Missglückter Angriff auf Bayern und Manchester United: Als Rapid Wien vor dem Ende stand

Von APA
Dietmar Kühbauer im Jahr 1995
© GEPA

Am Anfang war die Hybris: "Fußball-Rekordmeister Rapid hat sich viel vorgenommen. Der regierende Champion will 'ein Großklub nach europäischem Maßstab' werden. Wie etwa Bayern München und Manchester United", schrieb die österreichische Nachrichtenagentur APA im August 1988 über das Unternehmenskonzept "Rapid 90", das erstmals einen Börsengang ventilierte. Dieser wurde zum Eigentor, der am 5. April 1994 den "Ausgleich" bedeutete.

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Der vom Management-Berater Helmut Neumann im Sommer 1988 angedachte und drei Jahre später realisierte Börsengang scheiterte nämlich spektakulär. Zwischenzeitlich schien sogar das Ende des Traditionsclubs aus Hütteldorf gekommen. Dabei war ursprünglich alles so vielversprechend veranlagt worden: "Erstmals geht nun auch in Österreich ein Fußballklub an die Börse", hieß es am 29. August 1991 in der APA. "Für Rapid-Anhänger und solche, die es werden wollen, wird die Vindobona-Privatbank zwischen dem 9. und 12. September 60.000 Stammaktien der neu gegründeten 'Rapid Wien Finanzierungs-, Werbe- und Veranstaltungs-Aktiengesellschaft' zur Zeichnung auflegen."

Federführend war der seinerzeit als "Börsenguru" gehypte Banker Michael "Mike" Lielacher. Der Ausgabepreis für die "Aktien mit Liebhabercharakter" betrug "1.100 Schilling je Nominale 1.000 Schilling". 1.000 Schilling - diese Summe würde heute rund 73 Euro entsprechen. Der Sportklub Rapid hielt 25 Prozent plus eine Aktie an der AG. Der damalige Rapid-Präsident Anton Benya (mittlerweile verstorbener Ex-Gewerkschaftsboss und -Nationalratspräsident) orakelte, dass durch die Kapitalerhöhung über die Börse "die wirtschaftliche Existenz von Rapid auch in Zukunft gesichert" werde. Hintergrund: Die Bankverbindlichkeiten beliefen sich damals auf satte 29 Millionen Schilling (2,11 Mio. Euro).

Im Zuge des Börsengangs erwarb die Rapid AG sämtliche Transfer- und Werberechte des Sportclubs Rapid. Die VIP-Bank rechnete - bezogen auf den Ausgabekurs - mit einer Rendite von mindestens sechs Prozent. Im Fall eines "schlechteren Geschäftsjahres" wurde den künftigen Aktionären zumindest "die Ausschüttung von Sachbezügen" in Aussicht gestellt. Der Vorstand der Rapid AG setzte sich aus Anwalt Skender Fani und dem Banker Michael Margules zusammen.

Fußball entfernte sich vom "normalen Leben"

Fani prognostizierte für das erste Geschäftsjahr (1992) einen Gewinn von 4 Millionen Schilling. Diese Summe zeigt auch, wie sich die Fußballwelt (auch in Österreich) seither verändert hat. Vier Millionen Schilling würden heute umgerechnet knapp 300.000 Euro entsprechen. Eine für das internationale Fußballgeschäft fast lachhafter Betrag. Der aber auch ausdrückt, wie sehr sich der Fußball vom "normalen" Leben entfernt hat.

Laut dem Verbraucherpreis der "Statistik Austria" wären 4 Millionen Schilling gemäß der allgemeinen Preisentwicklung (Inflation) in Österreichs per Februar 2019 mit einem Kaufwert von etwa 500.000 Euro gleichzusetzen gewesen. Auch damit lassen sich heutzutage fußballerisch keine großen Sprünge mehr machen.

Aber zurück in die frühen 1990er: Im Zuge der Kapitalerhöhung über die Börse erwarb die Rapid Finanz AG sämtliche Transfer- und Werberechte des Vereins zum Preis von 60 Millionen Schilling. Skeptiker gab es von Anfang an. Die Volksbanken AG konnte die Rapid-Aktie "nur sehr spekulativen Anlegern und Rapid-Fans" empfehlen. Die Frage sei, ob es sich um ein "Anlage- oder Sammelobjekt" handle. Tatsächlich hatte die börsennotierte Rapid AG schon bald Imageprobleme, wie die APA bereits knapp vier Monate nach dem Börsengang vermeldete: "Ein nahezu 50prozentiger Kursverlust der grün-weißen-Aktien seit ihrer Emission im September, fehlende Investoren am Sekundärmarkt und das mäßige Abschneiden des Clubs in der Meisterschaft veranlassen nun die verantwortlichen Rapid-Manager, 'zum Angriff überzugehen'", hieß es am 20. November 1991.

