Züricher Hotelzimmer statt Maracana

Von Micha Schneider
Alexander Merkel und die Serie-A: Durchgesetzt hat er sich weder bei Milan, noch beim FC Genua.
© getty

Beim AC Milan gewann er als junger Bursche mit Inzaghi und Seedorf den Scudetto und zockte mit Pato auf der Playstation. Am Samstag feierte der einst vom DFB umworbene Alexander Merkel sein Debüt für die Nationalelf Kasachstans. Nach einem Horror-Jahr in Zürich will der 23-Jährige bei Udine nun seinen Kritikern beweisen, dass er das Format für einen Serie-A-Spieler hat. Gegen Lazio (So, 18 Uhr im LIVESTREAM FOR FREE) könnte er die nächste Gelegenheit bekommen.

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Zlatan Ibrahimovic schnippte ihm im Vorbeigehen neckisch über's Ohr und auch Robinho blieb damals hinter ihm stehen und zog Grimassen in die Kamera, vor der gerade Alexander Merkel italienischen Journalisten Rede und Antwort stand. Der damals 18 Jahre alte Blondschopf war im Konzert der ganz Großen angekommen. Schließlich stand er da nicht irgendwo, sondern in der Mixed-Zone des Mailänder Giuseppe-Meazza-Stadions.

Zuvor hatte er im Achtelfinale der Coppa Italia gegen den AS Bari mit einer Vorlage und seinem ersten Profitor ganz schön aufhorchen lassen. "Er ist ein guter Junge und wenn er so weiter macht, kann er ein sehr guter Spieler werden", urteilte Gennaro Gattuso nach Merkels Glanzleistung.

Als sich die deutsche Nationalmannschaft am 13. Juli 2014 im Maracana die Weltmeisterkrone aufsetzte, stand Alexander Merkel nicht wie von vielen prophezeit mit auf dem Feld. Längst waren Andere an ihm vorbeigezogen. Merkel befand sich stattdessen auf der Autobahn Richtung Zürich.

Am Tag nach dem WM-Finale unterschrieb er einen Leihvertrag bei den Grashoppers. Die letzten 20 Spielminuten des Spiels bekam er in seinem Hotelzimmer noch mit. Er sah, wie sein ehemaliger Mannschaftskamerad in der deutschen U15, Mario Götze, Argentiniens Sergio Romero überwand und mit seinem Volley-Tor zum Nationalhelden aufstieg. "Ich habe es Mario sehr gegönnt. Er hat es sich ja auch erarbeitet. Von nichts kommt nichts. Götze ist ein toller Spieler. Es war ein schöner Moment für ihn und ganz Deutschland", sagte Merkel in einem Interview mit der Schweizer Website 20min.ch.

Debüt für die kasachische Nationalmannschaft

Für Merkel ist die deutsche Nationalmannschaft aber schon lange kein Thema mehr. Stattdessen gab er am vergangenen Samstag sein Debüt für die Nationalmannschaft seines Geburtslandes Kasachstan. Beim EM-Qualifikationsspiel gegen Island wurde er in der 46. Minute für Baurzhan Dzholchiev eingewechselt.

Zeiten ändern sich eben. "Natürlich hätte ich es mir auch anders gewünscht und würde jetzt bei einem Topklub in der Champions League spielen", so Merkel gegenüber der Bild. Stattdessen ging es über Milan und den FC Genua zu Udinese Calcio, wo er sich auch nicht dauerhaft durchsetzen konnte. Selbst bei seiner ersten Ausleihe in die zweite englische Liga zum FC Watford bekam Merkel nicht die erhoffte Spielzeit.

Die Unterschrift unter das Arbeitspapier in Zürich sollte noch einmal so etwas wie ein Neustart für ihn sein: "Alexander gehört zu den talentiertesten deutschen Nachwuchsspielern und es freut mich sehr, dass er für uns spielen wird", sagte Michael Skibbe Anfang der vergangenen Saison über die Leihgabe aus Udine. Zu sagen, die Episode bei den Grashoppers wäre unglücklich oder enttäuschend verlaufen, wäre allerdings untertrieben, denn sie endete für Merkel in einem sportlichen Desaster.

"Wurde vom ersten Tag an ausgegrenzt"

Seit dem 18. Spieltag tauchte der Name Merkel nicht einmal mehr im Kader der Züricher auf. Der damalige Sportchef Axel Thoma äußerte im Gespräch mit Merkel-Berater Arthur Beck sogar Zweifel an dessen Super-League-Tauglichkeit und unterstellte ihm mangelnde Einstellung im Training, wie Merkel in einem Interview mit sport.ch zu Protokoll gab.

Der witterte dagegen einen Komplott: "Seit Axel Thoma gekommen ist, habe ich nicht mehr gespielt. Ich wurde vom ersten Tag an ausgegrenzt. Ich habe immer alles gegeben und habe auch nichts angestellt. Sogar ein Bundesliga-Trainer, der mal beim Training zugeschaut hat, fragte sich, wieso ich keine Chance bekomme", sagte Merkel.

Ob es nun sportliche oder andere Gründe hatte, warum Merkel bei den Grashopper komplett auf dem Abstellgleis gelandet ist und nicht mehr zum Zug kam, darüber kann freilich nur spekuliert werden. Gerüchte, dass ihm das Nachtleben ganz gut gefalle, gibt es nicht erst seit seiner Zeit in der Schweiz.

Die Nachteulen-Vorwürfe wies Merkel allerdings entschieden zurück: "Ich wüsste gerne, wer so etwas sagt. Ich bin keiner, der viel unterwegs ist, das kann jeder in der Mannschaft bestätigen. Wenn die Leute so einen Schwachsinn erzählen, sollen sie es tun. Ich kenne die Wahrheit", so Merkel.

Letzte Chance Udine?

Die Wahrheit ist aber auch, dass Merkel in keiner seiner Stationen mehr als 19 Spiele absolviert hat - eher deutlich weniger. Und oft macht er dafür eben auch äußere Umstände verantwortlich: So war das nicht erst in Zürich, sondern auch schon bei seinem ersten Engagement bei Udine ("Ich weiß bis heute nicht, warum ich nicht zum Einsatz kam") und so ist es auch, wenn er rückblickend über seine Stationen spricht. "Ich habe nicht überall eine faire Chance bekommen. Vielleicht war ich auch nicht gut genug. Aber das glaube ich nicht. Ich glaube, ich bin ein guter Spieler", so Merkel gegenüber Sport Bild.

Dass er ein Spieler mit Serie-A-Format ist, hat er trotz zahlreicher Gelegenheiten noch nicht dauerhaft nachgewiesen. Jetzt ist er zurück in seiner zweiten Heimat Italien, bei Udinese Calcio, wo er noch einen Vertrag bis 2017 besitzt. Und will Merkel nicht noch weiter von der Bildfläche verschwinden, sollte er diese Chance nach seinem missglückten Jahr in der Schweiz tunlichst nutzen, zumal die Liste an Interessenten derzeit ziemlich klein sein dürfte.

"Andere wurden in meinem Alter überhaupt erst Profi. Aber reden kann man viel, ich muss es jetzt zeigen", scheint Merkel den Ernst der Lage erkannt zu haben. Gegen Palermo durfte er dies immerhin für 58 Minuten zeigen, bevor er ausgewechselt wurde. Gegen Lazio (So, 18 Uhr im LIVESTREAM FOR FREE) könnte er von Trainer Stefano Colantuono nun nochmal eine Chance bekommen. Viele wird er vermutlich nicht mehr bekommen.

Alexander Merkel im Steckbrief

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