Mehr als nur eine Balldrescherin

Unsere Analyse erklärt, worin sich die Variabilität, die Spielübersicht und das Können der Weltranglisten-Ersten offenbart.

von tennisnet.com
zuletzt bearbeitet: 30.06.2013, 10:36 Uhr

Von Stefan Leyh

Von Serena Williams heißt es oft, ihr Spiel bestehe nur aus brachialen Schlägen mit wenig Spin und kaum taktischen Wechseln. Athletisch sei sie – ja. Und aggressiver Natur – ganz bestimmt. Aber ansonsten? Manch einem fällt noch ihr Aufschlag ein, den John McEnroe einmal als „das beste Service in der Geschichte des Damentennis“ bezeichnet hat. Das war es dann aber schon, was die meisten über sie zu sagen wissen. Dabei hat die US-Amerikanerin weitaus mehr Anerkennung verdient, als sie gemeinhin von der Öffentlichkeit bekommt. Nur wenige Schwächen hat ihr Spiel, dafür umso mehr Stärken.


Aufschlag

Technisch gesehen ist Serenas Aufschlag der beste auf der Damentour. Er bringt ihr viele freie Punkte bzw. kurze Returns, die sie attackieren kann. Ihr schnellster Aufschlag ist jener, den sie von der Einstandseite durch die Mitte spielt. Etwa 195 km/h werden diese Bälle schnell. Zweite Aufschläge spielt sie als Kick, entweder ebenfalls durch die Mitte oder in den Körper. Von der Vorteilsseite spielt sie als erstes Service den Slice durch die Mitte besonders gut, als zweiten Aufschlag den Kick nach außen. Sie wählt ihre Aufschläge auch taktisch clever. Liegt sie beispielsweise in einem Spiel 15:30 hinten und benötigt einen ersten Aufschlag, greift sie mitunter gleich zum Kick. Mit ihm bekommt sie Höhe und Kontrolle über den Ball.

Serenas Aufschlag – Von Kopf bis Fuß technisch makellos.


Return

Die Schwünge, die Serena beim Return macht, sind relativ groß. Geblockte oder unterschnittene Returns sieht man von ihr nahezu nie. Das macht den Körperaufschlag, sofern er mit Tempo gespielt ist, für ihre Gegnerinnen effektiv. Serena fehlt dann der Platz, um einen großen Schwung machen zu können. Ihre bessere Seite beim Return ist die Rückhand. Mit ihr kann sie selbst hohe Bälle druckvoll und lang zurückspielen. Die obere Hand am Schläger attestiert ihr dabei. Aus demselben Grund ist sie auch zu tollen Winkeln mit der Rückhand fähig. Zweite Aufschläge ihrer Gegnerinnen, die nicht an die Aufschlaglinie heranreichen, attackiert Serena gnadenlos. Oft ist das Ergebnis ein Returnwinner, da ihr der kurze Aufschlag ermöglicht, sich nach vorne zu bewegen und den Ball vor dem Körper zu treffen.


Vorhand

Wenn es einen Schlag im Spiel Serenas gibt, der unter Zeit- und Raumnot zuweilen abbauen kann, dann ist es die Vorhand. Sehr selten unterläuft ihr jedoch ein Vorhandfehler aus einer stationären Position. Wenn ihr Timing stimmt, kann sie den Punkt jederzeit mit zwei oder weniger Schlägen beenden. Einzig in ihrer Beinarbeit wird sie zuweilen etwas nachlässig. Dann unterlaufen ihr Fehler. Sie mag es, den Ball flach zu spielen, ist aber auch in der Lage, mit mehr Topspin zu agieren, etwa, um einen Winkel zu erzeugen. Über eine herausragende Koordination verfügt sie auch aus dem Lauf heraus. Sie versucht, die Geschwindigkeit des gegnerischen Schlages mitzunehmen, indem sie sich nach vorne in den Ball bewegt. Zu 99 Prozent spielt sie aus dem Lauf heraus cross-court. Das wirkt fehlerreduzierend.


