Schlaflose Nächte im Olympischen Dorf

Von Jonas Reckermann
Wie feiert man Olympisches Gold? Auf der Horse Guards Parade in London ging das so
© Getty

Jonas Reckermann beehrt SPOX mit seinem ersten Post-Olympiagold-Blog. Der Beachvolleyball-Olympiasieger über die kurzen Nächte im Olympischen Dorf, den Olympia-Virus der Briten und deutsche Sportförderung.

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Hallo zusammen!

Viel, viel Zeit ist vergangen seit dem letzten Blogbeitrag und in der Zwischenzeit hat sich ehrlich gesagt so einiges getan: Köln spielt in der zweiten Liga, Angela Merkel ist wieder beliebt(er) und wir haben doch noch so etwas wie Sommer abbekommen!

Im Ernst: Die Olympischen Spiele in London waren natürlich DAS Sportereignis mit einer Vielzahl an Eindrücken, Emotionen und Erlebnissen. Ich habe es ja bisher immer so gehalten, dass ich in meinem Blog nicht auf Spiele, Resultate oder Turniererfolge eingehe und möchte das auch in diesem Fall so beibehalten. Zum einen weil bereits von diversen Medien jeder sportliche Blickwinkel beleuchtet wurde und zum anderen weil mir das Aufschreiben von Randnotizen reizvoller erscheint.

Danke fürs Mitfiebern

Dennoch möchte ich mich kurz bei all den Gratulanten, Mitfiebernden und Fans bedanken die uns die Daumen gedrückt und mit dazu beigetragen haben, dass unsere schöne Sportart (hoffentlich dauerhaft) die Aufmerksamkeit erfährt, die sie verdient und natürlich auch dass Julius und ich unfassbar schöne Momente erleben konnten und immer noch erleben!

Nun aber zum eigentlichen Text: Vor Beginn der Spiele hatte ich noch ein etwas mulmiges Gefühl bezüglich der zu erwartenden Stimmung, denn wenige Wochen vor dem Entzünden der Flamme im Olympiastadion machte die Information die Runde, dass die für die Sicherheit zuständige Firma festgestellt hat, dass sie nur knapp die Hälfte der benötigten Mitarbeiter anwerben und einstellen konnte. Kurzfristig sollten daher tausende zusätzliche Soldaten für die Absicherung der Wettkampfstätten eingesetzt werden.

Meine aus Kriegsdienstverweigerungszeiten geprägten und selbstverständlich unqualifizierten Vorbehalte gegenüber den abkommandierten Soldaten erwiesen sich aber sehr schnell als unbegründet. Nicht nur die tausenden hilfsbereiten Volunteers verströmten eine positiv-freundliche Atmosphäre, sondern auch das militärische Sicherheitspersonal zeigte sich überhaupt nicht als lediglich befehlsausführendes Organ, sondern fügte sich nahtlos in die sportbegeisterte und extrem gastfreundliche Grundstimmung ein.

Olympiavirus: Einzigartige Atmosphäre in London

Zwar habe ich nur den Vergleich zu den Olympischen Spielen 2004 in Athen, doch während man damals den Eindruck hatte, dass die meisten Griechen das größte Sportereignis der Welt ähnlich ernst nahmen wie die Stabilität ihrer Staatsfinanzen, schien es als wären alle Menschen in und um London vom Olympiavirus befallen und sorgten für eine einzigartige Atmosphäre.

Egal ob ein Schwimmfinale, die erste Runde im Fechten, 100m-Sprint, Mauritius gegen Spanien im Beachvolleyball oder ein Vorkampf bei den Sportschützen auf dem Programm stand: Die Veranstaltungen waren ausverkauft, die Sportler wurden mit maximalem Respekt empfangen und großartige Leistungen wurden mit mindestens ebensolcher Begeisterung honoriert!

Und auch unter den Athleten aus aller Herren Länder im Olympischen Dorf breitete sich schnell eine sehr angenehme Stimmung aus: War man beim erstmaligen Betreten des Dorfes noch aufgeregt wie beim Antrittsbesuch bei den Schwiegereltern, so machte sich bald Entspannung breit und hierzu trugen sicherlich auch einige der Prinzipien von Olympischen Spielen bei: Wohnen in relativ karg eingerichteten 8er-Apartments, einfaches aber vielfältiges Essen in der Riesenmensa sowie das Fehlen jeglicher Sonderbehandlungen.

Karges 8er-Apartment? Verlockend!

Was (zumindest aus mitteleuropäischer Sicht) als dauerhaftes Staatssystem als gescheitert gilt, funktioniert auf sportlicher Ebene zumindest für den überschaubaren Zeitraum von zwei bis drei Wochen hervorragend und ist sogar verlockend: Gleiche unter Gleichen leben (fast) ohne Privatbesitz in einfachen Verhältnissen - aber Niemand muss hungern!!

Man könnte meinen, dass hochbezahlte Sportler, denen normalerweise jeder Wunsch von den Lippen abgelesen wird, keine Lust verspüren ihre Privilegien aufzugeben, gerade wenn der womöglich wichtigste Wettkampf ihres Lebens ansteht. Doch eben diese Reduzierung auf das Wesentliche sowie das Zusammenleben und der Austausch mit Sportlern diverser Nationen und Disziplinen macht das Dorfleben so besonders und interessant!

Ich möchte jedoch auch nichts romantisch verklären: Zum einen gibt es auch im spartanischen Dorf McDonalds, Cafés und auch die Wäsche müssen die Sportler nicht selbst waschen. Zum anderen hat das "einfache" Leben auch negative Seiten.