Die für Emission Verantwortlichen gaben bald zu, auch Fehler gemacht zu haben. Mit gezielter "Fan-Betreuung" und Mitgliederwerbung sollte die "Rapid-Familie" daher auf mehr Zusammenhalt getrimmt werden, die Installation einer Business-Lounge und ein neues Rapid-Magazins sollen "Berührungsängste" aufheben. Margules erwartete indes dennoch "nachhaltigen Gewinn". Er wollte die Rapid AG weiter mittels Kapitalerhöhungen über die Börse finanzieren. Margules gab sich davon überzeugt, im Geschäftsjahr 1991/92 einen Gewinn einfahren zu können.

Rapid-Aktie fiel in bisher unbekannte Tiefen

Doch es kam anders: Der Prokurist der Vindobona Privatbank wurde im März 1992 in New York wegen des Verdachts auf Geldwäsche und der Verwicklung in Drogengeschäfte festgenommen. Das riss auch die Rapid-Aktie in bisher nicht gekannte Tiefen, wie es in der APA-Meldung Nummer 331 vom 10. März 1992 hieß: "Heute gab der Kurs des erst im vorigen Herbst zu 1.100 S emittierten Papiers auf 540 S nach, nachdem er bereits gestern von 670 auf 570 S abgesackt war. Damit sind die Rapid-Aktien (Nominale 1.000 S) erstmals weniger als die Hälfte des Ausgabekurses wert."

Und weiter: "Wie berichtet war die Rapid AG in den Geldwäscheskandal hineingerissen worden, weil ihr Vorstandsmitglied Michael Margules einen vermeintlich aus US-Drogengeldern stammenden Geldbetrag zur Bezahlung des Handgelds für den argentinischen Stürmer Czornomaz verwendet hat." Der Transfer von Adrian Carlos Czornomaz war geradezu bezeichnend für die Realitätsferne, die in Hütteldorf damals regierte.

Bei der Bekanntgabe seiner Verpflichtung am Dreikönigstag 1992 wurde der 23-Jährige als "Argentiniens Van Basten" - der niederländische Weltklassestürmer Marco van Basten machte gerade als Goalgetter beim AC Milan Furore - präsentiert. Letztlich trug der vermeintliche Superstar aus Lateinamerika unter Trainer Hans Krankl in gezählten vier Spielen das Dress der Kampfmannschaft, ins Tor traf er dabei nie.

Aber auch die Rapid-Aktienemission stand von Anfang an unter keinem guten Stern, wie die Austria Presse Agentur an jenem 10. März 1992 konstatierte: "Der Rapid-Kurs befand sich praktisch seit der Emission auf Talfahrt." Diese hielt in Folge an. Am Nationalfeiertag des Jahres 1993 dräute in Hütteldorf die Apokalypse herauf. Mittlerweile war die Vindobona Privatbank (VIP) von der Bank Austria übernommen worden. "Bis Jahresende soll sich entscheiden, ob es den Wiener Fußballklub Rapid 1994 noch gibt oder nicht", war am 26. Oktober zu lesen.

Die Zukunft hänge "vom nachhaltigen spielerischen Erfolg ab" und davon, ob sich noch ein Sponsor findet", erklärte Rene Alfons Haiden, Generaldirektor der Bank Austria, die über eine Tochter rund 37 Prozent der mittlerweile praktisch wertlosen Rapid-Aktien hielt. Sonst müsse Rapid "zusperren". "Es gibt keine andere Lösung", analysierte Haiden kühl, um wenig später doch noch einen anderen Ausweg zu präsentieren.

Dieser entsprach zwar der Logik eines nüchtern kalkulierenden Bankiers, mit fußballerischen Emotionen und den strapazierten Nervenkostümen der Rapid-Anhängerschar war er aber unvereinbar. Rapid möge sich doch mit dem Stadtrivalen Austria zu einem Wiener Großclub fusionieren, visionierte der Bankdirektor. Soweit kam es nie. Dafür zu massiven Protesten von Rapid-Fans, die offenbar auch zu einer nicht unbeträchtlichen Anzahl ihre Privatkonten bei der Bank Austria auflösten.

