Der lange Weg zur Emanzipation

Roger Federer und Stan Wawrinka machen sich am Donnerstag den ersten Platz im Australian-Open-Finale aus
© getty

Die Zeiten, als er Tipps des großen Roger Federer benötigt hatte, sind vorbei: Stan Wawrinka hat sich aus dem Schatten des "Maestros" gelöst und im Melbourne-Halbfinale alle Chancen.

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Stan Wawrinka hieß noch Stanislas Wawrinka, als er in jungen Jahren einen offiziellen Trainer namens Dimitri Zavialoff hatte. Und gleichzeitig einen Tennis-Einflüsterer besaß, der ihm die kostbaren Extratipps als Neuling im Wanderzirkus gab, der ihm kleinere und größere Geheimnisse verriet. Roger Federer hieß dieser unerklärte Nebencoach, er war einerseits der Mann, der einen überlebensgroßen Schatten auf Wawrinka warf - und doch auch sein wichtigster Unterstützer war, der Mann für viele auftretende Rätsel und Fragestellungen. "Es hat mir einfach Freude gemacht, ihm zu helfen", sagt Federer heute, "und er war jemand, der diese Tipps sofort in die Praxis umzusetzen wusste. Er war ein großer und schneller Lerner."

Der diskrete Lehrmeister und der grüne, gelehrige Lehrling - das war einmal. Sicher, Federers Popularität sprengt zwar gerade alle Grenzen, der Basler "Maestro" ist vielleicht in der Gegenwart der universellste Sportstar überhaupt und noch dazu im Tennis der umjubelte Comebacker. Aber sportlich begegnen sich der oft hymnisch bejubelte Federer und der ewige Schattenmann Wawrinka inzwischen auf Augenhöhe. Am Donnerstagabend, Melbourne-Zeit, kämpfen sie in einem aktuell unvermuteten schweizerischen Duell um den Einzug ins Finale der Australian Open 2017 - und rein von der sportlichen Hierarchie her haben sich die Verhältnisse sogar umgekehrt, Wawrinka ist die Nummer vier der Welt, Federer nach langer Verletzungspause in der Vorsaison die Nummer 17. Und Wawrinka ist der Mann, der in den letzten drei Spielzeiten jeweils einen "Major"-Titel gewann, auch in Melbourne 2014. Federer dagegen jagt seit dem Triumph auf Wimbledons Rasen im Jahr 2012 vergeblich seinem Traum nach, einem weiteren Grand-Slam-Coup in seinen sehr späten Profijahren.

Lange Beißhemmung gegen Aufbauhelfer Federer

Doch nach all diesen Jahren eines komplizierten Beziehungsgeflechts stehen sie in Melbourne beide auf null - oder besser: auf 100, beide in Topform. Was vorher war, zählt nicht viel, beide scheinen sie sich gegenseitig die Stirn bieten zu können. Federer, der magische Rückkehrer, der eine wahre Renaissance seiner Klasse und Kräfte erlebt. Und Wawrinka, der unabhängigere, emanzipierte Weggefährte, nun fast schon typisch stark bei den Grand Slams, einer, der inzwischen nichts mehr liebt, als eine Leistungsschau auf größer Bühne zu betreiben. "Mir macht es Spaß, diese hitzigen Momente zu erleben. Die Duelle gegen die besten Gegner", sagt der 31-Jährige aus der Romandie.

Es war, wie Wawrinka selbst weiß, auch schon mal ganz anders. Und es wurde dann noch einmal anders - auch wegen Federer. Der nämlich war über viele Jahre eine Art Aufbauhelfer für den sensiblen Wawrinka, der nicht den unbedingten, felsenfesten Glauben an den großen Durchbruch in die Weltspitze hatte. Auch seinen ersten bedeutenden Sieg feierte Wawrinka an Federers Seite, das war bei den Olympischen Spielen 2008 in Peking, bei der vergoldeten Olympia-Mission. Seine Beißhemmung gerade gegen Federer konnte der bullige Athlet mit dem enormen Punch lange Zeit nicht überwinden, erst mit dem Viertelfinal-Sieg bei den French Open 2015 hatte er den Über-Vater des Schweizer Tennis einmal am Boden, den eigenen Karriereunterstützer.

Federer: "Stan hat eine ganz andere Statur gewonnen"

Es war ohnehin die Saison, in der einige bis dahin undenkbare Dinge geschahen: Bei der WM in London sorgte das sogenannte Mirka-Gate für Aufregung, damals hatte Federers Frau den Gegner Wawrinka als "Heulsuse" gescholten, weil der sich bei seiner Niederlage über permanente Zwischenrufe aus der gegnerischen Box beschwert hatte. Trotz dieser undiplomatischen, aufsehenerregenden Verwicklungen zwischen den Häusern Federer und Wawrinka waren alle nur eine Woche später wieder ein Herz und eine Seele - beim historischen Davis-Cup-Sieg in Frankreich, dem vielleicht schönsten gemeinsamen Moment in den Karrieren der beiden Schweizer Stars.

Die Kräfteverhältnisse sind andere geworden in jüngster Vergangenheit, keine Frage. Wawrinka, der gefühlt ewige Zweite, hat schwer aufgeholt gegen Federer, er war ja auch der, der den größten Anteil am Sieg im Mannschaftswettbewerb im Dezember des vorvergangenen Jahres hatte. Die andere Machtbalance hat auch damit zu tun, dass Wawrinka inzwischen jene Stärke auszeichnet, die Federer schon immer besaß: In der entscheidenden Phase eines großen Turniers, auf der Bühne eines Grand-Slam-Centre Courts im Viertelfinale, Halbfinale oder Endspiel, sein bestes Tennis zu spielen. Das Schicksal in die eigenen Hände nehmen, agieren statt zu reagieren und damit in der Verlosung für die Top-Titel zu sein. "Er hat eine ganz andere Statur gewonnen", sagt Federer über Wawrinka, "ich freue mich, dass er jetzt sein Potenzial so richtig ausschöpft." Nur gegen ihn, gegen Federer selbst, müsse Wawrinka das eigentlich nicht noch mal zeigen, sagte der "Maestro" augenzwinkernd: "Es reicht jetzt."

Hier die Ergebnisse der Australian Open: Einzel, Doppel, Einzel-Qualifikation.

Hier der Spielplan.

Roger Federer im Steckbrief

Stan Wawrinka im Steckbrief

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