentina, ein Capo der Samp und ein in gedeckten Farben reisender Milanista.

Ohne die Antiterror-Gesetze gegen die italienische Ultrà-Bewegung wäre sowas im Leben nicht möglich gewesen. Gänsehaut, aufgestellte Nackenhaare, ein fester Blick in die Augen, eine Umarmung und dann wieder "nemici come prima", Feinde wie früher."

Altravita: Ein ganz normaler Spieltag

 

Freunde wie früher

"Wie vermutlich fast alle Fußballfans mag auch ich die große Kunst, die magischen Momente, schnelle Ballstafetten, Wunder der Athletik, an die unsereins als Nichtleistungssportler niemals herankommen wird und all diese "Woah!"-Momente. Aber Fußball ist nicht nur das, er ist auch Dreck und wohldosierte Boshaftigkeit, Provokation und Gegenreaktion. Das Problem dabei ist, zugegebenermaßen, die Grenze, das Maß. Die Verletzung eines Gegenspielers zu beabsichtigen oder leichtfertig in Kauf zu nehmen ist eine Überschreitung der Grenze, die Balance zwischen Theater und Sport muß stimmen. Wenn letzteres nicht stimmt, verdienen sich Spieler Beinamen wie "Heulsuse" oder "Schwalbenfrettchen" und das völlig zu Recht.

Wenn sich allerdings zwei Spieler, die in einem Spiel zu den besten Akteuren auf dem Platz gehören, ein kleines Scharmützel liefern, wie es Lukas Podolski und Nuri Şahin am Freitag taten (und im Fall des Letzteren ist damit nicht sein Zufallstreffer in der 91. Minute gemeint, sondern seine Reaktion darauf), so gibt es da aus meiner Sicht keinerlei Platz für Empörung. Wir erwarten von den Spielern, dass sie neunzig Minuten mit ganzer Leidenschaft und vollem Einsatz spielen, und so lange sie oben genannte Grenzen einhalten, die Regeln nicht verletzen und die Balance wahren, ist jedes Mittel erlaubt. Alles andere ist Kokolores."

Spielbeobachter: Kein Grund für Empörung

 

Systematisch den Systemfußball aushebeln

"Der Erfolg Spaniens bei der Fußball-WM war mit Sicherheit der Höhepunkt des Systemfußballs. Ein Höhepunkt bedeutet aber auch, dass es danach bergab geht - und genau dies passiert im Moment. Die starre Durchführung einer Taktik hat nämlich auch gravierende Nachteile, die in den letzten zwei Jahren immer sichtbarer wurden. Fußballtaktik funktioniert ähnlich wie ein Schere-Stein-Papier-Prinzip, wenn auch nicht ganz so extrem. Für jede taktische Idee gibt es ein taktisches Gegenkonzept. Wenn der Gegner beispielsweise immer wieder zentral zwischen die Abwehrreihen stößt, fällt ein Verteidiger zwischen diese Reihen und die Mannschaft spielt statt 4-4-x ein 4-1-x System.

Um Taktiken des Gegners kontern zu können, betreiben Mannschaften aufwendig Scouting. Neue technische Möglichkeiten sorgen dafür, dass gute Scouting-Abteilungen schon vor dem Spiel alles über den Gegner wissen. In Zeiten der Analyse von Laufwegen mithilfe von Wärmebildkamera gibt es kaum taktische Geheimnisse mehr. Heutzutage haben die Trainer Zugriff auf riesige Datenmengen. Hat es früher teilweise Jahre gedauert, bis man wusste, wie man gegen bestimmte Gegner zu spielen hat, ist dieses Wissen heute viel schneller verfügbar."

Taktikguru: Das Ende der Konzepte

 

Fans: Keine Kunden sondern Lamas... oder so ähnlich

"Wir als Fans sind wenig bis gar nicht in die Planung der Mannschaft involviert und wer sich durch Internetforen wühlt kann nur sagen: Zum Glück. Trotzdem sind wir ja als Fans - und das ist was, was Dietmar Hopp in 100 Jahren nicht begreifen wird - keine Kunden, sondern Menschen, die sich um den Verein sorgen und engagieren. Was man als Fan machen kann, ist dafür zu sorgen, dass der Ballspielverein von der Außenwelt als besonders wahrgenommen wird.

Sei es schlicht durch die Tatsache, dass man ins Stadion fährt, um durch Masse zu beeindrucken, durch Choreos oder andere Aktionen."

Hamburg Schwarz-Gelb: Der Dalai Lama in schwarzgelb

 

Was man außerdem unbedingt lesen sollte

Zur Nachahmung empfohlen: Das wunderbare Mitgliederversammlungs-Bingo des Leuchtturms aus Saarbrücken. Nicht zur Nachahmung empfohlen: Der Slogan der EM 2012 - sinnvoll kommentiert vom Trainer Baade. Zum Einrahmen empfohlen: Der lange Blogartikel des Kollegen Jens Weinreich zur Korruptionsaffäre der FIFA. Und als Denkanstoß für die Woche: Ein Artikel des Rotebrausebloggers über die überfällige Regionalligareform.

 

Die nächste Blogschau erscheint wie gewohnt am nächsten Mittwoch, den 27. Oktober. Alle früheren Ausgaben finden Sie im Blogschau-Archiv oder unter https://www.spox.com/blogschau

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