„Momentan fehlt mir bei Dominic Thiem im ganzen Puzzle kein Stein“

Günter Bresnik vor Beginn der neuen Saison im tennisnet.com-Exklusivinterview über Dominic Thiem und Dennis Novak.

von tennisnet.com
zuletzt bearbeitet: 31.12.2015, 10:16 Uhr

Dominic Thiem - Günter Bresnik - ATP-Tour

Günter Bresnik erlebt den Jahreswechsel diesmal im Flugzeug. Der österreichische Starcoach bricht zu Silvester nach Australien auf, um seine Schützlinge vor Ort zu betreuen: die 2015 so stark weiter aufgestiegene rot-weiß-rote Nummer eins Dominic Thiem (ATP 20), vor dem sich aktuell ja kein einziger jüngerer Spieler im ATP-Ranking befindet, den lettischen Ex-Top-Ten-VertreterErnests Gulbis(ATP 81) sowie in weiterer Folge Thiems Landsmann Dennis Novak (ATP 211). Wie die Vorbereitung von Thiem und Novak abgelaufen ist? Was denn von beiden in der neuen Saison zu erwarten ist? Und welcher äußerst renommierte Mann sich neuerdings dem „Team Thiem“ verschrieben hat? All das und noch vieles mehr erfahrt ihr im exklusiven tennisnet.com-Interview mit Bresnik.

Günter, im Vorjahr war Dominic in der Off-Season bekanntlich durch die Einberufung ins Bundesheer und Erkrankungen deutlich eingeschränkt. Ist die Vorbereitung diesmal besser abgelaufen?

Sie war empfindlich kürzer, aber dafür krankheits- und verletzungsfrei. Es ist ja grundsätzlich ein bisschen anders, wenn man ein Jahr auf Platz 20 beendet. Es hat lange gedauert, bis diese Saison vorbei war. Danach hatte Dominic kurz Zeit für Urlaub, hat zehn Tage lang mal nichts gemacht, dann intensiv trainiert: drei Wochen in Wien, zwei in Spanien(wie bereits 2014 auf Teneriffa; Anmerkung), weil er sonst wenig zuhause gewesen wäre.

Wie sehen deine Erkenntnisse aus?

Für mich ist der auffälligste Unterschied der, dass er seit Spanien einen Physiotherapeuten hat – den ich seit zwei Jahren frage und bei dem ich immer gehofft habe, dass er sich endlich mal bei mir meldet. Im Oktober hat er mich angerufen.

„Man hat einfach in der Vorbereitung gesehen, wenn ihn jemand am Abend zwei Stunden behandelt, dann hat das Training am nächsten Tag eine ganz andere Qualität.“

Günter Bresnik über die Verstärkung im „Team Thiem“ durch einen Physiotherapeuten

Um wen handelt es sich?

Alexander Stober, ein Deutscher. Er hat etwa solche Größen wiePete Sampras,Andre Agassi,Michael StichundNa Libetreut, zuletztPetra Kvitova. Ich kenne ihn schon seit 25 Jahren, für mich ist er einer der Besten. Noch dazu ist er deutschsprachig, was sicherlich auch ein Vorteil ist. Ich habe ihm „Domi“ vor Jahren vorgestellt, deshalb war kein langer Gewöhnungsprozess vonnöten, es hat gleich super funktioniert. Und man hat einfach in der Vorbereitung gesehen, wenn ihn jemand am Abend zwei Stunden behandelt, dann hat das Training am nächsten Tag eine ganz andere Qualität. Natürlich war er auch müde und ist nach zwei Wochen allmählich am Zahnfleisch gekrochen, aber es hatte alles Qualität.

Worauf sind im Training die Schwerpunkte gelegen? Auf den altbekannten Baustellen?

Das kann man gar nicht mehr als Baustelle bezeichnen. Dominic ist jetzt schon ziemlich fertig und ausgereift, auch was technische Dinge anbelangt – da sind sich fast alle Experten einig, es ist knapp an der Perfektion. Eine Technik dann zu erhalten, ist weitaus weniger schwer, als sie mal aufzubauen. Wir haben viel am Aufschlag, der Rückhand und auch am Volley gearbeitet, er muss das aber natürlich alles im Match üben, was auch dadurch passiert, dass er relativ viel Doppel spielt. Zudem hatten wir relativ hohe Umfänge an Returntraining. Das werden immer jene Sachen sein, die schwerpunktmäßig trainiert werden müssen, das wird auch die nächsten zehn Jahre so bleiben. In der Südstadt arbeiten wir noch mit Hans Holdhaus, der ein wirklich guter Mann ist(der stellvertretende Direktor des IMSB Austria, des Instituts für medizinische und sportwissenschaftliche Beratung; Anmerkung). Das ist auch logistisch eine ganz optimale Lösung: Er geht bei der Tür raus und ist bei uns auf dem Trainingsplatz. Er engagiert sich seit einem Jahr sehr, das hat sich über die letzten Monate hinweg intensiviert. Momentan fehlt mir bei Dominic im ganzen Puzzle kein Stein.