Um nicht zuletzt einen eigenen Imageverlust zu riskieren, wendete die Bank einen Rapid-Konkurs schließlich ab. Die Bank machte die Sanierung von Rapid durch einen Ausgleich im Wege eines Insolvenzverfahrens mit einer Bankgarantie in Höhe von 17 Millionen Schilling möglich. Am 5. April 1994 schließlich stand der SK Rapid vor dem Konkursrichter, einen Tag später folgte die Rapid Finanz AG. Die Schulden Rapids beliefen sich auf mehr als 41 Millionen Schilling, die anerkannten Verbindlichkeiten der Finanz AG auf 48,4 Millionen Schilling.

Das war insgesamt eine gehörige Summe von knapp 90 Millionen (in anderen Medienberichten war auch von 103 Millionen die Rede), auch wenn diese ein Vierteljahrhundert später in Euro (rund 6,5 Mio. oder 7,5 Mio. Euro) ) nicht ganz so dramatisch klingt. Rapid musste 40 Prozent seiner Schulden innerhalb von zwei Jahren bezahlen. Die Rapid Finanz AG wurde liquidiert, Kleinaktionäre gingen leer aus. Beendet wurde die Sanierung Rapids schlussendlich am 30. Juni 1996.

Unter Ernst Dokupil bekam die Jugend eine Chance

Da hatte Rapid auch sportlich wieder Fuß gefasst und das Aus-Der-Not-Eine-Tugend-Machen perfektioniert. Unter dem neuen Trainer Ernst Dokupil wurde jungen Spielern eine Chance gegeben. "Der Tabellenplatz ist zweitrangig", erklärte der damals 47-jährige Dokupil im September 1994 im Interview mit der Stadtzeitung "Falter", wichtiger war ihm "die Freude am Fußball". Das Praktische dabei: Da der Verein kaum Geld hatte, konnten auch keine großen Erfolge eingefordert werden.

Den sprichwörtlichen "Spaß an der Freude" verkörperten der heutige Coach Dietmar Kühbauer sowie Zoran Barisic (auf der Bank später einer seiner Vorgänger), Stefan Marasek und der Tadschike Sergej Mandreko. In Anlehnung an die Lucky-Luke-Comics gaben sie sich selbst den Spitznamen "die Daltons". Wohl weil ihnen nicht nur am Spielfeld der Schalk im Nacken saß. Das von Zwanglosigkeit geprägte grünweiße Lustprinzip hatte Erfolg. 1995 wurde durch einen 1:0-Sieg gegen DSV Leoben der Cupsieg geholt - der bisher letzte überhaupt - und ein Jahr später der Einzug ins Finale des Europacups der Cupsieger (0:1 in Brüssel gegen Paris Saint-Germain) sowie der Meistertitel gefeiert.

Danach kehrten (trotz Dokupil) wieder Ernst und Leistungsdruck in das Gerhard-Hanappi-Stadion ein, und die folgenden Bilanzen waren durchwachsen. 2005 und 2008 konnte der Titel noch zweimal eingefahren werden, seither wurde der Trophäenschrank in Hütteldorf nur mehr zum Putzen alten Silbers aufgesperrt. Mit dem Verpassen der Meistergruppe sorgten die Hütteldorfer im heurigen Frühjahr unter ihren Fans sogar für eine besonders herbe Enttäuschung.

Wo sind die Zeiten, mögen sie denken, als die Ambitionen weit höher waren? Wie damals, im 5. August 1988, als zum ersten Mal öffentlich das Wort "Aktie" in den Mund genommen worden war. Die APA-Meldung endete damals so: "Die Nummer eins in Österreich zu sein bzw. zu bleiben, ist für die Hütteldorfer ein selbstverständliches Ziel. Wie sich Helmut Neumann aber das Ergebnis seiner Arbeit in Zukunft vorstellt, drückt der Management-Berater mit folgenden Worten aus: "Wer gegen uns im Europacup gelost wird, der muß ausrufen: 'Um Gottes Willen - Rapid!'". Über 30 Jahre später kommt dieses Gestöhne eher den leidgeprüften grün-weißen Fans über die Lippen. In eigener Sache...

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