Rückhand

Die Rückhand ist der Lieblingsschlag Serenas. Manchmal sieht man, wie sie bei etwas zentraleren Bällen nach rechts ausweicht, um eine Rückhand spielen zu können. Die meisten anderen Spielerinnen würden in diesem Fall dankend zur Vorhand ansetzen. Dass sich Serena anders entscheidet, beweist ihr Selbstvertrauen bei diesem Schlag. Technisch gesehen gibt es eine Besonderheit bei ihrer Rückhand. Sie spielt nahezu ausschließlich aus einem extrem offenen Stand. Andere Spielerinnen nutzen diesen Stand meist nur unter Zeitnot, wenn sie an den Platzrand gedrängt werden oder einen hohen Ball parieren müssen. Serena und ihre Schwester Venus haben aus der Ausnahme für sich die Norm gemacht. Die Vorteile: Mehr Power aufgrund größerer Schulterrotation, schnellere Platzabdeckung nach dem Schlag und verdecktere Schläge. Es ist nicht zu lesen, ob der Ball longline oder cross-court geht.

Die Rückhand – Gespielt aus einem extrem offenen Stand.


Offensivspiel

Serena antizipiert, wenn ein guter Schlag ihrerseits die Gegnerin aus der Balance bringt. Dann bewegt sie sich in den Platz hinein und stellt sicher, dass ihre Kontrahentin nicht in den Punkt zurückkommt. Es handelt sich dabei nicht um einen geplanten Angriff. Das Aufrücken entspringt schlicht ihrem Gespür für die Situation. Spielt sie beispielsweise mit ihrer Vorhand einen Winkel, der den Platz der Gegnerin öffnet, kommt sie nach vorne und nimmt den Ball mit ihrem geschwungenen Volley aus der Luft. Mit diesem Schlag verfügt sie über unglaublich viel Präzision, Vor- wie Rückhand. Selbst aus einer Position hinter der Aufschlaglinie kann sie damit den Punkt beenden. Ihre gute Beinarbeit ist für solche Aktionen wichtig, denn je höher sie den Ball nehmen kann, umso mehr kann sie mit ihm anstellen.


Defensivspiel

Sich weit hinter der Grundlinie aufzuhalten und Bälle zu erlaufen, entspricht nicht Serenas Naturell. Sie möchte die Ballwechsel lieber selbst dominieren. Findet sie sich dennoch einmal in der Defensive wieder, spielt sie Prozenttennis. Das heißt: Aus Positionen am Platzrand spielt sie Vor- als auch Rückhand cross-court und mit etwas mehr Höhe. Das ist clever, weil diagonal die Fehlertoleranz höher ist. Ein Schlag, den sie zur Verteidigung nie verwendet, ist der Rückhand-Slice. Es gibt Situationen, in denen sie mit einer Hand am Racket in der Rückhandecke verteidigt, aber dabei handelt es sich um Mondbälle, zu denen sie in extremer Bedrängnis greift. Schließlich muss erwähnt werden, dass Serenas Balance so gut ist, dass sie den Ball zuweilen selbst dann noch platziert zurückspielen kann, wenn sie in Rücklage ist.


Fazit

Dem Image als kopflose Balldrescherin wird Serena Williams nicht gerecht. Wer sich die Mühe macht, genauer hinzusehen, erkennt Variabilität, Spielverständnis und Können in allen Bereichen ihres Spiels. Variabilität äußerst sich am deutlichsten in ihrem Aufschlag. Ob flach, als Slice oder mit Kick, ob mittig, in den Körper oder nach außen – das Service der US-Amerikanerin ist präzise, schnell und konstant. Ihr Spielverständnis offenbart sich sowohl in der Offensive als auch in der Defensive. Von hinten entscheidet sie sich für jene Schläge, die das Risiko eines Fehlers minimieren: etwas höhere Bälle cross-court. Im Angriff verfügt sie über das Gespür, wann und wie sie sich in den Platz hineinbewegen muss. Selten unterläuft ihr von dort ein ungestümer Fehler. Ihr Können zeigt sich eigentlich in allen Schlägen, besonders aber in ihrer verlässlichen und technisch sehr verdeckt gespielten Rückhand.(Foto: GEPA pictures/ Alan Grieves)

von tennisnet.com

Sonntag
30.06.2013, 10:36 Uhr