„Dominic ist jetzt schon ziemlich fertig und ausgereift, auch was technische Dinge anbelangt – da sind sich fast alle Experten einig, es ist knapp an der Perfektion.“

Günter Bresnik

Dann kann man sich von ihm ja gleich bei den ersten Saisonturnieren einiges erwarten, oder? Punktemäßig kann es zu Jahresbeginn 2016 sowieso nur besser laufen als 2015.

Ich glaube, er wird bei den ersten drei Turnieren gesetzt sein. Das ist sicher ein Vorteil – aber wenn man sich die Spieler anschaut, die nicht gesetzt sind, dann ist er auch wieder nicht allzu groß. ‚Domi’ bräuchte bestimmt gleich zu Jahresbeginn ein paar Matcherfolge. Wenn ihm die gelingen, dann könnte er mit einigen guten Erfolgen gleich massiv punkten und sich vielleicht ein Polster für den weiteren Saisonverlauf erspielen, aber man kann da nichts prognostizieren. Im Training spielt er wirklich gut, da hat alles, was er gemacht hat, Hand und Fuß gehabt. Das war immer so, aber mit zunehmendem Alter ist er noch professioneller geworden. Wo es dann hinführt, wird man eh sehen. Erwarten tue ich mir nix. Ich schaue mal, was passiert. Fest steht für mich nur, wenn er seine Leistungen aus dem Training konstanter in Turnieren liefert, muss sich das in guten Ergebnissen niederschlagen.

Wenn man sich Dominics Entwicklung ansieht: Es ging eigentlich immer nur aufwärts – von Jahr zu Jahr. Jetzt wird die Luft nach oben langsam dünn. Was setzt man sich denn da für Ziele? Die letzte Saison zu bestätigen und das Ranking zu halten? Oder weiterhin noch mehr bei den großen Turnieren zu erreichen?

Ich habe Dominic nie ein genaues Ranking-Ziel bis zum Jahresende gesetzt, und ich mache es auch weiterhin nicht. Aber natürlich will ich bei den größeren Turnieren mehr von ihm sehen. Es ist wichtig, dass er häufig gegen gute Gegner spielt und sich dadurch wieder um eine Spur verbessert. Er mag noch eine Zeit lang gegen fast unüberwindbare Hindernisse anlaufen, aber wenn er mit der Konsequenz und Ernsthaftigkeit weiterarbeitet, dann glaube ich, dass er noch weiter nach oben wandern wird.

„Ich weiß bei ihm nie, was seine offensichtliche Grenze ist oder was ihn mal abhalten sollte, auch mal einen ganz großen Erfolg zu schaffen. Vielleicht bin ich nach den vielen Jahren auch betriebsblind geworden, ich finde aber, wenn ihm alles aufgeht, ist er ein Spieler, dem alles möglich ist.“

Günter Bresnik über Dominic Thiem

Bis wohin?

Die Top 20 sind schon ein elitärer Kreis. Dann die Top Ten zu knacken, danach die Top Five, das spielt es alles nicht so einfach. Ich kann trotzdem bloß betonen: Ich weiß bei ihm nie, was seine offensichtliche Grenze ist oder was ihn mal abhalten sollte, auch mal einen ganz großen Erfolg zu schaffen. Vielleicht bin ich nach den vielen Jahren auch betriebsblind geworden, ich finde aber, wenn ihm alles aufgeht, ist er ein Spieler, dem alles möglich ist.

Siehst du ihn am Jahresende in den Top Ten?

Es ist bedeutungslos, wo ich ihn heute sehe. Wichtig ist, wo er im April, Mai, September oder am Jahresende steht. Zutrauen tue ich es ihm – da mache ich auch keinen Hehl daraus. Es sind bis dahin in der Zeit allerdings noch so viele Wenns und Abers. Es braucht ja nur irgendetwas Unvorhersehbares passieren. Ich würde sagen, wenn er Ende 2016 dann weiter vorne als jetzt ist, war es sicherlich wieder eine erfolgreiche Saison.