Kurze Nächte in der Partyzone

Unter rein sportlichen Gesichtspunkten ist es z.B. nicht ganz optimal, dass in den ersten Nächten aufgrund der Hitzeperiode auch Nachts noch Temperaturen von über 30 Grad in den Apartments herrschten (Klimaanlagen werden erst nach Abschluss der Paralympics installiert) und somit eine erholsame Nachtruhe beeinträchtigt wurde.

Zudem war aufgrund der extrem unterschiedlichen Spielzeiten (wir kamen teilweise erst um 2 Uhr vom Turniergelände zurück und wurden dann noch ausbehandelt, die ersten verließen das Dorf um 6 Uhr morgens) praktisch zu jeder Tages- und Nachtzeit im doch recht hellhörigen 8er-Appartment Betrieb. Es herrschte ein ständiges Kommen und Gehen, so dass die zufälligen Momente der Ruhe recht dünn gesät waren.

Auch verkommen Olympische Dörfer in der zweiten Hälfte der Spiele mehr und mehr zur Freizeit- und Partyzonen, in denen es nicht immer einfach ist, die perfekte Balance zwischen dem Hochhalten der Spannung und der gewollten Kopfregeneration zu finden.

Sportförderung: Ganz toll oder überflüssig?

Zum Abschluss der olympischen Nachbetrachtung vielleicht noch ein paar Worte zu Dingen, die sich nicht auf die sportliche Leistung selbst, sondern mehr auf die Begleitumstände des sportlichen (Miss)Erfolgs beziehen. Viel wurde ja in den vergangenen Wochen über die Sportförderung in Deutschland diskutiert. Die einen halten diese für nicht mehr zeitgemäß, andere finden sie ganz toll und dann gibt es noch diejenigen, die sie für völlig überflüssig halten.

Zweifelsfrei gibt es Argumente für jede dieser Ansichten und auch ich habe hier meine Meinung, die sich irgendwo zwischen den beiden ersten Varianten bewegt: Ich finde viele Dinge gut an der deutschen Sportförderung, z.B. den Umstand, dass es neben der staatlichen Förderung und dem DOSB auch die Säule "Deutsche Sporthilfe" gibt, die zusammen mit ihren Partnern sehr zielgerichtet ihre Mittel einsetzt.

Natürlich ist nicht alles super, die Bereitstellung und Verwendung der Mittel der erstgenannten Förderer sind beispielsweise recht schwer zu durchschauen. In unserem Fall wird dies noch erschwert durch die Aufgabe unseres Verbandes, zwei unterschiedliche Sportarten (Halle und Beach) mit den nicht gerade üppigen Eigen- sowie den angesprochenen Drittmitteln zu fördern. Insgesamt finde ich die Diskussion durchaus legitim und wichtig, ob die vorhandenen Mittel - nicht nur im Volleyball - gerecht, sinnvoll und maximal erfolgsversprechend eingesetzt werden.

Geld legt Potenziale frei

In vielen Ländern ist Sportförderung eine mehr oder weniger rein staatliche Angelegenheit. Mit Steuergeldern werden riesige Budgets freigegeben und sowohl in der Breite wie in der Tiefe eingesetzt. Natürlich schlägt sich dies unter anderem auch im Medaillenspiegel nieder. Geld schießt oder wirft zwar immer noch keine Tore, kann aber doch dafür sorgen, dass Potentiale freigelegt und ausgeschöpft werden.

Ganz nebenbei: Ich persönlich halte den Aufbau des Medaillenspiegels für absurd und man braucht sich auch nicht zu wundern, dass in der Öffentlichkeit nur noch der Sieg zählt und einer Silbermedaille oftmals der Makel des ersten Verlierers anhaftet, wenn ein Land mit einer gewonnen Goldmedaille im Medaillenspiegel vor Ländern mit diversen Silber- und Bronzemedaillen geführt wird.

Steuergelder für mehr Gold?

Aber wie auch immer der Medaillenspiegel errechnet wird, interessant und entscheidend ist meiner Meinung nach die Beantwortung der Frage, ob die deutsche Bevölkerung überhaupt bereit wäre, den zukünftigen Erfolg deutscher Athleten und eine bessere Platzierung im Medaillenspiegel mitzufinanzieren.

Natürlich muss zu allererst geschaut werden, wie die bisherigen, nicht unbeträchtlichen, zur Verfügung stehenden Mittel am effizientesten eingesetzt werden können. Darüber hinaus könnte jedoch eine signifikante Erhöhung der Fördersummen wohl nur durch mehr Bundesmittel und damit Steuergelder erzielt werden.

Da auch Deutschland kein Geld zu verschenken hat, müsste man vielleicht wirklich die Meinung der deutschen Bevölkerung einholen, ob deren sportliche Begeisterung und der Wunsch nach deutschen Sporterfolgen so groß sind, dass hierfür mehr Steuergelder in die Hand genommen werden oder an anderer Stelle gekürzt werden sollte.

No Beachvolleyball im Urlaub

Es sei noch kurz angemerkt, dass selbstverständlich auch der Breitensport eine bedeutende Rolle innerhalb der deutschen Sportlandschaft einnimmt, dessen Thematisierung an dieser Stelle aber den ohnehin schon unübersichtlichen Rahmen gesprengt hätte...

Ich beschließe diesen recht langen Blogeintrag mit dem üblichen Photo des Tages, diesmal frisch aus dem Erholungsurlaub. Mit Beachvolleyball habe ich mich hier nur kurz für dieses Photo beschäftigt, doch zeigt dieses zweierlei: Erstens kann man diesen schönen Sport immer und überall spielen und zweitens besteht dringender Bedarf, mehr Spielfelder zu bauen - notfalls auch mit Steuergeldern ;)

Euer Jonas

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