„Wenn er Ende 2016 dann weiter vorne als jetzt ist, war es sicherlich wieder eine erfolgreiche Saison.“

Günter Bresnik über Dominic Thiem

Eine Frage, die die Tennisfans im Lande sicher ganz besonders interessieren wird: Sind der Davis Cup in Portugal und die Generali Open in Kitzbühel bei Dominic eingeplant?

Ich werde es mir immer vorbehalten, die Entscheidungen zu vorgeschriebenen Terminen dann bekanntzugeben. Dominic und ich haben diesbezüglich schon Entscheidungen getroffen…

…, die du also noch nicht verraten willst, oder?

Alle österreichischen ATP-Turniere und der Davis Cup sind für ihn und mich stets ein Thema. Man muss manchmal nach sportlichen Überlegungen Entscheidungen treffen, welche man aus emotionaler Sicht nicht treffen würde. Manchmal muss man auch bestimmten Beweggründen Vorrang geben, manchmal macht man es umgekehrt. Wie wir uns entschieden haben, werden wir dann zu gegebener Zeit verraten.

Und wie sieht sein persönlicher Turnierplan nach Brisbane, Sydney und den Australian Open in Melbourne aus?

Er wird danach auf Sand nach Südamerika gehen: Buenos Aires, Rio de Janeiro – und danach Sao Paulo oder auf Hartplatz Acapulco, je nachdem, ob er im Davis Cup spielt oder nicht und welchen Belag Portugal auflegen wird.

„Ich traue ihm natürlich immer zu, dass er sich dort gleich für den Hauptbewerb qualifiziert.“

Günter Bresnik über die Aussichten von Dennis Novak bei den Australian Open

Dennis Novak ist mit Dominic am 25. Dezember mit nach Australien abgereist. Er spielt den ATP-Challenger in Happy Valley, dann bei den Australian Open seine erste Grand-Slam-Qualifikation. Das ist für ihn noch ziemliches Neuland. Du arbeitest mit ihm schon seit seinen frühen Teenager-Jahren zusammen: Wie gut, glaubst du, wird er mit all dem zurechtkommen? Und was kann man sich von seiner „Major“-Premiere erwarten?

Ich traue ihm natürlich immer zu, dass er sich dort gleich für den Hauptbewerb qualifiziert. Er hat heuer gegen Saisonende mehrere Top-100-Leute geschlagen und konstante Ergebnisse auf Challenger-Ebene gebracht, das halte ich bei ihm also für alles andere als ausgeschlossen. Ich weiß, wie gut er spielen kann. In Australien kann er nun auch mitDavid Goffintrainieren, das ist sicher gut für ihn. Trotzdem gibt’s einen Grund dafür, warum Dominic in den Top 20 steht und Dennis noch nicht.

Muss es sein Ziel sein, 2016 schon den Sprung auf die ATP-Tour zu schaffen?

Ein Tennisspieler, der das beruflich macht, muss davon leben können. Daher muss es auf kurz oder lang natürlich das Ziel sein, auf der ATP-Tour zu spielen, sonst ist es leider eine brotlose Kunst. Dennis wird den Abstand zu Dominic im kommenden Jahr weiter verringern, dabei bin ich mir sicher. Aber wie nahe er an die Top 100 herankommen wird, ist sehr schwer zu sagen, da kann im Laufe eines Jahres auch so viel passieren. Klar ist auf jeden Fall, dass sein Tennis wesentlich besser ist, als es sein derzeitiges Ranking aussagt.

„Dennis hat nicht nur spielerisch, sondern auch von seiner Reife her große Schritte vorwärts gemacht.“

Günter Bresnik

Die Vorbereitung ist bei ihm ebenfalls nach Wunsch verlaufen?

Die war super! Er war vier Wochen lang in Spanien. Dennis hat nicht nur spielerisch, sondern auch von seiner Reife her große Schritte vorwärts gemacht, wenn ich das letzte Jahr mit heuer vergleiche. Schön ist zudem, dass das nicht nur auf dem Tennisplatz der Fall ist, sondern auch außerhalb. Er ist eine reife Person geworden.

Das Gespräch führte Manuel Wachta.

von tennisnet.com

Donnerstag
31.12.2015, 10:16 Uhr